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Gleichstellungspolitik in der Schweiz (Archiv 2005 – 2011)

10.11.2011

 

Diese Seite dient als Archiv von älteren Artikeln auf humanrights.ch zum Thema Gleichstellungspolitik in der Schweiz. Sie sind in chronologischer Reihenfolge aufgeführt und inhaltlich voneinander unabhängig.

Gleichstellung in der Schweiz auf gutem Weg, aber noch nicht am Ziel

(Artikel vom 10.11.2011)

Gleich zwei neu veröffentlichte Studien belegen: Die Schweiz hat in den letzten Jahren grosse Fortschritte bei der Gleichstellung von Mann und Frau gemacht. Heute auf Platz 10 des vom WEF erstellten Länder-Index zur Gleichstellung von Mann und Frau, rangierte die Schweiz noch vor vier Jahren auf dem 40. Platz. Im Vergleich zum Jahr 2000 hat die Schweiz gar die grösste Verbesserung aller Länder im Ausgleichen von Geschlechterungleichheiten erzielt.

Doch der WEF-Bericht hält auch fest, dass in einigen Bereichen noch Verbesserungsbedarf besteht. Was etwa die Lohngleichheit zwischen Männern und Frauen anbelangt, dümpelt die Schweiz im hinteren Feld auf Rang 80. Diese grosse Diskrepanz belegen auch Zahlen des Bundesamtes für Statistik im soeben publizierten Bericht «Qualität der Beschäftigung in der Schweiz».

Lohndiskriminierung noch nicht überwunden

Seit 1981 ist die Gleichstellung von Mann und Frau und damit der Anspruch auf gleichen Lohn für gleichwertige Arbeit in der Bundesverfassung verankert. Dennoch sorgt die tatsächliche Gleichstellung immer wieder für Diskussionen. Die nun vom Bundesamt für Statistik (BFS) veröffentlichten Zahlen zur Gleichbehandlung von Frauen und Männern bei der Arbeit belegen die Notwendigkeit dieser Debatten: Im Jahr 2008 verdienten Männer mit einem durchschnittlichen Bruttomonatslohn von 6392 Franken deutlich mehr als Frauen, die im Mittel einen Lohn von 5255 Franken bezogen. Zwar ist der standardisierte Bruttolohn bei Frauen in den letzten 10 Jahren stärker angestiegen als bei den Männern (18,4% im Vergleich zu 14,1%) und die 1137 Franken Lohndifferenz können zu einem grossen Teil mit unterschiedlichen Persönlichkeitsmerkmalen wie Ausbildung, Berufserfahrung, Alter etc. erklärt werden. 38,9% der Lohnungleichheit sind jedoch auf Lohndiskriminierungen zurückzuführen, wie das BFS in seinem Bericht zur «Qualität der Beschäftigung in der Schweiz» schreibt.

Schweiz bei Gleichstellung weltweit in den Top Ten

Wo die Schweiz im Bereich Gleichstellung weltweit steht, kann dem anfangs November veröffentlichten «Global Gender Gap Report 2011» des World Economic Forum (WEF) entnommen werden. Wie bereits vor einem Jahr hält sich die Schweiz auf Rang 10 der insgesamt 135 geführten Länder und liegt damit knapp vor Deutschland und Spanien. An der Spitze der Rangliste stehen mit Island, Norwegen, Finnland und Schweden weiter unangefochten die skandinavischen Ländern, welche über 80% ihrer Geschlechterungleichheit bereits ausgeglichen haben. Noch mehr als 50% auszugleichen haben die Schlusslichter in der Liste: Saudi-Arabien, Mali, Pakistan, Tschad und Jemen. Diese Rangliste ist jedoch mit Bedacht zu lesen: So hat sich etwa Saudi-Arabien von den arabischen Staaten in den letzten sechs Jahren am stärksten verbessert.

Global hinkt die wirtschaftliche Gleichberechtigung

Der WEF-Bericht betont weiter, wie wichtig der Zusammenhang zwischen der Gleichstellung der Geschlechter und der wirtschaftlichen Wettbewerbsfähigkeit ist. Weniger als 20% aller nationalen Entscheidungsträgerpositionen halten Frauen inne. Während im Bildungs- und Gesundheitsbereich die Ungleichheiten schon weitgehend überwunden sind, bestehen in Politik und Wirtschaft noch grosse Differenzen. Die Schweiz geht hier mit gutem Beispiel voran: Gemäss dem WEF-Bericht konnte insbesondere beim Zugang zur Bildung, bei der Beteiligung in der Wirtschaft und bei den politischen Mitwirkungsmöglichkeiten eine Verbesserung verzeichnet werden.

