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Genitalverstümmelung kein Asylgrund

28.01.2004

Der Fall betraf eine Frau, die von bewaffneten und maskierten Männern überfallen, beraubt, gefesselt, mit einem Messer verletzt und mit Zigaretten gebrannt worden war. Ihrem damals fünfjährigen Sohn hätten die Angreifer einen Teil des Penis abgeschnitten, dem sechsjährigen Bruder den Kopf blutig geschlagen. Nach diesen Erlebnissen sei sie erneut überfallen worden - und auf brutalste Weise vergewaltigt worden. - Weiter machte die Beschwerdeführerin geltend, ihre drei kleinen Töchter hätten, wie es der Tradition entspreche, beschnitten werden sollen. Bei der ältesten Tochter sei die Genitalverstümmelung bereits vorgenommen worden; für die drei jüngeren Mädchen hätten die Schwiegereltern diesen Eingriff ebenfalls geplant. Sie sei mit den Kindern schliesslich aus Somalia geflohen, um die drei Mädchen vor der Beschneidung zu bewahren. - Das Bundesamt für Flüchtlinge (BFF) lehnte das Asylgesuch der Beschwerdeführerin und ihrer Kinder ab und ordnete die Wegweisung an. Gleichzeitig verfügte das BFF wegen derzeitiger Unzumutbarkeit des Wegweisungsvollzuges die vorläufige Aufnahme der Beschwerdeführerin und ihrer Kinder. Die Beschwerdeführerin erhob für sich und ihre Kinder Beschwerde bei der Schweizerischen Asylrekurskommission (ARK) und beantragte die Gewährung von Asyl.

Die ARK entschied, dass als reguläre Folge der Asylgesuchsabweisung auch die Wegweisung als solche zu Recht angeordnet wurde, nachdem die Beschwerdeführerin über keine fremdenpolizeiliche Aufenthaltsbewilligung verfüge. Aufgrund der bisherigen Praxis der ARK betreffend die Nichtanerkennung privater Verfolgung im schutzunfähigen Staat sei festzuhalten – so die ARK, dass die Vorbringen der Beschwerdeführerinnen die Voraussetzungen der Flüchtlingseigenschaft nicht zu erfüllen vermögen. Die Verneinung der Flüchtlingseigenschaft der Beschwerdeführerin und ihrer Kinder und die Ablehnung ihrer Asylgesuche durch das BFF seien demnach zu bestätigen. Der Wegweisungsvollzug stehe demgegenüber nicht zur Diskussion; der Vollzug der Wegweisung einer abgewiesenen Asylbewerberin in ein Land, in dem ihr eine der üblichen Formen der Genitalverstümmelung ernsthaft drohe, sei mit Art. 3 EMRK nicht vereinbar, er erweise sich als völkerrechtlich unzulässig. Gemäss konstanter Praxis des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte setzt zudem die Anwendung von Art. 3 EMRK nicht voraus, dass eine drohende menschenrechtswidrige Behandlung von staatlichen (oder quasi-staatlichen) Organen ausgeht.
Urteil der Schweizerischen Asylrekurskommission vom 28. Januar 2004, EMARK 2004/14-084 oder unter VPB 68.142.

Im Entscheid der ARK wird auch auf die Botschaft zur Änderung des Asylgesetzes (6857f.) hingewiesen: «Seit geraumer Zeit wird darüber diskutiert, ob das BFF, unterstützt durch die Eidgenössische Kommission für Flüchtlingsfragen (EKF) hinsichtlich der Anerkennung des Flüchtlingsstatus von der Zurechenbarkeitstheorie zur Schutztheorie wechseln soll. Dies würde bedeuten, dass künftig nicht nur die staatliche, sondern auch die Verfolgung durch Dritte/Private zur Anerkennung als Flüchtling führen soll. Alle Staaten sind vom UNHCR aufgefordert worden, die Schutztheorie anzuerkennen. Dies unter anderem deshalb, damit geschlechtsspezifische Verfolgung im Rahmen der bestehenden Flüchtlingsdefinition der Flüchtlingskonvention (SR 0.142.30) besser erfasst werden kann».
Ruth-Gaby Vermot-Mangold meinte dazu im Nationalrat zur Revision des Asylgesetzes: «Der Ständerat nimmt […] in Kauf, dass der Kreis der Personen, die in der Schweiz Schutz erhalten können, massiv eingeschränkt wird. Natürlich nimmt dies auch die Kommission des Nationalrates in Kauf. Damit nicht genug: Der Ständerat will neu nur noch aufnehmen, wer in seinem Land in seiner Existenz bedroht ist. Geschützt würden weder Mädchen, denen die sexuelle Verstümmelung droht, noch die Frauen aus Srebrenica, die sich nach Vergewaltigung, während des furchtbaren Massakers von Srebrenica, verständlicherweise in einer psychischen Notlage befinden und auf medizinische Hilfe angewiesen sind».