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Rechte von Minderheiten und indigenen Völkern - Dossier

Was sind «Indigene Völker»?

26.07.2016

Die Bezeichnung «indigenus» stammt aus dem Lateinischen und bedeutet «eingeboren» oder «einheimisch». Eine völkerrechtliche Definition des Begriffs «Indigene Gruppen» wurde mit der Errichtung der United Nations Working Group on Indigenous Populations im Jahre 1982 entwickelt, um bestimmen zu können, wer überhaupt an dieser Arbeitsgruppe teilnehmen und in ihr mitreden sollte.

Elemente einer Definition

Bereits 1982 wurde von der «UNO-Arbeitsgruppe zu den indigenen Bevölkerungsgruppen» eine Arbeitsdefinition entwickelt: «Indigene Populationen bilden sich aus den heutigen Nachfahren der Völker, die das gegenwärtige Territorium eines Landes ganz oder teilweise bewohnten zur Zeit, als Menschen einer anderen Kultur oder ethnischen Herkunft aus anderen Teilen der Welt dort ankamen, und die ansässigen Völker unterwarfen und durch Eroberung, Besiedlung oder anderen Mitteln in eine untergeordnete oder koloniale Situation versetzten; die heute mehr in Übereinstimmung mit ihren sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Bräuchen und Traditionen leben als mit den Institutionen des Landes, von dem sie nun Teil sind, unter einer staatlichen Struktur, die hauptsächlich die nationalen, sozialen und kulturellen Merkmale anderer Bevölkerungssegmente verkörpert, die vorherrschend sind.» (vgl. E/CN.4/Sub.2/L.566, Chapter 11)

Aus der U.N. Working Definition of Indigenous Populations von 1982 sind die folgenden vier Hauptkriterien der Indigenität hervorzuheben:

  • Historische Kontinuität: Indigene Gruppen behaupten eine historische Kontinuität mit den Ureinwohnern eines bestimmten Gebietes vor dessen Eroberung oder Besiedlung von aussen. Daraus erklären sie sich ihre enge Bindung zum Territorium, in welchem sie leben.
  • Marginalität: Aufgrund einer Geschichte von Besiedlung und Eroberung von aussen nehmen indigene Gruppen heute eine gesellschaftliche Randstellung innerhalb des Staates ein, in welchem sie leben.
  • Kulturelle Distanzierung: Indigene Gruppen markieren eine starke Distanz zur Kultur der dominanten Gesellschaft des Staates, in dem sie leben. Sie beharren auf ihren tradierten kulturellen Eigenheiten und soziopolitischen Organisationsformen.
  • Selbstidentifikation als Volk: Das Bewusstsein, Teil einer abgeschlossenen eigenständigen Gemeinschaft zu sein, ist bei den Mitgliedern indigener Gruppen verbreitet und prägend..

Indigenes Volk oder ethnische Minderheit?

Im Anfangsstadium der internationalen indigenen Bewegung im Rahmen der UNO galten hauptsächlich jene Gruppen als indigen, welche sich als Nachfahren der Ureinwohner/innen der ehemaligen europäischen Siedlerkolonien Amerikas, Australiens und der Pazifikregion verstanden.

Umstritten ist die Verwendung des Begriffs der indigenen Gruppe in vielen Kontexten in Asien und Afrika, wo im Zuge der Dekolonialisierung bestimmte einheimische Eliten die Macht übernommen haben, sowie in Europa, wo die Ausbreitung der modernen Nationalstaaten viele ethnische Gruppen in zweitrangige Randgruppen verwandelte. In diesen Kontexten wird auch von «internem Kolonialismus» gesprochen, um auf die Marginalisierung bestimmter ethnischer Gruppen aufmerksam zu machen, die sich selbst als die Nachfahren der Ureinwohner/innen bestimmter Gebiete verstehen. Die Situation solcher Minderheiten ähnelt jener indigener Völker in anderen Teilen der Welt. Die Regierungen der betreffenden Staaten akzeptieren jedoch die Bezeichnung «indigen» für solche ethnischen Minderheiten oft nicht, mit der Begründung, dass andere Bevölkerungsgruppen und auch die jeweilige Mehrheitsbevölkerung das heutige Staatsterritorium ebenfalls bereits seit langer Zeit besiedeln würden. Oft sei nicht schlüssig belegt, welche Gruppe zuerst in einer bestimmten Region ansässig war.

Weil die Abgrenzung von «ethnisch» und «indigen» an unterschiedliche Rechtsansprüche gekoppelt ist, handelt es sich nicht nur um eine akademische, sondern auch um eine rechtspolitische Definitionsfrage. Die rechtliche Stellung von ethnischen, sprachlichen und religiösen Minderheiten ist im Rahmen des UNO-Menschenrechtsschutzes relativ schwach ausgebildet. Gleichzeitig haben Vertreter/innen von indigenen Gruppen mit der Deklaration der Rechte indigener Völker im Rahmen der UNO ein eigenes Rechtsinstrument mit relativ starken Autonomiegarantien erlangt. Die Tendenz geht dahin, dass viele Gruppen, die bislang als «ethnische Minderheiten» klassifiziert wurden, für sich den Status von «indigenen Gruppen» reklamieren, was ihnen von Seiten der Staaten gewöhnlich nicht zugestanden wird.

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