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Empfehlungen des UNO-Menschenrechtsausschusses an die Schweiz

30.10.2009

Am 30. Oktober 2009 hat der Menschenrechtsausschuss (HCR) in Genf seine Empfehlungen an die Schweiz veröffentlicht. Der Ausschuss hatte sich zuvor am 12. und 13. Oktober eingehend mit dem dritten Bericht der Schweiz zur Umsetzung der bürgerlichen und politischen Rechte beschäftigt und die Schweizer Regierungsdelegation zu einer Reihe von heiklen Themen befragt. Verschiedene NGO, darunter eine breit abgestützte Schweizer NGO-Koalition von 14 Organisationen, hatten dem Ausschuss gleichzeitig ihre Sicht der Menschenrechtssituation in der Schweiz nahegebracht und auf Lücken in der offiziellen Berichterstattung hingewiesen.

Die wichtigsten Dokumente des gesamten Berichtsverfahrens finden sich hier:

In der Folge geben wir Einzelheiten zum Berichtsverfahren in der umgekehrten Chronologie: zuerst zu den Concluding Observations, danach zur Anhörung der Schweizer Delegation und danach Ausführungen zum Schattenbericht der Schweizer NGO-Koalition.

Teilweise alte Forderungen - neu aufgelegt

Ein Teil der Empfehlungen des Ausschusses sind keineswegs neu, sondern finden sich bereits in den Empfehlungen des HCR vom Jahre 2001 wie auch in den Empfehlungen anderer Vertragsüberwachungsorgane, ohne dass die Schweiz bisher entsprechende Verbesserungen unternommen hätte. Dazu gehört etwa die Aufforderung, endlich Massnahmen zu ergreifen, dass die Rechte des Pakts von allen Behörden auf allen Ebenen des Bundes, der Kantone und der Gemeinden – einschliesslich der Gerichte zur Kenntnis genommen und effektiv umgesetzt werden (Ziff. 6). Oder die Forderung, endlich eine Menschenrechtsinstitution mit einem breiten Mandat und mit genügend Ressourcen zu schaffen (Ziff. 7). Das vom Bundesrat im Frühsommer angekündigte universitäre Kompetenzzentrum deckt, so der Ausschuss, nur einen kleinen Teil des Mandates einer Nationalen Menschenrechtsinstitution ab und steht nicht im Einklang mit den Vorgaben der UNO gemäss Pariser Prinzipien. Schliesslich wird einmal mehr gefordert, sich entschiedener und mit mehr Mitteln gegen Rassismus und für den Schutz von religiösen Minderheiten, einschliesslich der jüdischen, einzusetzen (Ziff. 8, 9 und 10).

Mangelnder Rechtsschutz in vielen Bereichen

Es fällt auf, dass auch der mangelnde Rechtsschutz immer wieder ein Thema ist. Das müsste der Schweiz eigentlich zu denken geben, hält sie doch ihr Image als entwickelter Rechtsstaat hoch. Der Ausschuss hat nun aber gerade hier seine Zweifel, denn der Zugang zu Rechtsschutz ist zum Teil völlig, zum Teil gewissen Gruppen von Personen verwehrt. Er fordert die Schweiz auf,

  • die Vorbehalte zum Pakt II, insbesondere der Vorbehalt zu Art. 26, welcher ein selbständig anfechtbares Diskriminierungsverbot enthält, zurückzuziehen (Ziff. 4);
  • das Fakultativprotokoll zum Pakt II zu ratifizieren. Das hier verankerte Individualbeschwerdeverfahren haben mit wenigen Ausnahmen alle Länder in Europa ratifiziert (Ziff. 5).
  • in allen Kantonen unabhängige Behörden zu schaffen, welche Klagen gegen übermässige Polizeigewalt, Misshandlungen oder sonstige Übergriffe von Seiten der Polizei entgegennehmen und tatsächlich auch untersuchen (Ziff. 14).
  • unabhängigen Beobachter/innen bei Zwangsausschaffungen zuzulassen (Ziff. 15).
  • Asylsuchenden den Zugang zu Rechtsschutz durch die Garantie unentgeltlichen Rechtsbeistands zu ermöglichen (Art. 18).

Auch beklagt der Ausschuss die Tatsache, dass die Schweiz an die Opfer von Zwangskastration und Zwangssterilisation bis heute keine Entschädigung oder eine sonstige Wiedergutmachung – ja noch nicht einmal eine Entschuldigung erhalten haben (Ziff. 20).

Weitere Beanstandungen

Ausserdem zeigt sich der Ausschuss  besorgt über

  • die schwierige rechtliche Situation von ausländischen Frauen, die Opfer von Gewalt geworden sind (Ziff. 11),
  • die mangelhafte Waffengesetzgebung (Ziff. 12),
  • die Aufweichung des Prinzips des Non-Refoulement (Ziff. 16),
  • überfüllte Gefängnisse (Ziff. 17)
  • sowie die Verletzung der fundamentalen Menschenrechte von Personen, deren Asylgesuch abgelehnt worden ist (Ziff. 19).

