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Verbesserungsbedarf bei Anordnung und Durchsetzung der Hochsicherheitshaft

04.09.2014

In der Schweiz leben ca. 30 Personen in einer Hochsicherheitsabteilung in Einzelhaft. Ein Drittel dieser Personen befindet sich seit länger als einem Jahr und in wenigen Fällen zwischen fünf bis zu zwölf Jahren in diesem Haftregime. Die als Einzelhaft ausgestaltete Hochsicherheitshaft ist die schärfste Form des Freiheitsentzugs. Sie bedeutet eine vollständige physische Isolation eines Inhaftierten von den Mitgefangenen und teilweise auch vom Gefängnispersonal. Abgesehen von einem täglichen einstündigen Spaziergang müssen sich die inhaftierten Personen in ihrer Zelle aufhalten – zum Teil jahrelang.

Die Nationale Kommission zur Verhütung von Folter (NKVF) kritisiert die Ausgestaltung der Hochsicherheitshaft in der Schweiz scharf. Die NKVF stützt sich dabei unter anderem auf eine Studie des Schweizerischen Kompetenzzentrums für Menschenrechte (SKMR). Die wohl gravierendste Problematik ist demnach, dass die meisten Gefangenen in Hochsicherheitshaft Personen mit psychischen Störungen sind, die eigentlich in geschlossenen psychiatrischen Einrichtungen untergebracht und behandelt werden müssten. Weitere Kritikpunkte beziehen sich auf die kantonal unterschiedlichen Interpretationen der gesetzlichen Grundlagen für die Hochsicherheitshaft und auf widerrechtliche Einweisungsgründe. Mängel bestehen zudem bei den Verfahrensgarantien und bei der Berücksichtigung internationaler Standards.

NKVF und SKMR beschäftigen sich vertieft mit der Thematik

Die NKVF hat sich im Berichtsjahr 2013 eingehend mit der Einzelhaft in Hochsicherheitsabteilungen befasst. Sie hat in diesem Zusammenhang sämtliche Straf- und Justizvollzugsanstalten überprüft, welche über eine Hochsicherheitsabteilung verfügen. Schweizweit sind dies insgesamt sechs Anstalten, namentlich die Etablissements de la Plaine de l‘Orbe (Waadt), die Justizvollzugsanstalt (JVA) Pöschwies (Zürich) und die konkordatliche Anstalt Bostadel (Zug), die Anstalten Hindelbank (Bern), die JVA Lenzburg (Aargau), und die Anstalten Thorberg (Bern). Die Berichte zu den einzelnen Besuchen sind auf der NKVF Website abrufbar.

Im Auftrag der NKVF hatte das Schweizerische Kompetenzzentrum für Menschenrechte SKMR zudem ein Gutachten erstellt, welches im Einzelnen die zulässigen Anordnungsgründe, die Anordnungskompetenz und das entsprechende Verfahren prüft. Es fragt nach der Rechtmässigkeit dieser Haft für psychisch kranke Inhaftierte und untersucht die Beachtung des Verhältnismässigkeitsprinzips sowie die zulässige Dauer dieser Haft. Schliesslich wird ein besonderes Augenmerk auf die rechtlichen Vorgaben zur Ausgestaltung der Hochsicherheitshaft geworfen, welche insbesondere die Bereiche soziale Kontakte, Alltagsgestaltung, Zellenausstattung und Qualifikation des Betreuungspersonals umfassen.

Menschenrechtliche Grundlagen

Die Einzelhaft im Hochsicherheitstrakt kann angeordnet werden, wenn der Schutz des Gefangenen oder Dritter diese Massnahme erfordern (Art. 78 Abs. b StGB). Aufgrund ihrer gesonderten Unterbringung, der eingeschränkten sozialen Kontakte und der Tatsache, dass sie nur beschränkte Möglichkeiten haben, ihre Rechte zu verteidigen, gelten Personen in Hochsicherheitshaft als besonders vulnerabel.

