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ASEAN Menschenrechtserklärung

16.11.2020

vom 18. November 2012

Vertragstext: englisch

Die südostasiatische Staatengruppe ASEAN hat anlässlich ihres 21. Gipfeltreffens in Phnom Penh im November 2012 eine eigene «ASEAN Human Rights Declaration» (AHRD) verabschiedet. Um einzelne Formulierungen der ASEAN-Deklaration wurde bis zuletzt gekämpft. Das UNO-Hochkommissariat für Menschenrechte UNHCHR hatte vergeblich versucht, darauf hinzuwirken, dass die Annahme der ASEAN-Deklaration verschoben wird.

Die Staatsoberhäupter von Brunei, Kambodscha, Indonesien, Laos, Malaysia, Myanmar, Philippinen, Singapur, Thailand und Vietnam haben die rechtlich unverbindliche Deklaration am 18. Nov. 2012 in einer feierlichen Zeremonie unterzeichnet.

Der vorliegende Deklarationstext ist als Kompromiss unterschiedlicher Interessen und Absichten zu verstehen. Die AHRD enthält jedoch einige höchst umstrittene Passagen.

Kritik an Unterbietung von internationalen Standards

Sowohl gewichtige UNO-Instanzen wie auch viele lokale und regionale NGO, insbesondere auch Frauenorganisationen, haben die Verabschiedung der ASEAN-Deklaration ungewöhnlich scharf kritisiert. Denn der Text enthält vor allem in den allgemeinen Bestimmungen einige Schlupflöcher, welche offensichtlich dazu geeignet sind, die internationalen Menschenrechts-Standards auszuhebeln.

Kritik der Uno-Sonderberichterstatter/innen

So hat das Koordinations-Komitee der UNO-Sonderberichterstatter/-innen in einem offenen Brief vom 16. Nov. 2012 auf die folgenden Punkte hingewiesen:

  • Fundamentale Rechte wie das Recht auf Leben dürfen nicht, wie in Art. 11 AHRD vorgesehen, mit einer pauschalen Ausnahmeklausel «gemäss nationalem Recht» relativiert werden.
  • Art. 6 AHRD besagt, die Beanspruchung von Menschenrechten und grundlegenden Freiheiten müsse im Gleichgewicht stehen mit der Ausübung entsprechender Pflichten, welche jede Person gegenüber anderen Personen, der (lokalen) Gemeinschaft sowie der Gesellschaft habe. Diese Auffassung sei den internationalen Menschenrechten fremd und gebe den Regierungen zu viel Handlungsspielraum, um Menschenrechte auf eine willkürliche, unverhältnismässige und unnötige Weise einzuschränken.
  • Letzteres treffe auch auf einige in der AHRD genannten Gründe für die legitime Einschränkung von Menschenrechten zu, so «public morality», «public order», «national security» (vgl. Art. 8 AHRD). Diesbezüglich vermissen die UNO-Experten/-innen eine Erwähnung der üblichen Bedingungen für die legitime Einschränkung von Menschenrechten, nämlich eine gesetzliche Grundlage sowie die Notwendigkeit und Verhältnismässigkeit. Auch sei in der AHRD weder festgelegt, dass die Einschränkungen den Kerngehalt eines Menschenrechts nicht tangieren dürfen, noch, dass es eine Sorte von Menschenrechten gibt (z.B. das Folterverbot), die überhaupt nicht einschränkbar sind.
  • Weiter wird von den Sonderberichterstattern/-innen kritisiert, dass die AHRD das Asylrecht unter den Vorbehalt nationalen Rechts stellt und keinen Bezug auf das Non-Refoulement-Prinzip macht (vgl. Art. 16 AHRD).

Diese kurz vor dem entscheidenden ASEAN-Gipfeltreffen öffentlich geäusserten grundsätzlichen Kritikpunkte hatten offensichtlich keine Auswirkungen auf den definitiven Text der AHRD.

