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Verdrängt und diskriminiert: Wenn das Recht auf Wohnen nicht für alle gilt

09.12.2025

In der Schweiz verschärft sich die Wohnungsnot – besonders für Menschen mit Migrationsgeschichte oder ohne Schweizer Pass. Sie zahlen häufiger überhöhte Mieten und werden überproportional aus Städten verdrängt. Zugleich sollen im Kanton Bern Menschen ohne Aufenthaltsbewilligung keinen Zugang mehr zu kantonalen Notschlafstellen erhalten. All dies zeigt: Das Recht auf Wohnen gilt in der Praxis nicht für alle gleichermassen.

Viele Menschen in der Schweiz leben in prekären Wohnverhältnissen, weil sie sich keine angemessene Wohnung leisten können. Doch nicht alle Bevölkerungsgruppen sind gleichermassen betroffen: Strukturelle Hürden führen dazu, dass der Zugang zu erschwinglichem Wohnraum für Menschen ohne Schweizer Pass und Menschen mit Migrationsgeschichte erschwert ist. Die Zahlen des Bundesamtes für Statistik (BFS) zeigen, dass «ausländische Haushalte» durchschnittlich höhere Mieten zahlen. Gleichzeitig ist die Verdrängung solcher Bevölkerungsgruppen aus zentralen Stadtlagen erhöht, etwa weil Ersatzneubauten mit höheren Mieten neue Zielgruppen heranziehen. Neuere Entwicklungen deuten darauf hin, dass sich diese Unterschiede bis in den Extremfall der Obdachlosigkeit weiterziehen – so haben in Bern Schutzsuchende ohne Aufenthaltsstatus seit Kurzem keinen Zugang mehr zu staatlichen Notschlafstellen.

In diesem Kontext drängen sich einige Fragen auf: Wie wirken sich Wohnungsmarkt- und migrationspolitische Dynamiken insbesondere auf Geflüchtete, Migrant*innen und Menschen ohne Aufenthaltstitel aus? Wo entstehen Schnittstellen von strukturellem Rassismus und Wohnungsmarktpolitik? Und welche Massnahmen sind erforderlich, damit das Recht auf Wohnen tatsächlich für alle gilt?

Ungleicher Zugang zu Wohnraum und Notschlafstellen

Eine Auswertung der Zahlen des Bundesamts für Statistik durch den Tages-Anzeiger zeigt, dass «ausländische Haushalte» in der Schweiz im Durchschnitt rund 10.5 Prozent mehr Miete zahlen als «Schweizer Haushalte». Dafür gibt es mehrere Gründe: Ausländer*innen wohnen häufig auf kleinerem Raum, wobei in kleineren Wohnungen der Quadratmeterpreis tendenziell höher ist als in grösseren. Zudem fehlen vielen neu in der Schweiz ankommenden Menschen sowohl das Netzwerk als auch die spezifischen Kenntnisse des hiesigen Mietmarkts. So wissen viele nicht, dass sie den Anfangsmietzins innert 30 Tagen anfechten könnten – etwa wenn sie feststellen, dass sie deutlich mehr zahlen als ihre Nachbar*innen oder Vormieter*innen. Hinzu kommt, dass eine ausländische Staatsangehörigkeit, fehlende Sprachkenntnisse, das Aussehen oder ein nicht-schweizerisch klingender Familienname dazu führen können, dass Bewerber*innen erst gar nicht zu Wohnungsbesichtigungen eingeladen werden oder nur Zugang zu einer kleineren Auswahl von Wohnungen erhalten. Eine Studie des Bundesamts für Wohnungswesen (BWO) aus dem Jahr 2019 zeigt denn auch klar, dass Personen mit bestimmten ausländischen Namen bei der Wohnungsvergabe benachteiligt werden und häufiger leer ausgehen.

Erschwerend wirkt ausserdem, dass der Zugang zu Wohneigentum für Ausländer*innen rechtlich eingeschränkt ist, etwa durch die Lex Koller, und der Erhalt von Hypotheken stark vom Aufenthaltsstatus abhängt. Viele bleiben dadurch zwangsläufig Mieter*innen – und damit den Mechanismen und Preisdynamiken des Mietmarkts ausgesetzt. Gleichzeitig wohnen Ausländer*innen häufiger in Städten, weil sie dort eher Arbeit finden. Gerade in peripheren oder weniger attraktiven Lagen steigt jedoch das Risiko, von Verdrängung betroffen zu sein. Eine aktuelle ETH-Studie im Auftrag des Bundesamts für Wohnungswesen zeigt, dass in den fünf grössten Agglomerationen – Basel, Bern, Genf, Lausanne und Zürich – insbesondere Menschen mit tieferem Einkommen, Haushalte mit älteren Menschen und Personen ohne Schweizer Pass überproportional von Abriss, Totalsanierungen oder Ersatzneubauten betroffen sind. Besonders stark gefährdet sind Menschen mit afrikanischem Geburtsland sowie Geflüchtete, die laut Studie noch häufiger verdrängt werden.

All dies erhöht den Druck und die Bereitschaft, auch überhöhte Mieten in Kauf zu nehmen. Die Daten zeigen deutlich: Migrationsgeschichte und Aufenthaltsstatus sind in der Schweiz eng verknüpft mit einem erhöhten Risiko, auf dem Wohnungsmarkt benachteiligt zu werden. Insbesondere in Verbindung mit tieferem Einkommen besteht dieses Risiko – wir sprechen hier von Mehrfachdiskriminierung.