Unabhängig von einem konkreten Einzelfall stellt gemäss der Rechtsprechung internationaler Menschenrechtsorgane Einzel- resp. Hochsicherheitshaft stets eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder gar Folter dar, wenn sie auf unbeschränkte Zeit angeordnet wird oder wenn sie als komplette sensorische oder soziale Isolation ausgestaltet ist. Nach Auffassung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) kann eine vollständige sensorische und soziale Isolation zu einer Zerstörung der Persönlichkeit führen, weshalb diese einer unmenschlichen Behandlung gleichkommt und eine Verletzung von Art. 3 EMRK darstellt.

Aber auch wenn diese absolut geltenden Grenzen nicht missachtet werden, kann Hochsicherheitshaft das Verbot der Folter und der unmenschlichen Behandlung verletzen.  Eine unmenschliche Behandlung liegt gemäss internationaler Rechtsprechung auch dann vor, wenn ihre Anordnung oder Ausgestaltung im Einzelfall nicht gerechtfertigt werden kann, weil sie den Vorgaben des Verhältnismässigkeitsprinzips widerspricht. Relevante Faktoren für die Beurteilung der Verhältnismässigkeit sind gemäss der Praxis internationaler Organe die Dauer, der damit verfolgte Zweck, die konkrete Ausgestaltung der Hochsicherheitshaft sowie die individuellen Umstände der inhaftierten Person (z.B. Alter, Gesundheitszustand, Geschlecht).

Die Problemfelder in der Schweiz

Hauptsächlich psychisch kranke Inhaftierte

Die wohl gravierendste Problematik im Bereich der Hochsicherheitshaft stellt die Tatsache dar, dass sich die Insassenpopulation in sämtlichen Hochsicherheitsabteilungen beinahe ausschliesslich aus psychisch (teilweise schwer) kranken Inhaftierten zusammensetzt, die sich im Normalvollzug oder in geschlossenen Abteilungen von psychiatrischen Kliniken als nicht tragbar erwiesen haben. Mit dieser Entwicklung einher ging eine Zweckentfremdung der Hochsicherheitsabteilungen, welche aus grund- und menschenrechtlicher Sicht problematisch ist.

Angesichts der höchst schädlichen Auswirkungen von Einzelhaft auf die psychische Gesundheit erscheint die Schaffung von zusätzlichen spezialisierten Psychiatrieplätzen in der Schweiz als unabdingbare Notwendigkeit. Personen, deren Fremdgefährdungspotenzial in engem Zusammenhang mit der psychischen Störung liegt, sollten in geschlossenen psychiatrischen Einrichtungen und nicht in Einzelhaft in Strafvollzugsanstalten untergebracht werden. Es liegt auf der Hand, dass psychische Probleme in Zusammenhang mit aggressivem Verhalten in einem therapeutischen Setting besser adressiert werden können als in der Einzelhaft, da sie sich hier möglicherweise noch verschärfen.

Unbefristete Anordnung ist nicht menschenrechtskonform

Einige Personen die sich in Hochsicherheitshaft befinden, verbleiben teilweise über mehrere Jahre von der Aussenwelt und von Mitgefangenen isoliert. Mit zunehmender Dauer nimmt auch die Wahrscheinlichkeit ab, dass sich eine Person jemals wieder im Normalvollzug bewährt oder sich bei einer Haftentlassung in der Gesellschaft wieder zurechtfinden wird. Dass eine unbefristete Anordnung der Einzelhaft gegen das Verbot der unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung verstösst, wird in der Praxis zu wenig beachtet.

Empfehlung: Regime häufiger überprüfen und hinreichend begründen

Die meisten kantonalen Rechtsgrundlagen sehen eine Haftüberprüfung nur alle sechs Monate vor. Die Verlängerung des Haftregimes ordnet in der Regel nicht eine unabhängige Instanz an, sondern die Anstaltsleitung. Deren Entscheid wird sodann vom Kanton abgesegnet.

Bei dieser Praxis droht die Gefahr eines wiederkehrenden Automatismus ohne die eingehende Überprüfung der Verhältnismässigkeit im konkreten Einzelfall, was einer unbefristeten Anordnung nahe kommt.

