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Nationale Menschenrechtsinstitution

Eine weitere Zusatzschlaufe für die Nationale Menschenrechtsinstitution – mit welcher Absicht?

19.09.2018

 

Die Endlosgeschichte der Schaffung einer nationalen Menschenrechtsinstitution in der Schweiz ist um eine Episode reicher. Dank einer paradoxen Intervention von Bundesrat Cassis verzögert sich der Prozess um unbestimmte Zeit. Was ist der Grund für die neuste Zusatzschlaufe?

Notbremse von Bundesrat Cassis

Noch im vergangenen Mai war aus der Bundesverwaltung zu vernehmen, dass die Gesetzesvorlage zur Unterstützung einer Nationalen Menschenrechtsinstitution (NMRI) und die dazugehörige Botschaft ans Parlament noch vor den Sommerferien 2018 in den Bundesrat käme – oder spätestens kurz nach den Sommerferien.

Doch stattdessen ist im August durchgesickert, dass das Projekt einen Rückschlag erlitten habe. Ein Artikel in der NZZ vom 14. Sept. 2018 bestätigt die Gerüchte, dass Bundesrat Cassis die Notbremse gezogen hat. Offenbar hat er die bereits fertige Gesetzesvorlage an die Verwaltung zurückgewiesen mit dem Auftrag zu prüfen, ob die NMRI nicht an ein bestehendes Gesetz angehängt werden könne statt wie vorgesehen ein neues Finanzgesetz zu schaffen. Möchte der Bundesrat hinter seinen Entscheid vom Juni 2016 zurückgehen und das NMRI-Projekt am Parlament vorbei schmuggeln?

Das Rad neu erfinden

Was bedeutet die Intervention von Bundesrat Cassis? Auf eine entsprechende Frage von Nationalrätin Ida Glanzmann antwortete er am 17. Sept. 2018 in der Fragestunde mit einigen allgemeinen Floskeln und dem Satz: «Zurzeit werden verschiedene Varianten zur Ausgestaltung des Menschenrechtsinstituts vertieft geprüft. Eine auf Schweizer Bedürfnisse ausgerichtete Lösung soll mit der gebotenen Sorgfalt noch dieses Jahr etabliert werden.»

Nun ist daran zu zweifeln, dass Bundesrat Cassis so nichtsahnend ist und nicht weiss, dass genau dies – eine Variantenprüfung im Hinblick auf eine der Schweiz angemessene Lösung – bereits in den Jahren 2004 bis 2008 und dann wieder von 2015 bis 2017 sehr ausführlich und intensiv stattgefunden hat.

Doch vielleicht ist nicht die Variantenprüfung der Kern der Aussage, sondern dass eine Lösung «noch dieses Jahr etabliert» werden soll. Entweder handelt es sich dabei um einen masslosen Optimismus, oder aber die Aussage ist wörtlich zu nehmen: Dass der Bundesrat auf der Grundlage seiner eigenen Entscheidkompetenzen eine Lösung ohne Gesetz und ohne parlamentarische Beratung realisieren möchte. Doch dies stünde im eklatanten Widerspruch zur Absichtserklärung des Bundesrats, dass die schweizerische Lösung den Pariser Prinzipien der UNO entsprechen soll. Diese definieren die minimalen Voraussetzungen für eine NMRI, und eine gesetzliche Grundlage gehört zweifellos dazu. Eine solche ist ja auch bereits in zähem Ringen erarbeitet worden.

Populistische Rhetorik

Das Resultat des langjährigen Prozesses war bekanntlich ein Kompromiss in Gestalt einer Vernehmlassungsvorlage, welche zwar den meisten NGOs deutlich zu wenig weit ging, aber doch grossmehrheitlich mitgetragen wurde. Weit über hundert Akteure – nebst NGOs auch die meisten Parteien, die Kantone und die Wirtschaftsverbände - hatten sich in der Vernehmlassung positiv geäussert. Die einzige Ausnahme bildeten die beiden Parteien FDP und SVP, welche mit ihren intern kaum diskutierten und fast gar nicht begründeten ablehnenden Vernehmlassungsantworten demonstrierten, dass sie die Vorlage als solche gering schätzen.

