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Gouverner c’est préserver – wenn der Berg eine Maus gebärt

03.06.2016

von Tarek Naguib, Zentrum für Sozialrecht (ZSR) der ZHAW

Im Bericht «Recht auf Schutz vor Diskriminierung» kommt der Bundesrat zum Schluss, das Schweizer Recht biete einen ausreichenden Schutz vor Diskriminierung, vor allem im Bereich des öffentlichen Rechts. Im Privatrecht hingegen sei der Schutz lückenhaft; eine explizite Diskriminierungsnorm im Privatrecht lehnt er dennoch ab. Ausserdem verweist er auf ohnehin laufende Projekte und hängige parlamentarische Vorstösse wie die Ausweitung des Schutzbereiches der Rassismusstrafnorm auf Diskriminierung wegen sexueller Orientierung. Unter dem Strich: Der Bundesrat nimmt die Ergebnisse der differenzierten SKMR-Studie «Zugang zur Justiz in Diskriminierungsfällen» und die menschenrechtlichen Verpflichtungen der Schweiz nicht ernst; seine Folgerungen sind sachlich nicht nachvollziehbar und an vielen Stellen widersprüchlich.

Unbegründete Ablehnung

Die Schweizer Regierung betrachtet die vorhandenen Grundlagen im Bereich des öffentlichen Rechts als «grundsätzlich angemessen und ausreichend», begründet aber nicht, warum sie den Aufforderungen internationaler Menschenrechtsorgane zur Schaffung wirksamer Regelungen gegen staatliche Diskriminierung mit wenigen Ausnahmen nicht nachkommt. Eine Reihe von Studien weisen etwa multiple Diskriminierungen («Mehrfachdiskriminierungen») aufgrund des Geschlechts, der Herkunft, der äusseren Erscheinung, des Lebensalters  und der soziökonomischen Situation in den Bereichen Polizei und Justiz, Soziale Sicherheit und Bildung nach. Die tatsächlich eingereichten und schliesslich erfolgreichen Beschwerden hingegen beschränken sich weitgehend auf die Behindertendiskriminierung im Bildungsbereich und die Lohndiskriminierung aufgrund des Geschlechts – dank dem Behindertengleichstellungsgesetz BehiG und dem Gleichstellungsgesetz GIG. Trotz offensichtlicher Mängel äussert sich der Bundesrat nicht dazu, wie er das Problem des Zugangs zum Recht lösen möchte, mit Ausnahme des unverbindlichen Hinweises, dass nicht rechtsförmigen Konfliktlösungsverfahren wie zum Beispiel Vermittlung durch Beratungsstellen mehr Gewicht beigemessen werden soll.

Ferner lehnt der Bundesrat die Einführung einer expliziten Diskriminierungsnorm zur Beseitigung von Diskriminierung im Privatrecht ab. Anstatt eines der Herzstücke der Empfehlungen des SKMR in politisch starke Argumente zu übersetzen und diese zu verteidigen, will er spezifische Regelungen im Arbeitsleben, Mietrecht und allgemeinen Vertragsrecht prüfen, bleibt allerdings in diesem Punkt sehr vage und unverbindlich. Immerhin ist er gewillt, eine Erleichterung der Verfahrenskosten zu prüfen.

Spielball politischer Kräfteverhältnisse

Gänzlich unverständlich wird die ablehnende Haltung gegen die Einführung eines allgemeinen Diskriminierungsverbotes, wenn der Bundesrat Massnahmen zum Ausbau des Verbandsklagerechts, der Beweisführungserleichterung, niedrigschwelliger Schlichtungsmechanismen und der Einführung einer Ombudsstelle ablehnt, weil er sie entweder als systemwidrig bezeichnet oder weil er bezweifelt, dass ein Konsens dafür besteht. Dies klingt in den Ohren von Diskriminierungsbetroffenen geradezu zynisch, wären diese international praxiserprobten Erleichterungen des Zugangs zum Recht doch umso notwendiger, als sich die Betroffenen weiterhin nur auf das bestehende Recht stützen können. Stattdessen erklärt sich die Schweizer Regierung für faktisch unzuständig. Mehr noch, mit der Aussage, eine privatrechtliche Diskriminierungsklausel «könnte erneut Diskussionen entfachen, weil dadurch Erwartungen geweckt würden, die auch mit einer detaillierten Umschreibung des Diskriminierungsschutzes nicht vollständig erfüllt werden könnten», macht sie sich selbst zum Spielball der politischen Kräfteverhältnisse. Anstatt am geläufigen Motto «gouvernér c’est prévoir» orientiert sich die Schweizer Regierung offenbar an der Devise «gouvernér c’est préserver».