Anknüpfende Überlegungen von humanrights.ch

Positionierungen in Statistiken und Ranglisten sind immer mit Vorsicht zu geniessen. Allein schon beim Erheben von Daten im nationalen Umfeld müssen Abwägungen gemacht und manchmal auch Abstriche in Kauf genommen werden. Bei internationalen Vergleichen kommt man wohl kaum umhin, Ungleiches manchmal gleich zu behandeln und Gleiches neben Ungleiches zu stellen. Der aktuelle «Global Gender Gap Report 2011» des WEF bedarf aus Sicht von humanrights.ch deshalb einer gewissen Relativierung. Folgende Punkte fallen dabei besonders auf:

30 Plätze gut gemacht in 3 Jahren?

2006 rangierte die Schweiz auf Platz 26 des WEF-Berichts, 2007 dann plötzlich auf Position 40 und bereits ein Jahr später wieder weit vorne auf Platz 14. In den Jahren 2009 (Rang 13) und 2010 (Rang 10) blieb die Ranglistenposition dann mehr oder weniger konstant. Taucht man in die Tiefen der WEF-Berichte ein, lässt sich der Einbruch 2007 relativ einfach erklären: Das geschätzte absolute Einkommen von Frauen und Männern bzw. dessen Verhältnis war im Jahr 2007 markant schlechter als in den restlichen Jahren und dafür mitverantwortlich für das schlechte Gesamtergebnis der Schweiz. Wie der WEF-Bericht 2007 ausführt, ist dies schlicht darauf zurückzuführen, dass 2007 eine andere Berechnungsformel für das Einkommen benutzt wurde.

Bildung auf Tertiärstufe

Plätze gut gemacht hat die Schweiz auch, weil die Einschulungsrate auf tertiärer Stufe eine grosse Verbesserung erfahren hat. Im Jahr 2007 wurden bei den Frauen 42% geführt und bei den Männern 52%. Für 2010 ist nun ein Verhältnis von 52% zu 51% gelistet. Fraglich ist, was alles zu tertiärer Ausbildung gezählt wird und worauf dieser starke Anstieg bei den Frauen zurückzuführen ist. Nicht auszuschliessen ist, dass vor allem die stetig zunehmenden Ausbildungsanforderungen für «Frauenberufe» (wie etwa Lehrer- und Pflegeberufe) die Zahl der Frauen in höheren Ausbildungen anwachsen lässt. Höhere Ausbildungsanforderungen allein, also ohne Angleichung des Lohnes an klassische Männerberufe, vermögen aus Sicht der Gleichstellung allerdings nicht zu überzeugen.

Vier Bundesrätinnen verschönern die Statistik

Bei der politischen Einflussnahme hat sich die Schweiz ebenfalls markant verbessert. Dies ist vor allem darauf zurückzuführen, dass beim Unterpunkt «Frauen in Ministerpositionen» ein viel besseres Verhältnis resultiert (43:57 im Vergleich zu 14:86 im Jahr 2007). Auch auf Kantonsebene wird wohl ein Fortschritt zu verzeichnen sein, doch dürfte die neue Mehrheit der Frauen im Bundesrat ausschlaggebend für die Verbesserung gewesen sein. Für die Gleichstellung der Frau sind vier Bundesrätinnen klar ein schönes Zeichen, doch wie gross der praktische Nutzen für die politische Einflussnahme an sich ist, sei dahingestellt. Zudem kann sich die Zusammensetzung des Bundesrates relativ schnell wieder ändern.

Mutterschaftsurlaub zahlen- und zahnlos

Schlecht schneidet die Schweiz auch beim Mutterschaftsurlaub bzw. der Babypause ab. Dies insbesondere im Vergleich zu anderen europäischen Ländern und der Tatsache, dass es in der Schweiz keinen gesetzlich geregelten Vaterschaftsurlaub gibt. Dieser Punkt wird jedoch statistisch nicht erhoben und hat somit keinen Einfluss auf die Positionierung der Länder im Bericht.

Gleichstellung gleich Besserstellung der Frau?

