13.11.2025
Die Einzelhaft als Sicherungsmassnahme ist einer der schwerwiegendsten Eingriffe in die Grund- und Menschenrechte von Inhaftierten. Trotzdem wird sie in der Schweiz häufig über lange Zeiträume angewendet – deutlich länger, als internationale Standards erlauben. Diese Praxis ist dringend zu überprüfen.
Einzelhaft bedeutet die weitgehende physische und soziale Isolation einer Person: mindestens 22 Stunden pro Tag allein in einer Zelle, ohne «echten» zwischenmenschlichen Kontakt. Die Massnahme wird im Strafvollzug «zum Schutz des Gefangenen oder Dritter» angeordnet – etwa bei Konflikten, Gewalt, Suizidalität oder wahrgenommenen Sicherheitsrisiken. Obwohl sie offiziell präventiven Zwecken dient, ist Einzelhaft mit gravierenden gesundheitlichen Folgen verbunden: Angstzustände, Depressionen, kognitive Störungen, psychotische Symptome oder Suizidalität treten häufig auf. Besonders einschneidend ist dieses Haftregime für Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen – und diese sind im Strafvollzug überdurchschnittlich vertreten.
In der Schweiz fehlen klare bundesrechtliche Regeln für die maximale Dauer der Einzelhaft. Oft wird sie über Wochen oder Monate ausgesprochen – teils bereits zu Beginn pauschal für mehrere Monate. Damit verstösst die heutige Praxis gegen internationale Vorgaben wie die Nelson Mandela Rules, die eine Einzelhaft über 15 Tage grundsätzlich als unmenschliche Behandlung verbieten. Auch die Empfehlung, täglich «echten» menschlichen Kontakt zu gewährleisten, wird in der Praxis häufig nicht erfüllt.
Um die Einzelhaftmenschenrechtskonform auszugestalten, braucht es grundlegende Änderungen:
- Unabhängige Kontrollinstanz: Die Anordnung und Verlängerung der Einzelhaft dürfen nicht allein auf der Basis der Informationen seitens der Anstaltsleitung erfolgen. Eine unabhängige Stelle muss jede Isolation prüfen und ihre Verhältnismässigkeit beurteilen.
- Mehr «echter» zwischenmenschlicher Kontakt: Mindestens zwei Stunden täglich sollten Inhaftierten soziale Interaktionen gewährleistet werden – nicht nur mit dem Personal, sondern auch durch gemeinsame Spaziergänge und Aktivitäten mit anderen Gefangenen, Besuche und digitale Kommunikation mit der Aussenwelt. Nur so entspricht die Massnahme internationalen Standards.
- Verbot bei psychischen Erkrankungen: Einzelhaft verschlechtert den psychischen Zustand erheblich und ist somit unzulässig für Menschen mit psychischen Erkrankungen. Für Betroffene braucht es medizinische bzw. psychiatrische Behandlung oder eine Verlegung in geeignete Einrichtungen.
- Unentgeltliche Rechtsvertretung: Wer isoliert wird, erlebt einen einschneidenden Grundrechtseingriff und braucht deshalb Zugang zu rechtlicher Unterstützung und unabhängiger Beratung, um dem Anspruch auf rechtliches Gehör wirksam Rechnung zu tragen.
- Erhebung von Daten und Transparenz: Der Bund soll die Anwendung der Einzelhaft statistisch erfassen. Erst Transparenz ermöglicht Kontrolle, Forschung und politische Reformen.
- Bundesweite gesetzliche Regelung: Die Schweiz braucht klare Vorgaben: Art. 78 lit. b StGB sollte wie folgt ergänzt werden: «Einzelhaft als ununterbrochene Trennung von den anderen Gefangenen darf nur angeordnet werden zum Schutz des Gefangenen oder Dritter für die Dauer von höchstens 15 Tagen». Längere Separierungen dürfen nur noch mit mehr Kontakt und Teilnahme Aktivitäten mit anderen erfolgen, um menschenrechtskonform zu sein
Die aktuelle Praxis der Einzelhaft in der Schweiz verletzt die Menschenrechte. Mit klaren gesetzlichen Grenzen, unabhängigen Kontrollen und menschenwürdigen Bedingungen kann verhindert werden, dass Isolation zum gesundheitlichen Risiko und zur unmenschlichen Behandlung wird.
humanrights.ch führt noch immer die schweizweit einzige unabhängige Beratungsstelle für Gefangene und ihre Angehörigen. Wir zeigen auf, wo die grössten Lücken im Menschenrechtsschutz sowie die Hürden im Zugang zum Recht von Gefangenen sind.
Zur Einordnung der Schweizer Strafvollzugspraxis aus (menschen)rechtlicher Sicht haben wir soeben ein Dossier zu den Rechtsgrundlagen und Prinzipien des Schweizer Justizvollzugs veröffentlicht.