Schliesslich erachtet der Ausschuss die mit Datum vom 12. Juni 2009 von den Eidg. Räten verabschiedete Revision des Zivilgesetzbuches mit dem Ziel, Ehen von Personen ohne Aufenthaltstitel zu verbieten, als nicht vereinbar mit den Paktrechten (Recht auf Ehe, Recht, eine Familie zu gründen etc.) (Ziff. 21).

Es ist nun sehr zu hoffen, dass im Parlament die Zeichen erkannt werden und die Mehrheit endlich vom politischen Willen getragen sein wird, die Menschenrechtsdefizite der Schweiz anzupacken.

Anhörung der Schweizer Delegation am 12./13. Okt. 2009  in Genf

Schattenbericht der Schweizer NGO-Koalition

Eine Koalition von vierzehn NGOs hat unter der Federführung von Humanrights.ch einen Bericht zu Handen des Menschenrechtsausschusses in Genf erstellt und diesen anlässlich der Anhörung am 12. Oktober kurz vorgestellt. Die Koalition drückt darin ihre Zweifel aus, ob die Schweiz ihre mit der Ratifizierung des Pakts über bürgerliche und politische Rechte übernommenen Verpflichtungen genügend ernst nimmt. Eine Reihe von Empfehlungen, welche der Menschenrechtsausschuss im Staatenberichtsverfahren 2001 an die Schweiz gerichtet hatte, sind bis heute noch nicht umgesetzt. Teilweise wurden sie nicht einmal öffentlich diskutiert.

Als vordringliche Aufgabe zur Sicherung der Paktrechte in der Schweiz erachtet die Koalition den Rückzug der Vorbehalte, insbesondere des Vorbehalts zu Artikel 26 (umfassender und gleicher Schutz durch das Gesetz) sowie die Ratifizierung des Fakultativprotokolls von 1966 (Individualbeschwerdeverfahren). Die Schweiz ist eines der letzten Länder in Europa, das das Beschwerderecht noch nicht anerkannt hat. Damit könnten Verletzungen des Pakts auch in der Schweiz vollumfänglich vor Gericht eingeklagt werden.

Im Weiteren kritisieren die NGO einmal mehr, dass die Schweiz noch immer keine Instrumente entwickelt hat, die es erlauben würden, die Menschenrechte in den Kantonen und Gemeinden umzusetzen und zu garantieren. Zweifel hegt die Koalition auch daran, ob die nun seit bereits acht Jahren in den eidgenössischen Räten hängige Forderung nach Schaffung einer Menschenrechtsinstitution in den nächsten Jahren auf eine angemessene Weise erfüllt wird.

Der NGO-Bericht greift basierend auf der vom Menschenrechtsausschuss erarbeiteten «List of Issues» weitere Themen auf, bei denen die Politik der Schweiz nicht im Einklang mit dem Pakt steht: Das Fehlen einer adäquaten Anti-Diskriminierungsgesetzgebung sowie mangelnde Ressourcen bei der Rassismusbekämpfung, mangelnder Schutz für Migrantinnen, die Opfer von häuslicher Gewalt geworden sind, die prekäre Lage der Fahrenden in der Schweiz, unzulängliche Regelung des Waffenbesitzes sowie verschiedene Probleme im Zusammenhang mit den Rechte der ausländischen Bevölkerung in der Schweiz (kein gesicherter Zugang zu Rechtsbeistand, prekäre Lebensbedingungen, Missachtung des Rechts auf Familie und des Rechts auf Ehe etc.).

  • NGO-Schattenbericht zum dritten Bericht der Schweiz vom Oktober 2009
    NGO-Koalition unter Federführung von Humanrights.ch / MERS, Schlussredaktion von Ruedi Tobler, September 2009 (pdf, 34 S.), inkl. folgende Anhänge:
    • Anhang 1: Übersicht über die zentralen Anliegen der Schweizer NGO-Koalition an den Menschenrechtsausschuss
    • Anhang 2: Vorschläge der Schweizer NGOs für die «List of issues»
    • Anhang 3: «List of issues» des Menschenrechtsausschusses (englisch)
    • Anhang 4: Deutsche Übersetzung der Fragen des Menschenrechtsausschusses, welche kantonale Zuständigkeiten betreffen
    • Anhang 5: Bericht über die Anhörung der Schweizer Delegation beim UNO-Menschenrechtsausschuss am 12./13. Oktober 2009 in Genf

    Weitere Schattenberichte

    Dem HCR lagen verschiedene weitere Berichte vor, welche sich insbesondere zur Menschenrechtssituation der ausländischen Bevölkerung beziehungsweise der Migrant/-innen und Asylsuchenden äusserten.