Die lange Bank lässt grüssen

Bei der Lektüre des Berichts kommt der Verdacht auf, dass der Bundesrat den Handlungsbedarf mit fadenscheinigen Argumenten auf die lange Bank schieben möchte. Mit einer generellen Diskriminierungsschutznorm, so der Bundesrat, würden «Unklarheiten im Zusammenhang mit den geltenden spezialgesetzlichen Regelungen geschaffen». Gerade diese Unklarheiten hätten nun aber beiseite geschafft werden können: Ausführungen zu den Vor- und Nachteilen der unterschiedlichen Regulierungsmöglichkeiten im Rahmen des Privat-, Straf- und Verwaltungsrechts fehlen weitestgehend; eine rechtsvergleichende Analyse hierzu liegt nicht vor trotz zahlreicher interessanter Erkenntnisse aus der internationalen Forschung der letzten Jahrzehnte.

Zudem geht der Bericht des Bundesrats auf vieles, was im Postulat von Martin Naef gefordert wird, nicht ein: So ist der Fokus von Anfang an auf die Bereiche Geschlecht, LGBTI, Behinderung und Rassismus beschränkt; Alters- und Armutsdiskriminierung sind kein Thema. Ferner werden auch in jenen Bereichen, die Thema waren, wesentliche Aspekte ausgelassen: Zusammenhänge zwischen Rassismus und migrationsrechtlichem Status werden nicht dargestellt, obwohl gerade Menschen mit einem prekären migrationsrechtlichen Status besonders hohe Hürden beim Zugang zum Schutz vor mehrfacher rassistischer Diskriminierung erfahren. Ausserdem wird im Bundesratsbericht nicht auf die seit langem ungelöste Frage der Diskriminierung Schweizer Fahrender und der rassistischen Diskriminierung ausländischer Fahrender eingegangen.  

Gleichbehandlungsgesetz: Diskussion abgewürgt

Auch die generelle Absage an ein allgemeines Gesetz gegen Diskriminierung ist falsch, obwohl sie sich auf eine Einschätzung des SKMR abstützt. Damit wird die nötige Diskussion über ein solches Gesetz bzw. mögliche Modelle blockiert. Erfahrungen aus dem Ausland wie z.B. die komplexe Entstehungs- und Entwicklungsgeschichte des Equality Act 2010 in Grossbritannien und die rechtliche Situation in den USA und den Niederlanden zeigen, dass ein spezialgesetzlicher Diskriminierungsschutz und ein allgemeines Antidiskriminierungsgesetz einander nicht ausschliessen, sondern eine fruchtbare Ergänzung bedeuten können. So wäre es gerade mit Blick auf die föderalistische Ordnung in der Schweiz interessant zu prüfen, ob ein Allgemeines Rahmengesetz den nötigen spezialgesetzlichen Vorkehrungen auf allen drei Ebenen des Gemeinwesens nicht wichtige Impulse verleihen könnte. Interessant in diesem Zusammenhang wäre auch ein Blick in das ebenfalls föderalistische System Österreichs.

Partizipation der Betroffenen

Auch da, wo der Bericht grundsätzlich Positives hervorbringt, bestehen Herausforderungen: Gemäss Bundesrat prüft das Bundesamt für Justiz derzeit, ob ein einfaches Verfahren für die Änderung des Geschlechts im Zivilstandsregister auf Gesetzesstufe eingeführt werden soll. Dieses Ziel ist zu begrüssen, wichtig ist allerdings, dass hier die Betroffenenorganisationen einbezogen werden, die die Schwierigkeit hier vor allem in der Rechtsanwendung sehen.

Die Behörden sollen die Forderung «Nothing about us without us» für die weiteren Arbeiten ernst nehmen. Dies gilt auch für die Umsetzung der Evaluation des Behindertengleichstellungsgesetzes und die damit verbundenen Folgearbeiten, auf die der Bundesrat in seinem Bericht verweist.

Am Schluss bleibt die Hoffnung, dass sich der Bundesrat nach dieser Geburt einer Maus künftig weniger auf kurzfristige politische Opportunitäten konzentriert, sondern vermehrt auf die wissenschaftlichen Erkenntnisse setzen wird. Denn Nationalrat Martin Naef forderte eine grund- und menschenrechtlich fundierte Analyse des geltenden Diskriminierungsschutzes in einem Postulat, dem übrigens damals von den Experten/-innen in der Bundesverwaltung politisch kaum eine Chance eingeräumt worden war.

Dokumentation