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Klage gegen Minarettverbot für unzulässig erklärt

01.05.2012

Die Klage gegen die Schweiz wegen des Minarettverbots in der Verfassung  ist unzulässig. So entschied der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte EGMR in Strassburg am 8. Juli 2011. Der EGMR begründete dies hauptsächlich damit, dass die Beschwerdeführer nicht glaubhaft machen konnten, Opfer einer Verletzung der Europäischen Menschenrechtskonvention zu sein. Das Urteil beinhaltet allerdings noch keine grundsätzliche Stellungnahme des EGMR zum Verfassungsartikel Art. 72 Abs. 3 betreffend das Minarettverbot.

Ausgangslage

Am 15. Dezember 2009 reichte ein Schweizer Muslim in Strassburg eine Beschwerde gegen den Volksentscheid zum Minarettverbot ein. Eine weitere Klage erreichte den EGMR von drei muslimischen Organisationen sowie einer Stiftung. Grundsätzlich können solche Klagen nur nach Strassburg getragen werden, wenn sie zuvor den gesamten innerstaatlichen Instanzenweg zurückgelegt haben (Art. 35 EMRK). Eine Ausnahme sieht der Gerichtshof allerdings vor: Direkt zu klagen ist möglich, wenn für ein Opfer nachweislich ein Rechtsmittel nicht wirksam ist, etwa weil zum Vornherein eine Ablehnung feststeht. Diese Bedingung gilt jedoch nicht allgemein, sondern muss vom Gericht von Fall zu Fall abgeklärt werden.

Der Entscheid aus Strassburg

Die Richter in Strassburg entschieden am 8. Juli 2011, dass die Kläger gegen das Schweizer Minarettverbot nicht klageberechtigt seien (Aktenzeichen 65840/09 und 66274/09). Die Beschwerdeführer wären laut dem Gerichtshof nur dann klageberechtigt, wenn ein von ihnen eingereichtes oder geplantes Baugesuch von den Behörden abgelehnt worden wäre. Die Kläger hätten hingegen nicht argumentiert, in nächster Zeit den Bau einer Moschee mit Minarett zu planen. Die blosse Möglichkeit, dass sie dies in fernerer Zukunft tun könnten, reicht laut dem EGMR nicht aus. Zudem hätten sie zuerst den Gang durch den nationalen Instanzenweg absolvieren müssen. Die Beschwerden wurden damit für unzulässig erklärt und abgewiesen. Damit teilt der EGMR die Position der Schweiz, welche im Vorfeld in einer Stellungnahme des Bundesamts für Justiz übermittelt wurde. Der Entscheid aus Strassburg ist endgültig.

Kein Entscheid für Minarettverbot

Hervorzuheben bleibt, dass der Entscheid aus Strassburg nicht als Absegnung des Schweizer Minarettverbots interpretiert werden darf, wie dies in gewissen Medien behauptet wurde. Vielmehr bleibt die Vereinbarkeit des Minarettverbots mit der Europäischen Menschenrechtskonvention EMRK, in welcher die Religionsfreiheit garantiert ist, nach wie vor ungeklärt. Darüber könnte der Menschenrechtsgerichtshof nur dann befinden, wenn ein Antrag für einen Minarettbau abgelehnt würde und die abgewiesenen Muslime mit einer entsprechenden Klage vor der Schweizer Justiz scheiterten.

Baugesuch für ein Minarett in Langenthal

Die vom EGMR für unzulässig erklärten Beschwerden bezogen sich jedoch nicht auf das Baugesuch für ein Minarett in Langenthal.

Der Streit um den Umbau des islamischen Zentrums in Langenthal tobte während Jahren. Die Gemeinde und die kantonale Baudirektion hatten die Beschwerden abgelehnt und die Bewilligung für den Bau erteilt - inklusive Minarett.  Nicht so das Verwaltungsgericht: es hiess am 3. April 2012 die Beschwerde der Gegner teilweise gut. Umstritten war insbesondere die Frage, ob das Minarett und die Kuppel lediglich eine ungewöhnliche Dachform darstellen oder als Aufbauten zu taxieren sind.
 