Etwas irritierend handhabt die WEF-Studie die Erstellung ihrer Ranglisten: Als Basis für die Rangierungen wird jeweils die «female-to-male ratio» genommen. Da stur nach diesem Prinzip verfahren wird, sind bei einigen Ranglisten Länder an erster Stelle, bei welchen die Frauen gegenüber den Männern besser abschneiden. Die Schweiz ist so z.B. bei den Einschulungs-Ranglisten häufig sehr weit hinten positioniert, da sie eine gleich grosse Ziffer für Frauen wie Männer aufführt, andere Länder jedoch mehr Mädchen als Buben eingeschult haben und damit weiter vorne klassiert sind. Für einen «Gender Gap Report» schiene es angebrachter, bei einem möglichst ausgewogenen Verhältnis Rang 1 anzusetzen.

Dokumentation

Rückblick auf 20 Jahre Gleichstellungspolitik

(Artikel vom 06.11.2008)

Die Gleichstellung von Mann und Frau hat in der Schweiz in den letzten zwanzig Jahren vor allem im Bildungsbereich grosse Fortschritte gemacht. Nachholbedarf gibt es in der Berufswelt, insbesondere bei den Löhnen. Diese Ergebnisse sind in der vom Bundesamt für Statistik (BFS) und dem Eidgenössischen Gleichstellungs-Büro (EBG) gemeinsam herausgegebenen Broschüre enthalten, welche zum Anlass des 20. Jubiläums des EBG veröffentlicht wurde.

Übrigens hat nur wenige Tage nach dem Bundesamt für Statistik auch das World Economic Forum (WEF) einen Bericht über die Gleichstellung der Frauen veröffentlicht. Auch dieser sieht Fortschritte in der Gleichstellung. Gemäss den Kriterien des WEF liegt die Schweiz nun international auf dem 14. Rang in Sachen Gleichstellung der Geschlechter. Im Vorjahr war sie wesentlich schlechter platziert (Rang 40). Zurückzuführen ist die Verbesserung insbesondere auf eine bessere Repräsentation von Frauen im Parlament und im Bundesrat.

Frauen weiterhin nicht gleichgestellt

(Artikel vom 07.12.2006)

Auch wenn sich die Situation der Frauen in der Schweiz in den letzten dreissig Jahren in vielen Bereichen verbessert hat, ist das in der Bundesverfassung verankerte Recht auf Gleichstellung von Frau und Mann immer noch nicht verwirklicht. Das ist die Bilanz der Eidgenössischen Kommission für Frauenfragen (EFK), die am 30. November 2006 ihr 30-jähriges Bestehen begeht. Die Situation der Frauen in der Schweiz wurde hauptsächlich in rechtlicher Hinsicht verbessert. Allerdings zog die rechtliche Verankerung auch ein gewisses gesellschaftliches Umdenken nach sich: 1976 brauchten Frauen in der Schweiz noch die Erlaubnis ihres Ehemannes, um berufstätig zu sein.

Positive Schritte 

Meilensteine auf dem Weg zur Gleichstellung waren unter anderem Errungenschaften wie das neue Sexualstrafrecht von 1992, das Gleichstellungsgesetz von 1996, die Ratifizierung der UNO-Frauenrechtskonvention 1997 oder die Offizialisierung von Gewaltdelikten in Ehe und Partnerschaft 2004.

Probleme bei der Umsetzung

Am meisten Schwierigkeiten macht die praktische Umsetzung der Gleichstellung im Erwerbsleben. Besonders die Vereinbarung von Beruf und Familie sind in der Schweiz immer noch schwierig. Die EFK bemängelt vorallem die Mehrfachbelastung von Frauen, ihre geringeren Löhne und ihre Untervertretung in Führungspositionen und bei Entscheidprozessen. Die Gewalt gegen Frau muss ebenfalls effizienter bekämpft werden, um die tatsächliche Gleichstellung von Frau und Mann zu erreichen, sagt die Kommission. Ein weiteres Ziel, auf das die EFK hinarbeitet ist die Unterzeichnung des Zusatzprotokolls der UNO-Frauenrechtskonvention, wodurch die Rechte der Frauen besser geschützt werden könnten. Die Frage der Unterzeichnung befindet sich im Moment im Vernehmlassungsprozess.

Weiterführende Informationen

Stillstand auf dem Weg zur Gleichstellung

(Artikel vom 08.03.2005)

Die Zwischenbilanz zur beruflichen Gleichstellung der Geschlechter in der Schweiz fällt ernüchternd aus. Dies zeigen zwei Studien des Bundesamts für Statistik (BfS), die auf der Volkszählung 2000 basieren. Zu ähnlichen Ergebnissen kam 2003 eine ausführlichere Studie des BfS, die nicht nur in den Bereichen Beruf und Ausbildung einen Stillstand ortete, sondern auch bei der politischen Vertretung und der Aufteilung der Hausarbeit.