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Aktuelle Schätzungen und Forderungen in Sachen Polizeigewalt

22.09.2010

Wer in der Schweiz Opfer unverhältnismässiger Gewalt durch Polizeikräfte wird, hat einen schweren Stand, denn die Justiz behandelt Strafanzeigen gegen Polizisten nur widerwillig. Wie häufig entsprechende Anzeigen eingereicht werden, wird statistisch nicht erhoben und ist der Öffentlichkeit nahezu unbekannt.

Der Zeitschrift Plädoyer gelingt es nun in einem Artikel aufzuzeigen, dass Anzeigen dennoch zahlreich sein müssen. Allerdings kommt es nur selten zu einem Verfahren vor Gericht, denn die verwaltungsinternen Hürden sind gross. Ausserdem stehen die Chancen für einen angeklagten Polizisten gut, vor Gericht für unschuldig befunden zu werden. Oft muss gar das Opfer damit rechnen, angeklagt und gebüsst zu werden. Denn es gehört zur Abwehrtaktik der Polizisten, dass sie Anzeigen wegen Gewalt und Drohung gegen Beamte erstatten, entweder von Anfang an oder spätestens dann, wenn ein Betroffener Anzeige wegen Amtsmissbrauchs eingereicht hat.

Experten/innen fordern unabhängige Anlaufstelle

Meistens würden die Übergriffe im Grenzbereich zur entwürdigenden Behandlung liegen, zitiert Plädoyer Denise Graf von Amnesty International. «Das können diskriminierende Äusserungen gegen Dunkelhäutige oder gegen Frauen sein. Oder das unnötige Mitnehmen zur Kontrolle auf den Posten, oft in Handschellen. Für solche Fälle braucht es eine unabhängige Beschwerdestelle.» Gemäss Plädoyer gibt es Ombudsstellen aber bloss in den Kantonen Zürich, Basel-Stadt, Baselland, Waadt und Zug sowie in den Städten Zürich, Bern, Winterthur und St. Gallen. Wobei zu erwähnen ist, dass städtische Ombudsstellen, wie diejenige der Stadt Bern, gegen die Kantonspolizei nicht tätig werden können. Im Fall Bern bedeutet dies, dass seit der Integrierung der Stadtpolizei in die Kantonspolizei keine Anlaufstelle mehr existiert.

Die Polizei ist ein Machtinstrument des Staates, deshalb ist eine unabhängige Kontrolle wichtig. Ein Vorschlag, der im Raum steht, sieht vor, dass jeweils einige Kantone ein Konkordat abschliessen, das es erlaubt, gemeinsam eine spezialisierte unabhängige Beschwerdestelle schaffen. Demnach sollte jeweils ein Untersuchungsrichter aus einem nicht betroffenen Kanton die Untersuchung eines Falles vornehmen. Dies um zu verhindern, dass ein Untersuchungsrichter in einen Interessenskonflikt gerät, wenn er gegen ein Polizeikorps ermitteln muss, auf dessen gute Zusammenarbeit er in seiner täglichen Arbeit angewiesen ist.