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Rassistisches Profiling wegen Verdachts auf illegalen Aufenthalt

06.06.2016

Kontrollen durch die kantonalen Polizeikorps und das Grenzwachkorps

Art. 9 des Ausländergesetzes (AuG) besagt, dass die Kantone auf ihrem Hoheitsgebiet die Personenkontrolle im Rahmen der Grenzkontrolle ausüben. Die Fahndung nach Personen, die sich illegal in der Schweiz aufhalten, gehört demnach zum gesetzlichen Aufgabenbereich der kantonalen Polizeikorps. Ob solche Kontrollen in den verschiedenen Kantonen in Form von Dienstbefehlen etc. explizit zur Polizeistrategie gehören, ist unklar. Die Umfrage von humanrights.ch zum Thema bei einzelnen Polizeikorps zeigt, dass dies wohl in der Regel nicht der Fall ist (vgl. unseren Artikel «Stellungnahmen der Polizeikorps»). Dies bedeutet aber nicht, dass solche Kontrollen nicht durchgeführt würden. Im Gegenteil: Entsprechende Berichte von Betroffenen zeigen, dass Kontrollen von dunkelhäutigen Personen wegen Verdachts auf illegalen Aufenthalt und gestützt auf Art. 215 StPO keine Ausnahme darstellen (vgl. unsere Artikel: «Stand der Diskussion und Beispiele» / Betroffene und Experten/-innen gegen rassistisches Profiling).

An den Binnengrenzen führt die Schweiz auf gewissen Zugstrecken systematische Grenzkontrollen durch, wie der Tagesanzeiger in einem Bericht vom 1. Oktober 2015 aufgezeigt hat. Bei solchen verdachtsunabhängigen Personenkontrollen durch das Grenzwachkorps stellt sich die Frage, ob sie nicht «die gleiche Wirkung wie Grenzübertrittskontrollen» haben und somit gegen Art. 21 lit. a des Schengener Grenzkodex verstossen (vgl. unseren Artikel «Rassistisches Profiling: Rechtliche Ausgangslage in der Schweiz»)

Verstoss gegen das Verhältnismässigkeitsprinzip

Grundrechtseingriffe müssen gem. Art. 36 der Bundesverfassung verhältnismässig sein. Zwar ist die Begrenzung von irregulärer Zuwanderung grundsätzlich als ein legitimer Zweck von öffentlichem Interesse anzusehen. Ob das Herausgreifen von Menschen mit fremdethnischen Merkmalen hierfür geeignet und erforderlich ist, ist fragwürdig. Denn im Einwanderungsland Schweiz stimmen die stereotypen Erscheinungsprofile von Ansässigen und Fremden immer weniger mit der multiethnischen Realität überein.

Selbst wenn man ethnisches Profiling als geeignetes und erforderliches Mittel zur Bekämpfung der illegalen Einwanderung betrachten würde: Zumutbar und damit verhältnismässig im engeren Sinne ist es nicht. Denn das Gebot der Verhältnismässigkeit im engeren Sinne verlangt, dass eine Massnahme nicht ausser Verhältnis zu den mit ihr verbundenen Nachteilen steht. Es muss also geprüft werden, ob ein Missverhältnis zwischen der Schwere des Eingriffs und dem Wert des realisierbaren Erfolgs besteht und ob wegen des allfälligen Missverhältnisses auf den Eingriff zu verzichten ist.

Die Eingriffsintensität für den Einzelnen ist umso höher einzustufen, wenn der Grundrechtseingriff ohne konkreten Verdacht erfolgt, d.h. wenn Personen von einer Massnahme betroffen sind, die in keiner Beziehung zu einem konkreten Fehlverhalten steht. Im Unterschied zu anderen Regelungen des Polizeirechts – etwa zur Abwehr von Terrorismusgefahren – dient die Kontrolle wegen Verdachts auf illegalen Aufenthalt nicht dem Schutz hochwertiger Verfassungsgüter wie dem Recht auf Leben, auf körperliche Unversehrtheit oder auf persönliche Freiheit. Die negativen sozialen Auswirkungen von ethnisch begründeten Personenkontrollen überwiegen den polizeilichen Nutzen regelmässig. Sie zementieren bestehende Stereotypen und fördern eine fremdenfeindliche Stimmung, indem die Betroffenen öffentlich und für die ganze Umgebung sichtbar als Verdächtige eines Delikts erscheinen.

Diese kurze Prüfung des Grundrechtseingriffs in der Konstellation «ethnisches Profiling mit dem Ziel der Bekämpfung des illegalen Aufenthalts» kommt eindeutig zum Schluss, dass eine solche Praxis nicht rechtmässig ist, weil sie das Kriterium der Zumutbarkeit nicht erfüllt und damit gegen Art. 36 der BV verstösst. Es handelt sich somit in jedem Fall um rassistisches Profiling. Dies deckt sich mit der Schlussfolgerung internationaler Gremien und Gerichtsinstanzen, wonach ethnisch selektive Personenkontrollen zum Zweck der Migrationskontrolle sachlich nicht gerechtfertigt werden können (vgl. unsere Subrubrik: «Rassistisches Profiling: Internationales Recht»).