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Die Eingrenzung von abgewiesenen Asylsuchenden ist verhältnismässig

26.01.2018

Das Bundesgericht erachtet die Eingrenzung eines abgewiesenen äthiopischen Asylsuchenden als legitimes Mittel, um diesen zu einer Rückkehr in sein Heimatland zu bewegen. Daran ändere auch die Unmöglichkeit einer zwangsweisen Rückführung nichts, da eine freiwillige Rückkehr nach Äthiopien grundsätzlich möglich sei.

Sachverhalt

Das Migrationsamt des Kantons Zürich ordnete am 21. Juli 2016 gegen den äthiopischen Staatsangehörigen A. eine Eingrenzung gemäss Art. 74 AuG auf das Gemeindegebiet Urdorf an, da dessen Asylgesuch durch das Bundesverwaltungsgericht mit Urteil vom 30. Dezember 2015 letztinstanzlich abgewiesen worden war und er trotz Wegweisung die Schweiz nicht verlassen hatte. Im September 2016 erweiterte das Bezirksgericht Zürich den Rayon auf das Gebiet des Bezirks Dietikon. Gegen diesen Entscheid erhob A. im Oktober 2016 Beschwerde.

Das Verwaltungsgericht des Kantons Zürich stufte die Eingrenzung des Äthiopiers mit Urteil vom 1. Februar 2017 als rechtswidrig ein. Die Anordnung dieser Massnahme sei unzulässig, wenn sich der Vollzug der Ausschaffung als unmöglich erweise. Äthiopische Staatsangehörige können aufgrund der Haltung der äthiopischen Behörden nicht zwangsweise ausgeschafft werden. Eine Ausschaffung sei bei dieser Konstellation unmöglich - die Eingrenzung damit unzulässig. Das Staatssekretariat für Migration hat diesen Fall daraufhin ans Bundesgericht weitergezogen.

Das Urteil

Das Bundesgericht bestätigt im Urteil vom 13. November 2017 zunächst, dass eine zwangsweise Ausschaffung des Betroffenen nach Äthiopien nicht möglich sei. Allerdings sei eine freiwillige Ausreise durchaus denkbar und die äthiopischen Behörden würden die allenfalls notwendigen Reisepapiere auch ausstellen. Zu prüfen sei vorliegend, ob die Eingrenzung im Sinne von Art. 74 AuG einzig auf die Vorbereitung und Durchführung der (zwangsweisen) Ausschaffung gerichtet und deshalb unzulässig ist, wenn eine solche unmöglich erscheint.

Die Bundesrichter/innen kommen zum Schluss, dass sich dem Gesetze eine solche Einschränkung der Zwecksetzung nicht entnehmen lasse. Einzige gesetzliche Voraussetzungen für die Massnahme seien das Vorliegen eines rechtskräftigen Wegweisungsentscheids und das Verstreichenlassen der Ausreisefrist oder konkrete Anzeichen, dass die Ausreise unterbleiben werde. Der Wortlaut spreche somit dagegen, dass die Massnahme nur zulässig sein soll, wenn eine zwangsweise Ausschaffung möglich ist. Auch eine historische und systematische Auslegung von Art. 74 AuG führe zu keinem anderen Ergebnis. Sinn und Zweck der Bestimmung sei, «dass die rechtskräftige Wegweisungsverfügung durchgesetzt und damit der rechtmässige Zustand wiederhergestellt wird. Es gibt keinen Grund, weshalb sich diese Zielsetzung nur auf die zwangsweise Ausschaffung, nicht aber auf die Förderung der freiwilligen Rückkehr beziehen soll.» Die Unmöglichkeit der Ausschaffung ändere nichts an der Ausreiseverpflichtung des Betroffenen.