Das Anti-Folterkomitee des Europarates (CPT) rügte die 6-monatige Periodizität der Haftregime-Überprüfung anlässlich seines letzten Besuches in der Schweiz und bezeichnete sie als unverhältnismässigen Schematismus. Das CPT und die NKVF empfehlen deshalb, dass die Einzelhaft regelmässig, mindestens alle drei Monate überprüft und eine allfällige Verlängerung hinreichend begründet wird. Dabei gelte es zu berücksichtigen, dass die Anforderungen an die Begründung mit zunehmender Dauer der Massnahme höher anzusetzen seien. Zudem regen NKVF und SKMR an, die Haftüberprüfung durch eine unabhängige Instanz durchzuführen und anwaltschaftliche Vertretungen vorzusehen.

23-Stunden pro Tag in der Einzelzelle

Hinsichtlich der materiellen Haftbedingungen ist die NKVF in Anlehnung an internationale Standards der Ansicht, dass ein 23-stündiger Zelleneinschluss dem Verhältnismässigkeitsprinzip nur unzureichend Rechnung trägt. Sie empfiehlt den Anstaltsleitungen deshalb, entsprechende Beschäftigungs-, Sport- und Freizeitangebote weiter auszubauen und den Zugang einzelfallgerecht für Personen in Hochsicherheitshaft zu ermöglichen.

Im Rahmen der Vollzugsplanung empfiehlt die Kommission zudem, dass die sozialen Kontakte innerhalb der Anstalt, namentlich mit Mitinhaftierten und dem Personal, nach Möglichkeit gezielt gefördert werden. Alle möglichen Vollzugslockerungen, die dem Ziel der Hochsicherheitshaft (Schutz des Inhaftierten oder Dritten) nicht zuwiderlaufen, müssen gemäss NKVF gewährt werden, um dem Verhältnismässigkeitsprinzip gerecht zu werden.

Kantonale Unterschiede bei Einweisung

In den meisten Anstalten erfolgt die Einweisung auf Anordnung der Vollzugsbehörde. Einige Kantone führen die Einweisung im Vollzugsauftrag aus, während andere dazu eine separate, begründete Verfügung mit Rechtsmittelbelehrung erlassen. Die Begründungsdichte variiert damit einhergehend stark von Kanton zu Kanton. Das SKMR empfiehlt, dass jede Einweisung in die Hochsicherheitshaft mittels schriftlicher Verfügung mit Rechtsmittelbelehrung (formgerecht, eindeutige Bezeichnung der Massnahme, wesentliche Entscheidungsgründe, Hinweis auf Verfahrensvorschriften) zu eröffnen ist. Diese Vorgabe erscheint wichtig, da Beschwerden meist keine aufschiebende Wirkung eingeräumt wird. Zudem kann auf diese Weise allenfalls die Akzeptanz der Entscheidung erhöht werden.

Unzulässige Einweisungsgründe

Das SKMR-Gutachten stellt fest, dass die Hochsicherheitshaft als Einzelhaft von Bundesrechts wegen nur aus klar vorgegebenen Gründen angeordnet werden darf, etwa zum Schutz des Insassen oder Dritter. Dennoch werden in der Praxis teilweise auch Anordnungsgründe herangezogen, welche in den bundesrechtlichen Vorgaben nicht erwähnt sind. So werden in einigen Kantonen «Fluchtgefahr» und die «Störung des Anstaltsbetriebs» als Einweisungsgründe aufgeführt, obwohl für diese Haftgründe die gesetzlichen Grundlagen auf Bundesebene fehlen.

«Fluchtgefahr»

Mehrere kantonale Regelungen sehen die Möglichkeit der Anordnung der Hochsicherheitshaft bei erhöhter Fluchtgefahr oder Gefahr der Fluchthilfe von aussen vor. Und auch das Bundesgericht und kantonale Gerichte scheinen in neueren Urteilen eine erhöhte Fluchtgefahr als Einweisungsgrund in Abteilungen höchster Sicherheit, basierend auf den kantonalen Ausführungsbestimmungen, als zulässig zu erachten (BGE 1B_36/2008). Eine solche Interpretation steht gemäss SKMR klar im Widerspruch zum Wortlaut von Art. 78 lit.b StGB. Eine Fluchtgefahr kann gemäss SKMR nur dann unter diese Bestimmung fallen, wenn Indizien dafür bestehen, dass eine Flucht in drittgefährdender Weise durchgeführt werden soll, beispielsweise mittels einer Geiselnahme oder Waffengewalt.
Ein striktes Einzelhaftsetting zur Verhinderung einer Flucht ist zudem kaum je notwendig: Diesen Zweck sollte eine normale geschlossene Abteilung zur Genüge erfüllen. Eine Einweisung wegen Fluchtgefahr sei deshalb in der Regel unverhältnismässig und unvereinbar mit dem Verbot der unmenschlichen Behandlung oder Strafe.

