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Wegweisungen durch die Polizei

16.05.2007

Nun erhält die Polizei auch im Kanton Solothurn die Kompetenz, auf öffentlichen Plätzen Einzelpersonen wegzuweisen und fernzuhalten, ohne dass ihnen Straftaten nachgewiesen werden müssen. Der Kantonsrat hat am 15. Mai 2007 einen entsprechenden Wegweisungsartikel genehmigt. Neben den Kantonen Solothurn und Bern kennt auch die Stadt Winterthur die Wegweisungspraxis durch die Polizei. In Zürich, Luzern und St. Gallen gibt es ebenfalls Bemühungen, einen entsprechenden Gesetzesartikel einzuführen.

Bundesgerichtsentscheid zur Wegweisung in Bern 

Ende Januar 2006 hatte das Bundesgericht die Wegweisung störender Randständiger (Bernisches Polizeigesetz, Artikel 29b) grundsätzlich für verfassungskonform befunden (BGE 1P.579/2005/BHJ/gij). Die Bundesrichter der öffentlichrechtlichen Abteilung lehnten eine entsprechende Beschwerde mit vier gegen eine Stimme ab. Der Artikel verletze die Weggewiesenen nicht in ihrer Menschenwürde, befand das Bundesgericht. Er verstosse auch nicht gegen das Diskriminierungsverbot, denn das Rayonverbot sei gegen die Weggewiesenen allein wegen ihres Verhaltens und nicht wegen anderer Merkmale ausgesprochen worden. Allerdings greifen die Wegweisungen gemäss Bundesgericht in die Versammlungsfreiheit der Betroffenen ein. Dieser Grundrechtseingriff lasse sich jedoch rechtfertigen. Für die Wegweisungen bestehe ein öffentliches Interesse, da allgemein bekannt sei, dass sich Passanten gestört fühlen würden. Die Bundesrichter befanden weiter, dass die Wegweisungen verhältnismässig seien, zumal den Betroffenen nicht grundsätzlich verboten werde, sich im Bahnhof und den umliegenden Gebieten aufzuhalten. Auch die dreimonatige Dauer des Rayonverbotes erachtet Lausanne als sinnvoll und angemessen. 

Pikante Details der Begründung 

Eine Gefährdung und Störung der öffentlichen Ordnung dürfe «nicht im blossen Umstand des Vorhandenseins» von Alkohol trinkender Ansammlungen erkannt werden, sondern «vielmehr in unmittelbarem Zusammenhang mit den Auswirkungen, die von Personenansammlungen, in denen in beträchtlichem Ausmass Alkohol konsumiert wird, regelmässig und erfahrungsgemäss ausgehen». Gemäss dem Entscheid von Lausanne dürfen sich Personen nach einem Wegweisungsentscheid auch ohne weiteres wieder in dem betroffenen Gebiet aufhalten, sofern sie nicht Alkohol konsumieren und dadurch auffallen: «Der Eingriff in die Versammlungsfreiheit und die persönliche Freiheit beschränkt sich vielmehr auf das mit erheblichem Alkoholkonsum gekoppelte Zusammenfinden und Zusammensein und die nachteiligen Begleiterscheinungen», so das Bundesgericht in seiner Begründung.

Keine Praxisänderungen in der Stadt Bern

Die Urteilsbegründung zum Wegweisungsentscheid vom 25. Januar 2006 enthält Präzisierungen, die eigentlich für die Praxis der Wegweisungen in Bern erhebliche Einschränkungen bedeuten müssten. Weggewiesen werden dürfen demnach nämlich nur Personen, die in Gruppen in grossen Mengen Alkohol konsumieren und dadurch die öffentliche Ordnung stören. Der Berner Gemeinderat zieht solche Praxisänderungen allerdings nicht in Betracht, wie Polizeidirektorin Barbara Hayoz (FDP) im Interview mit dem «Bund» am 9. Juni 2006 erklärte. Die Stadtpolizei habe mit dem Bundesgerichtsentscheid den höchstrichterlichen Segen, sagte sie und ignorierte damit die Urteilsbegründung Lausannes massiv.