Bundesrat Cassis nimmt nun offenbar die Position der FDP-SVP-Minderheit ein und tut so, als hätte es gar keinen tragfähigen Kompromiss gegeben. In einem Interview mit der NZZ vom 18. Sept. 2018 unterstellt er mit populistischer Rhetorik, das vorliegende NMRI-Projekt sei zu gross geklotzt. «Wir müssen Lösungen finden, die richtig sind für unser Land, und nicht Lösungen, die einfach nur das Ziel haben, der Uno zu gefallen. Wir können nicht überall Kathedralen bauen. Das wird all den Leuten in diesem Land nicht gerecht, die jeden Morgen aufstehen, hart arbeiten und Steuern zahlen.» Diese süffige Polemik ist schon deshalb unhaltbar, weil das bisher vorgesehene NMRI-Budget von 1 Mio. SFr. pro Jahr von allen Beteiligten – auch von Economiesuisse – immer als äusserst knapp und unterste Grenze eingestuft wurde.

Im selben NZZ-Interview empfiehlt Bundesrat Cassis «zu schauen, wie andere Staaten das lösen». Es ist ihm wohl entgangen, dass im Lauf der Jahre immer wieder sorgfältige Ländervergleiche durchgeführt wurden. Längst ist klar, dass etwa Deutschland, Frankreich, Irland, die Niederlande, Dänemark, Norwegen oder Schweden allesamt seit vielen Jahren über gut dotierte und für den Menschenrechtsschutz nützliche nationale Menschenrechtsinstitutionen verfügen.

Dass BR Cassis gleichzeitig betont hat, er halte am Ziel einer NMRI fest und es gehe nicht darum, die Menschenrechte infrage zu stellen, gehört zum Spiel und ist wenig glaubhaft. Sonst hätte er sich konstruktiv an der Ausarbeitung der definitiven Gesetzesvorlage beteiligt, anstatt sie zu sabotieren.

Kommentar 

von Alex Sutter

Der Verdacht liegt nahe, dass Bundesrat Cassis das kleine aber symbolträchtige Geschäft der NMRI zu opfern bereit ist, um bei seiner Wählerbasis zu punkten und sein Profil als geradliniger Exponent des rechten Flügels der FDP zu stärken. Er bringt das NMRI-Projekt offensichtlich ganz bewusst auf einen Kurs, der zum Scheitern verurteilt ist. Denn die bereits maximal gestutzte NMRI-Vorlage wird, wenn sie noch weiter demontiert würde, mit Gewissheit nicht zu einer international anerkannten NMRI mit dem A-Status führen. Und alles andere wäre für die schweizerische Aussenpolitik und Innenpolitik schlicht bedeutungslos.

Sollte das NMRI-Projekt schliesslich auf Grund laufen, so wäre dies ein ironischer Schlusspunkt auf eine fast unendliche Geschichte. Oder soll man es eher eine Farce mit unglaublich vielen Windungen nennen? Jedenfalls ist die beinahe 20-jährige Geschichte der Nicht-Schaffung einer NMRI in der Schweiz geprägt von Bremsmanövern, Umleitungen, Leerläufen, Aufschüben und Ersatzhandlungen. Offenbar waren und sind sowohl weite Teile der Bundesverwaltung wie auch der Bundesrat – selbst in der alten Zusammensetzung – äusserst gehemmt und zögerlich, wenn es um das NMRI-Geschäft geht.

Eine solche Lähmung verlangt nach einer Interpretation: Ist es die Angst vor einem unkontrollierbaren, weil unabhängigen Faktor im eingependelten Machtspiel der schweizerischen Institutionen? Ist es die Angst vor einer moralisch nicht korrumpierten Kraft im Politzirkus? Man kann darüber nur rätseln.

Wie dem auch sei: Es ist klar, dass sowohl der Verein humanrights.ch wie auch die NGO-Plattform Menschenrechte Schweiz einem allfälligen Crashkurs der NMRI nicht schweigend zusehen werden.