«Aufrechterhaltung der Ordnung und Sicherheit des Anstaltsbetriebs»

Art. 78 StGB hält zwar fest, dass Einzelhaft auch als Disziplinarsanktion (lit.c) angeordnet werden darf. Diese Norm bezieht sich aber einzig auf einen disziplinarischen Arrest im Normalvollzug und ist nicht anwendbar für das Einzelhaftregime in Hochsicherheitsabteilungen. Dieses dient nämlich rein präventiven Zwecken. Einzelhaft in Hochsicherheitsabteilungen wird aufgrund einer vom Insassen ausgehenden, verschuldensunabhängigen und konkreten Gefahr für die äussere oder innere Sicherheit oder für die Sicherheit des Insassen angeordnet. Der Unterschied zwischen disziplinarischem Arrest und Hochsicherheitshaft liegt also insbesondere darin, dass Disziplinarmassnahmen eine Bestrafung für Widerhandlungen gegen die Anstaltsordnung darstellen (und gesetzlich ziemlich ausführlich reguliert sind), während die Hochsicherheitshaft aus gewichtigen Sicherheitsgründen angeordnet wird und keine Bestrafung darstellen darf.

Die teilweise in den Hausordnungen (und im Zürcher Justizvollzugsgesetz) genannte Aufrechterhaltung der Ordnung und Sicherheit des Anstaltsbetriebs als Begründung für Hochsicherheitshaft findet demnach keine Rechtsgrundlage in Art. 78 lit. b StGB. Das SKMR weist in seinem Gutachten auf die Gefahr hin, dass durch die Statuierung dieses Einweisungsgrunds die Grenzen zum disziplinarischen Arrest verwischt würden. Tatsächlich würden einer Einweisung in die Hochsicherheitshaft in den meisten Fällen mehrere Disziplinierungsmassnahmen vorausgehen. Dies sei ein Hinweis darauf, dass die Isolation unter dem Hochsicherheitsregime in der Praxis als Disziplinarmassnahme missbraucht werde. Letzteres wäre allerdings ein Missbrauch des Instituts  der Hochsicherheitshaft mit dem Ziel, die strikteren Anforderungen an eine verschärfte Disziplinarstrafe zu umgehen. Problematisch sei dies insbesondere dort, wo die Anordnungskompetenz sowohl für Disziplinarstrafen als auch für die Hochsicherheitshaft bei der gleichen Stelle liegt.

Kommentar

Der Strafvollzug in der Schweiz ist in vielerlei Hinsicht eine Black Box: Es gibt kaum einheitliche Standards, jede Vollzugsanstalt kennt andere Hausregeln welche auf  unterschiedlichen kantonalen Gesetzen fussen. Angesichts der besonderen Verletzlichkeit von Personen in Isolationshaft sind die fehlende Harmonisierung und die fehlenden Minimalstandards in diesem Bereich als besonders stossend einzustufen.

Dass sich die Vollzugsanstalten gegen gewisse Forderungen, wie etwa der Einführung einer 3-monatigen Haftüberprüfung oder einer unabhängigen Überprüfungsinstanz für Einweisungen in die Hochsicherheitshaft wehren, ist angesichts der Ressourcenknappheit im Strafvollzug verständlich. Dem Strafvollzugspersonal und den Gefangenen fehlt es an einer Lobby und damit dem gesamten Strafvollzug an finanziellem Spielraum. Es ist deshalb begrüssenswert, dass durch die NKVF nun endlich eine öffentliche Diskussion zu dieser Thematik in Gang gesetzt wird. Nur so erhalten die betroffenen Personen eine Stimme. Nun ist es an der Zeit, dass die zuständigen Behörden auch die entsprechenden Massnahmen ergreifen und die finanziellen Mittel für nötige Reformschritte sprechen.

Dokumentation