Weiter hält das Bundesgericht fest, dass die Eingrenzung auf das Gebiet des Bezirks Dietikon verhältnismässig sei. Der Betroffene machte geltend, dass ihm die Eingrenzung auf den Bezirk Dietikon den Zugang zu Deutschkursen verunmögliche und sich im ursprünglichen Eingrenzungsbereich (Urdorf) keine Moschee befinde. Diesbezüglich hält das Gericht fest, dass auch im Bezirk Dietikon Deutschkurse angeboten werden und sich in diesem Gebiet auch eine Moschee befinde. Es könne auch nicht ernsthaft behauptet werden, die Eingrenzung würde dem Betroffenen alle sozialen Kontakte verunmöglichen. Zudem wäre im vorliegenden Fall auch die Durchsetzungshaft (Art. 78 AuG) möglich gewesen, weshalb das mildere Mittel der Eingrenzung nicht unverhältnismässig sein könne.

Auch die Dauer der Eingrenzung (zwei Jahre) sei im Hinblick auf die Verhältnismässigkeit nicht zu beanstanden. Eine Massnahme dürfe grundsätzlich nicht weiter gehen, als zur Erreichung des Ziels erforderlich sei, aber eben auch nicht weniger weit. Der Betroffene halte sich nun schon fast zwei Jahre illegal in der Schweiz auf und deswegen sei das legitime Ziel der Massnahme – nämlich den Betroffenen zur Ausreise zu bewegen – noch nicht erreicht worden, weshalb die Massnahme nicht über das Erforderliche hinausgehe. «Da der Aufenthalt des Beschwerdegegners seit Ablauf der Ausreisefrist ohnehin in der ganzen Schweiz rechtswidrig ist, verbietet ihm die Eingrenzung auf den Bezirk [Dietikon] nichts was ihm nicht ohnehin schon verboten ist […]».

Aufgrund dieser Überlegungen hebt das Bundesgericht das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Zürich vom 01. Februar 2017 auf und bestätigt die Verfügung des Zwangsmassnahmengerichts vom 28. September 2016.

Kommentar

Die Eingrenzung von abgewiesenen Asylsuchenden gemäss Art. 74 AuG mag rein rechtlich gesehen in gewissen Fällen eine legitime und verhältnismässige Massnahme darstellen, um die Ausreise dieser Menschen aus der Schweiz sicherzustellen oder zu «fördern». Das Urteil des Bundesgerichts im vorliegenden Fall muss allerdings in mehrerer Hinsicht kritisiert werden: So wurde die Verhältnismässigkeit der Eingrenzung u.a. damit begründet, dass die strengere Massnahme der Durchsetzungshaft ebenfalls möglich gewesen wäre. Insofern könne die mildere Massnahme der Eingrenzung nicht unverhältnismässig sein. Diese Ansicht verkennt, dass die blosse Existenz einer strengeren Sanktionsmöglichkeit keine Rückschlüsse auf die Verhältnismässigkeit der «milderen» Massnahme im Einzelfall erlaubt. Die Prüfung der Verhältnismässigkeit muss im Lichte der konkret angeordneten Massnahme oder Sanktion und den Umständen des Einzelfalls erfolgen. Der Verweis auf die strengere Durchsetzungshaft genügt deshalb nicht.

Ebenfalls muss die pauschale Annahme der Möglichkeit zur freiwilligen Rückkehr nach Äthiopien kritisch beurteilt werden. Gemäss den Länderinformationen des Staatssekretariats für Migration sei der äthiopische Staat «meist  nicht  in der  Lage,  mögliche  belastende  Informationen  über  die  Rückkehrenden  zu  sammeln.» Diese Einschätzung ist offenbar alles andere als gesichert und bietet keine ausreichende Grundlage für die Garantie, dass ein freiwilliger Rückkehrer im Einzelfall nicht mit ernsthaften Sanktionen rechnen müsste. Selbst wenn effektiv kein allgemeines Risiko von Sanktionen besteht, so muss die Möglichkeit einer freiwilligen Rückkehr zumindest am konkreten Einzelfall überprüft werden und kann nicht einfach pauschal unterstellt werden.