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Rassistisches Profiling

Rassistisches Profiling – Wa Baile

20.02.2024

Ein beispielhafter strategischer Prozess ist der Fall von Mohamed Wa Baile, der sich durch alle Instanzen bis an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gegen rassistisches Profiling wehrte.

Rassistisches Profiling (engl. Racial Profiling) bezeichnet diskriminierende Kontrollen von Personen, welche von Polizist*innen als ethnisch oder religiös fremd wahrgenommen werden. Solche Polizeikontrollen hatte auch Mohamed Wa Baile schon oft erlebt, als er am 5. Februar 2015 am Hauptbahnhof Zürich erneut von zwei Polizisten als Einziger aus der Pendlermasse herausgepickt wurde. Da die Beamten angaben, dass keine schwarze Person gesucht sei, weigerte Wa Baile sich, seinen Namen zu nennen und sich auszuweisen. Daraufhin durchsuchten die Polizisten seinen Rucksack und fanden seinen AHV-Ausweis, worauf sie ihn gehen liessen.

Am 16. März 2015 erhielt Wa Baile einen Strafbefehl wegen Nichtbefolgens polizeilicher Anordnungen in der Höhe von 100 Franken. Wa Baile entschied sich, diesen anzufechten. Er hatte damals schon seit zehn Jahren das Schweizer Bürgerrecht und war es leid, aufgrund seiner Hautfarbe ständig unter Generalverdacht zu stehen und entwürdigende Polizeikontrollen in der Öffentlichkeit über sich ergehen zu lassen. Mit dem rechtlichen Verfahren wollte er auf diese Problematik, welche viele Dunkelhäutige in der Schweiz betrifft, aufmerksam machen und die Bevölkerung sensibilisieren.

Am 7. November 2016 verurteilte das Bezirksgericht Zürich Wa Baile erstinstanzlich. Der Richter erklärte, dass er einzig den Strafbefehl wegen Nichtbefolgens einer polizeilichen Anordnung zu beurteilen und nicht darüber zu befinden habe, ob in der Stadtpolizei rassistische Stereotypen institutionell verankert seien. Der Strafbefehl sei rechtmässig erfolgt, da die Verweigerung einer polizeilichen Aufforderung nur in absoluten Ausnahmesituationen zulässig sei. Diese Verurteilung von Wa Baile wurde am 25. August 2017 zunächst durch das Obergericht des Kantons Zürich und am 7. März 2018 schliesslich durch das Bundesgericht bestätigt.

Parallel zum strafrechtlichen Verfahren hat Wa Baile am Züricher Verwaltungsgericht ein verwaltungsrechtliches Feststellungsbegehren eingereicht. Das Gericht entschied am 1. Oktober 2020, dass für die polizeiliche Personenkontrolle nicht genügend objektive Anhaltspunkte vorlagen und sie damit rechtswidrig war. Offen liessen die Richter*innen hingegen, ob es sich dabei auch um eine Diskriminierung aufgrund der Hautfarbe gehandelt hat. Damit verpasste es das Gericht, institutionellen Rassismus beim Namen zu nennen. Auch dieses Verfahren wurde ans Bundesgericht weitergezogen. Dieses stützte jedoch die Polizei und die Vorinstanzen.

Rund um den Gerichtsfall von Wa Baile hat sich die zivilgesellschaftliche Gruppe «Allianz gegen Racial Profiling» gebildet. Sie besteht aus Aktivist*innen, Wissenschaftler*innen, Kulturschaffenden und Menschenrechtsorganisationen, die strukturellen Rassismus bekämpfen. Mit Unterstützung dieser Allianz hat Wa Baile seinen Fall im September 2018 nach Strassburg an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte weitergezogen. Dieser behandelt nun sowohl das strafrechtliche wie auch das verwaltungsrechtliche Verfahren.

Zwei namhafte Organisationen, Amnesty International und die Open Society Justice Initiative, haben anfangs 2021 in Wa Bailes Fall am EGMR als Drittparteien interveniert. Sie haben jeweils eine Zusammenfassung über die internationale, europäische und nationale Rechtslage bezüglich Racial Profiling erstellt, um den zuständigen Richter*innen eine Übersicht über das anwendbare Recht zu verschaffen.

Anfangs 2022 hat der EGMR den Fall als sogenannten «Impact»-Fall deklariert. Als solche werden nur sehr wenige EGMR-Fälle behandelt, die für den betreffenden Staat und/oder das EMRK-System insgesamt von Bedeutung sind und eine schnellere Bearbeitung rechtfertigen. 

Am 20. Februar 2024 hat der Gerichtshof einstimmig entschieden, dass drei Verstösse gegen die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) vorliegen. Die Schweiz habe zweifach gegen das Diskriminierungsverbot gemäss Art. 14 EMRK in Verbindung mit Art. 8 (Recht auf Achtung des Privatlebens) verstossen. Erstens stellte das Gericht in Anbetracht der besonderen Umstände der Identitätskontrolle eine Diskriminierung Wa Bailes aufgrund seiner Hautfarbe fest. Zweitens hätten die Schweizer Gerichte nicht wirksam geprüft, ob bei der Kontrolle diskriminierende Gründe eine Rolle gespielt hatten. Weiter stellt der EGMR eine Verletzung von Art. 13 EMRK (Recht auf wirksame Beschwerde) fest: Wa Baile sei in Bezug auf seine Beschwerde vor den inländischen Gerichten kein wirksamer Rechtsbehelf zur Verfügung gestanden.

Ausführlichere Informationen zu diesem Fall finden Sie hier auf unserer Informationsplattform.

kontakt

Marianne Aeberhard
Leiterin Projekt Zugang zum Recht / Geschäftsleiterin

marianne.aeberhard@humanrights.ch
031 302 01 61
Bürozeiten: Mo/Di/Do/Fr

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