Während die Dachkuppel als Oberlicht einen Bezug zum Gebäude aufweise, sei das Minarett als reine Symbolbaute im Sinne der kommunalen Bauordnung keine zulässige Dachaufbaute, kam das Verwaltungsgericht zum Schluss. Zur Frage, wie sich das vom Volk 2009 angenommene Minarettverbot auf das Projekt auswirkt, nahm das Verwaltungsgericht nicht direkt Stellung. Dies erübrige sich, weil sich bereits aufgrund der örtlichen Bauvorschriften ergebe, dass das Minarett nicht bewilligungsfähig sei, heisst es im Urteil.

Hartnäckige Gegner

Das Baugesuch für ein Minarett in Langenthal war 2006 eingereicht worden. Im Sommer 2009, fünf Monate vor dem Urnengang zur Volksinitiative für ein Minarettbauverbot, hatte die Stadt Langenthal die Baubewilligung für das Minarett erteilt. Das akzeptierten die Gegner des Minaretts nicht und zogen den Entscheid weiter. Am 21. September 2010 bestätigte die Baudirektion des Kantons Bern die Baubewilligung für ein Minarett in Langenthal und befand, Minarett und Dachkuppel entsprächen den Bauvorschriften. Auch diesen Entscheid zogen die Gegner weiter. Die nächsthöhere Instanz, das Berner Verwaltungsgericht, urteilte, dass das Minarett nicht den Langenthaler Bauvorschriften entspreche. Die Glaubensgemeinschaft verzichtete darauf, den Entscheid vor das Bundesgericht weiterzuziehen. 

Lösungsvorschlag 1: Neue Initiative

Im Nachgang zur Annahme der Minarettsverbots-Initiative entstand in der Schweiz eine kontroverse Diskussion, wie mit der Tatsache umzugehen sei, dass nun ein Artikel in der Verfassung steht, der menschenrechtlich gesehen zumindest sehr problematisch ist.

So haben Vertreter des Club Helvétique, welchem etwa der ehemalige Bundesgerichtspräsident Giusep Nay, Staatsrechtler wie Daniel Thürer oder Jörg-Paul Müller angehören, über die Lancierung einer neuen Volksinitiative nachgedacht. Sie hatten die Idee, der Bundesverfassung einen Toleranzartikel anzufügen, welcher festhalten würde, dass die Religionsgemeinschaften in ihrer Tätigkeit im öffentlichen Raum Rücksicht auf die übrige Bevölkerung nehmen. Dieser Toleranzartikel wäre demnach die Grundlage, um das Minarettverbot wieder aus der Verfassung zu streichen. Grundsätzlich unterstützt der Club Hélvetique «alle Bestrebungen, damit Volksinitiativen, welche die unantastbaren Menschenrechte verletzen, nicht zur Abstimmung gelangen» (vgl. Bieler Erklärung vom 19. Dez. 2009).

Lösungsvorschlag 2: Kündigung der EMRK

Demgegenüber sprechen die Befürworter/-innen des Minarettverbots bereits davon, im Konfliktfall die EMRK zu kündigen, um dann allenfalls eine neue Ratifizierung vorzunehmen mit Vorbehalten im Bereich Religionsfreiheit bzw. Diskriminierungsschutz. Ein solches Vorgehen ist im Falle der EMRK juristisch rein theoretisch denkbar. Es wäre allerdings kaum praktikabel. Bislang hat kein anderer Staat die EMRK gekündigt, um nachträglich einen Vorbehalt anzubringen;die Schweiz würde sich mit einem solchen Vorgehen auf dem internationalen Parkett unmöglich machen. Auch vergessen die Befürworter/-innen des Verbots, dass die Schweiz auch den UNO-Pakt über bürgerliche und politische Rechte ratifiziert hat. Dieser hält dieselben Rechte auf UNO-Ebene fest, ist aber, anders als die EMRK, nicht kündbar.

Unterschiedliche Einschätzungen zur Rechtslage

Es besteht bei den juristischen Fachpersonen kein Konsens darüber, wie sich das geltende Recht auf die Umsetzung des Minarettverbots auswirken wird. Dies zeigen die unterschiedlichen Einschätzungen in einer Sonderausgabe des Jusletter vom 1. März 2010 zum Minarettverbot. Insbesondere die Frage, wie sich das Bundesgericht in einem (vorerst hypothetischen) Einzelfalle verhalten würde bzw. müsste, wird kontrovers beurteilt. Einig sind sich die meisten Experten/-innen jedoch darin, dass das Problem von menschenrechtswidrigen Volksinitiativen geregelt werden muss. Inzwischen hat sich auch der Bundesrat in dieser Richtung geäussert, wenn auch noch völlig unbestimmt.