Kritik der UNO-Hochkommissarin

Die UNO-Hochkommissarin Navi Pillay hatte im Vorfeld der Verabschiedung die ASEAN öffentlich angemahnt, die Zivilgesellschaft und andere Akteure besser in den Prozess einzubeziehen und auf mögliche Einschränkungen von Menschenrechten zu verzichten, die nicht im Einklang mit dem internationalen Recht stehen. Nach der Verabschiedung der AHRD stellte Pillay zwar mit Genugtuung fest, dass die Staatschefs in letzter Minute einen Passus aufgenommen haben, der die Einhaltung der bestehenden menschenrechtlichen Verpflichtungen der beteiligten Staaten betont (vgl. Art. 40 AHRD); doch sie fügt bei, in Zukunft müsse es darum gehen, zu verhindern, dass die ASEAN solche Bestimmungen aus der AHRD in verbindliche Konventionen umgiesse, welche mit dem internationalen Recht nicht vereinbar sind.

Kritik von Nichtregierungsorganisationen

Viele Nichtregierungsorganisationen haben mit Enttäuschung und harscher Kritik auf die Verabschiedung der AHRD reagiert. In einer bei internationalen und lokalen NGO sehr breit abgestützten Medienmitteilung nennt Human Rights Watch das Dokument eine als Menschenrechtserklärung getarnte Deklaration der Regierungsmächte. Die AHRD werde den Mächtigen sogar Standard-Rechtfertigungen für Menschenrechtsverletzungen liefern, meint die einflussreiche Menschenrechtsorganisation.

Von einem regionalen Verbund von Frauenorganisationen wird ausser auf die bereits angesprochenen Kritikpunkte auf Art. 7 AHRD hingewiesen, wo es heisst, dass die Menschenrechte zwar universal und unteilbar seien, gleichzeitig aber ihre Umsetzung auch im regionalen und nationalen Kontext betrachtet werden müsse, wobei politische, ökonomische, rechtliche, soziale, kulturelle, historische und religiöse Besonderheiten zu beachten seien. Diese Formulierung erlaube es den Regierungen, in Konfliktfällen weiterhin die patriarchalen Traditionen zu stützen, und sich dabei noch auf die ASEAN-Menschenrechtserklärung berufen zu können.

Kurzum: In der Region tätige Menschenrechtsorganisationen lehnen die AHRD rundweg ab. Das von Human Rights Watch veröffentlichte kollektive NGO-Statement enthält eine explizite Weigerung, sich künftig bei der praktischen Menschenrechtsarbeit auf die AHRD zu beziehen.

Andere Stimmen

Nach diesen eindeutig ablehnenden NGO-Reaktionen zu urteilen muss die AHRD bereits als gescheitert betrachtet werden. Dennoch enthält die AHRD durchaus auch einige auf den ersten Blick innovative Ansätze, so in den Kapiteln über die Sozialrechte, das Recht auf Entwicklung und in Art. 38 zum Recht auf Frieden. Ob die eine oder andere Formulierung für die weitere internationale Rechtsentwicklung als relevant einzustufen ist, wird in akademischen Kreisen sicher noch vertieft diskutiert werden.

Es gibt Stimmen, welche versuchen, auch für die Praxis die positiven Seiten der AHRD in den Vordergrund zu rücken, zumal für die internationale Politik: als einen Kompromiss zwischen Regierungen, die in der Bewertung der Menschenrechte tief gespalten sind. In diesem Sinne wird die AHRD als der kleinste gemeinsame Nenner der ASEAN-Staaten im Bereich der Menschenrechte gewürdigt.

Hintergründe der Entstehung der ASEAN-Deklaration

In einem Beitrag der Konrad-Adenauer-Stiftung werden die Hintergründe der Entstehung der ASEAN-Erklärung der Menschenrechte aufgezeigt. Darin wird deutlich, dass das Resultat nicht zuletzt als Folge der unterschiedlichen menschenrechtspolitischen Positionen der beteiligten Staaten zu verstehen ist. Der kleine gemeinsame Nenner erklärt auch die Geheimniskrämerei und Intransparenz im Entstehungsprozess.