26.07.2016
Sowohl im Rahmen des Europarates als auch der OSZE wird der Begriff der «nationalen Minderheit» verwendet. Allerdings gibt es keine allseits akzeptierte Definition dieses Begriffs.
Kriterien des Europarats
Die Parlamentarische Versammlung des Europarates wagte 1993 einen Definitionsversuch. In einem Entwurf für ein Zusatzprotokoll zur EMRK betreffend den Schutz nationaler Minderheiten (das nicht zustande kam) wird als nationale Minderheit eine Gruppe von Personen bezeichnet, welche
- im Hoheitsgebiet eines Staates ansässig und dessen Staatsbürger/innen sind,
- langjährige, feste und dauerhafte Bindungen zu diesem Staat haben,
- besondere ethnische, kulturelle, religiöse oder sprachliche Merkmale aufweisen,
- ausreichend repräsentativ sind, obwohl ihre Zahl geringer ist als die der übrigen Bevölkerung dieses Staates oder einer Region dieses Staates,
- den Willen haben, die für ihre Identität charakteristischen Merkmale gemeinsam zu erhalten.
Die Erfordernisse der Staatsangehörigkeit und der dauerhaften Bindungen sind umstritten. Der Beratende Ausschuss des Europarates, das Überwachungsorgan des Rahmenübereinkommens zum Schutz nationaler Minderheiten, forderte die Vertragsstaaten mehrmals dazu auf, den Anwendungsbereich des Rahmenabkommens auf neue, bisher nicht geschützte Minderheiten auszuweiten.
Die meisten Staaten halten demgegenüber am Erfordernis der Staatsangehörigkeit fest. So etwa die Schweiz, die anlässlich der Ratifizierung des Rahmenübereinkommens zum Schutz nationaler Minderheiten die Erklärung abgab, wonach sie nur diejenigen Gruppen als «nationale Minderheiten» anerkenne, deren Angehörige die schweizerische Staatsbürgerschaft besitzen und alte, solide und dauerhafte Bindungen zur Schweiz unterhalten
Fehlende Minderheitendefinition in der OSZE
Im Rahmen der OSZE ist der Begriff der «nationalen Minderheit» gebräuchlich. Dieser wird in der Regel als Oberbegriff für religiöse, sprachliche, ethnische und kulturelle Minderheiten verwendet. Allerdings fehlt auch auf der Ebene der OSZE eine allgemein anerkannte und verbindliche Definition des Begriffs der nationalen Minderheit. Die OSZE-Staaten haben sich aber immerhin darauf geeinigt, dass nicht mehr die Staaten definieren, welche Minderheiten auf seinem Territorium leben und wer ihr angehört. Es liegt vielmehr in der Entscheidung des Einzelnen, sich als Angehörigen einer Minderheit zu deklarieren oder nicht. In diesem Sinne hält das Schlussdokument des Kopenhagener Treffens über die menschliche Dimension von 1990 im Artikel 32 fest: «Die Zugehörigkeit zu einer nationalen Minderheit ist Angelegenheit der persönlichen Entscheidung eines Menschen und darf als solche für ihn keinen Nachteil mit sich bringen.»
Weiterführende Links
- Umsetzung Minderheitenabkommen - betroffene Gruppen in der Schweiz
Dokumentation auf humanrights.ch - Welche Minderheiten? Von der fehlenden Definition der nationalen Minderheit zu einer dynamischen Auslegung im Rahmenübereinkommen des Europarats
Diplomarbeit von Doris Angst, Bern 2005 (pdf, 89 S.)