14.01.2013
Jedes Recht hat einen Rechtsträger und einen Adressaten des Rechtsanspruchs. Jedem Recht eines Rechtsträgers entspricht auf Adressatenseite eine Pflicht.
Rechtsträger der Menschenrechte ist das menschliche Individuum; Adressat der Menschenrechte hingegen ist der einzelne Staat. Die Rechte des Individuums haben ihr Gegenstück in den Pflichten des Staates. Um was für Pflichten handelt es sich?
Dreierlei Arten von staatlichen Pflichten
In der Rechtslehre werden drei Arten von staatlichen Pflichten als logische Kehrseite eines Menschenrechts unterschieden: Achtungspflichten, Schutzpflichten und Gewährleistungspflichten.
Achtungspflichten (auch «Unterlassungspflichten» genannt)
Die erste Pflicht des Staates besteht in der Achtung der Menschenrechte. Achtung meint die Pflicht, es zu unterlassen, durch staatliches Handeln die Menschenrechte der Individuen aktiv zu verletzen. Dem entspricht auf Seiten des Individuums der Anspruch, staatliche Eingriffe in seine Menschenrechte abzuwehren. Dieses Abwehrrecht bzw. die entsprechende Achtungs- oder Unterlassungspflicht gelten aber in der Regel nicht absolut. Es gibt legitime Gründe für die Einschränkung von Menschenrechten durch den Staat.
Schutzpflichten
Die zweite Pflicht des Staates besteht in der Pflicht zum Schutz der Menschenrechte eines Individuums vor den Übergriffen von Dritten, also von Privatpersonen oder sonstigen nichtstaatlichen Akteuren wie Wirtschaftsunternehmen oder Sportvereinen. Der Staat ist verpflichtet, die nötigen Vorkehrungen zu treffen, um eine erkannte Gefahr zur Beeinträchtigung von Menschenrechten durch Dritte zu verhindern. Und falls die Rechtsverletzung bereits passiert ist, muss der Staat für Wiedergutmachung sorgen.
Gewährleistungspflichten
Die dritte Pflicht des Staates besteht darin, zu gewährleisten, dass ein Individuum seine Menschenrechte tatsächlich realisieren kann. Dies bedeutet, dass der Staat verpflichtet ist, die notwendigen Voraussetzungen zu schaffen, welche die Verwirklichung eines Menschenrechts erst ermöglichen. So muss der Staat ein Schulsystem aufbauen; sonst macht das Recht auf Bildung keinen Sinn. Je nach dem konkreten Recht ist der Staat auch verpflichtet, bestimmte Leistungen zu erbringen.
Brauchbares Analyse-Instrument
Wenn es um die Beantwortung der Frage geht, welche Verpflichtungen ein Staat eingegangen ist, wenn er in einem internationalen Vertrag bestimmte Menschenrechtsgarantien ratifiziert hat, so hat es sich als fruchtbar herausgestellt, die Analyse der staatlichen Verpflichtungen nach diesen drei Arten von Pflichten durchzuführen.
Man kann sich bei jedem verbrieften Menschenrecht fragen: Was darf der Staat nicht tun? Auf welche Weise muss der Staat das Recht des Individuums gegenüber Übergriffen von Dritten schützen? Und welche Voraussetzungen muss der Staat schaffen, damit das Recht in der Praxis gelebt werden kann?
Beispiele für Kurz-Analysen von allen elementaren Menschenrechten nach diesen drei Arten von Pflichten finden sich in folgender Rubrik: