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Die humanitären Visa - ein Nadelöhr

09.06.2017

Seit der Aufhebung von Art.20 des Asylgesetzes (AsylG) im September 2012 ist es nicht mehr möglich, auf einer Schweizer Botschaft im Ausland ein Asylgesuch zu stellen, sondern nur noch Anträge auf humanitäre Visa gemäss VEV Art. 2 Abs. 4. Dieses ist an offen formulierte Kriterien gebunden, die dem Staatssekretariat für Migration (SEM) einen grossen Ermessensspielraum lassen.

Ein humanitäres Visum kann erteilt werden, wenn eine Person in ihrem Heimatstaat oder Herkunftsstaat unmittelbar, ernsthaft und konkret an Leib und Leben gefährdet ist. Die besondere Notsituation muss ein behördliches Eingreifen zwingend erforderlich machen. Erteilt werden die Visa aus humanitären Gründen vom SEM für 90 Tage. Die so eingereiste Person kann während des Aufenthalts in der Schweiz ein Asylgesuch oder allenfalls beim Kanton ein Gesuch um vorläufige Aufnahme stellen.

Konkretes Vorgehen und Chancen

Der Antrag für ein humanitäres Visum muss persönlich bei einer Schweizer Vertretung im Ausland gestellt werden. Zusammen mit dem Visumantragsformular Schengen, den Identitätsdokumenten, einem Familienregisterauszug und allfälligen Beweismitteln kann der Antrag bei einem Termin in der Botschaft eingereicht werden. Die schweizerische Auslandsvertretung kann das Gesuch in eigener Kompetenz ablehnen, sofern sie die humanitären Gründe als nicht gegeben erachtet. Ansonsten leitet sie den Visumsantrag dem SEM zu.

Zwischen 2012 und 2013 wurden fast zwei Drittel der Gesuche von den Auslandsvertretungen in eigener Kompetenz abgelehnt. Ein Drittel der Gesuche wurde an das SEM weitergeleitet. Das SEM hatte von diesen weitergeleiteten Gesuchen seinerseits beinahe die Hälfte abgelehnt und weitere noch nicht definitiv bearbeitet, so dass die Anerkennungsquote in diesem Beispiel insgesamt nur 3.7 Prozent betrug.

Gegen eine Ablehnung des Gesuchs durch das SEM um ein humanitäres Visum kann der Antragssteller via Schweizer Vertretung innert 30 Tagen Einsprache beim SEM erheben. In einem zweiten Schritt kann Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht eingereicht werden.

Spezielle Visa für syrische Kriegsflüchtlinge

Das Staatssekretariat für Migration (SEM) erliess im September 2013 die Weisung «Erleichterte Erteilung von Besucher-Visa für syrische Familienangehörige». Im Rahmen dieser Weisung Syrien I erteilte das SEM ab September 2013 bis Ende 2014 4‘673 Visa für syrische Kriegsflüchtlinge, welche Familienangehörige in der Schweiz mit einer Aufenthaltsbewilligung haben. Im November 2013 wurde die Weisung aufgehoben, und das SEM hat darauf hingewiesen, dass für Personen, die ernsthaft und konkret an Leib und Leben gefährdet seien, eine Einreise mittels eines humanitären Visums bewilligt werden könnte.

Nach einem Beschluss des Bundesrates vom 6. März 2015 (Syrien II) können Personen aus Syrien mit vorläufiger Aufnahme, Ehegatten und minderjährige Kinder mit einem humanitären Visum in die Schweiz nachziehen, wenn die Trennung der Familie wegen der Flucht erfolgte. Das SEM erteilte im Jahr 2015 auf dieser Grundlage insgesamt 129 Visa und im 2016 deren 202. Grösstes Hindernis für Syrien II sind die langen Asylverfahren der bereits in der Schweiz befindlichen syrischen Personen, denn solange eine Person im Asylverfahren steckt, können deren Familienangehörige vom Beschluss vom 6. März 2015 nicht profitieren.

Für die praktische Umsetzung von Syrien I und II spielte das Schweizerische Rote Kreuz eine zentrale Rolle.

Beratungsdienst des SRK

Da es generell an Informationen seitens Schweizer Behörden über das Vorgehen für einen Antrag auf ein humanitäres Visum mangelt, hat das SRK einen speziellen Beratungsdienst eingerichtet. Der SRK-Beratungsdienst unterstützt nebst Syrien-II-Fällen auch Gesuchssteller für reguläre humanitäre Visa unabhängig von ihrer Herkunft mit Informationen, Beratung und Begleitung im Prozess des Visumsverfahrens.

Seit 2013 hat sich die Zahl der vom SRK geleisteten Beratungen jährlich verdoppelt, und um die Hälfte derjenigen Personen, die schlussendlich ein humanitäres Visum erhielten, sind vom SRK beraten worden.

Leitlinien zum Schutz von Menschenrechtsverteidiger/-innen

Menschenrechtsaktivisten/-innen vor staatlicher Verfolgung zu schützen ist ein Schwerpunkt der Schweizer Menschenrechtsaussenpolitik. Bereits im Jahr 2013 hat das EDA entsprechende Leitlinien zu Handen der Schweizer Auslandsvertretungen erlassen. Darin ist vorgesehen, dass in Fällen von extremer Bedrohung an Leib und Leben die Auslandsvertretung beim SEM ein humanitäres Visum für die gefährdete Person beantragen kann. Bis jetzt ist nur im Falle des aserbaidschanischen Menschenrechtsverteidigers und Journalisten Emin Huseynov publik geworden, dass von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht wurde.

Entscheid des Gerichtshofs der EU

Am 7. März 2017 entschied der Europäische Gerichtshof (EuGH), dass es den Schengener Vertragsstaaten überlassen ist, ob und unter welchen Bedingungen sie humanitäre Visa erteilen.

Der EuGH wich mit diesem Entscheid überraschend von der Auffassung des Generalanwalts Paolo Mengozzi ab, welcher aus der EU-Grundrechtecharta die Pflicht ableitete, humanitäre Visa auszustellen.

Die Schweiz ist als Schengener Mitgliedstaat auch von diesem Entscheid betroffen, der besagt, dass die bisherige Praxis beibehalten werden kann. Dies wurde in einem neuen Urteil vom Bundesverwaltungsgericht bestätigt.

Dokumentation