Diese Benachteiligung setzt sich auch in der Extremsituation der Obdachlosigkeit fort: Eine Hochrechnung einer FHNW-Studie aus dem Jahr 2022 zur Obdachlosigkeit in der Schweiz geht davon aus, dass bis zu 3’810 Menschen obdachlos leben und rund 16’355 Personen vom Verlust ihrer Wohnung bedroht sein könnten. Dabei zeigt sich, dass vier Fünftel der obdachlosen Menschen keine schweizerische Staatsangehörigkeit besitzen und 61 Prozent keinen gültigen Aufenthaltsstatus haben. Diese Zahlen verdeutlichen nochmals den engen Zusammenhang zwischen prekärem Wohnstatus, Migrationsgeschichte sowie Aufenthaltsstatus und Obdachlosigkeit. Vor diesem Hintergrund wiegt besonders schwer, dass der Zugang zu Notunterkünften zunehmend vom Aufenthaltsstatus abhängig gemacht wird. So wurde im Kanton Bern im Oktober 2025 bekanntgegeben, dass staatlich subventionierte Notschlafstellen künftig grundsätzlich nur noch Menschen mit gültiger Aufenthaltsbewilligung offenstehen sollen; Personen ohne Papiere sollen lediglich in «lebensbedrohlichen Situationen» aufgenommen werden. Faktisch heisst dies, dass mehr als die Hälfte der Obdachlosen vom staatlich organisierten Schutz ausgeschlossen werden. Die Berner Praxis zeigt exemplarisch, wie die Kombination aus fehlendem Aufenthaltsstatus und Wohnungsnot zu einer doppelten Benachteiligung führen kann.

Gleiches Recht auf Wohnen ungenügend geschützt

Das Recht auf Wohnen ist ein Menschenrecht, welches bereits in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte festgehalten wurde (Art. 25 AEMR). Auch der Internationale Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (UNO-Pakt I) garantiert das Recht auf Wohnen und wurde von der Schweiz vor mehr 30 Jahren ratifiziert. Der Bundesrat wie auch das Bundesgericht vertreten jedoch die Auffassung, die Garantien dieses Vertrages würden in der Schweiz nur einen Auftrag an den Gesetzgeber und keine subjektiven, einklagbaren Rechte begründen. Die Schweizerische Bundesverfassung kennt kein Recht auf Wohnen. Vielmehr wurden die in UNO-Pakt I definierten Sozialrechte in Artikel 41 der Bundesverfassung als Sozialziele verankert. Demnach sollen Bund und Kantone sich unter anderem dafür einsetzen, dass «Wohnungssuchende für sich und ihre Familie eine angemessene Wohnung zu tragbaren Bedingungen finden können». Die Bundesverfassung enthält also kein individuelles und einklagbares Recht auf eine Wohnung. Einige Kantone – etwa Basel-Stadt oder Genf – haben das Recht auf Wohnen aber ausdrücklich in ihre Kantonsverfassungen aufgenommen. Damit bleibt die rechtliche Lage insgesamt diffus: Das Recht auf Wohnen wird zwar formal anerkannt, doch fehlt es auf nationaler Ebene an der Anerkennung seiner Justiziabilität und einer verbindlichen Umsetzung.

Weiter zeigen die erwähnten Statistiken und Studien, dass Ausländer*innen und Personen ohne Schweizer Pass auf dem Wohnungsmarkt systematisch benachteiligt sind. Diskriminierung und Rassismus spielen dabei eine zentrale Rolle.

Dieses Ungleichgewicht widerspricht dem Prinzip der Nicht-Diskriminierung, wie es in internationalen Menschenrechtsverträgen wie dem Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (UNO-Pakt I) (ICESCR, Art. 2 Abs 2) sowie im Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte (ICCPR, Art. 2 Abs. 1 und Art. 26) festgeschrieben ist. Staaten sind verpflichtet, soziale Rechte ohne Diskriminierung zu gewährleisten. Die Schweiz hat beide Abkommen ratifiziert, hingegen nicht die dazugehörigen Zusatzprotokolle zur Einklagbarkeit durch Individualbeschwerden. In Artikel 12 der Schweizerischen Bundesverfassung wird zwar allen Personen in einer Notlage Hilfe zusichert. Doch in der Gewährung dieses Anspruchs erweisen sich die Rechtsgrundlagen in der Schweiz offensichtlich als lückenhaft. Es gibt bis heute keine Gesetzesgrundlage, die den diskriminierungsfreien Zugang zu einer angemessenen und menschenwürdigen Unterkunft gewährleistet.

Auch die von der Schweiz ratifizierte Internationale Konvention zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung (ICERD) verpflichtet in Art. 5 Abs. e (iii) ausdrücklich dazu, den Zugang zu Wohnraum ohne rassistische Diskriminierung zu gewährleisten. Trotzdem fehlt in der Schweiz bis heute eine Rechtsgrundlage, die Personen, die von rassistischen Ausgrenzungen betroffen sind, wirksame und einklagbare Mittel bietet.

Massnahmen und Forderungen

Recht auf Wohnen stärken – mit einer verbindlichen Verankerung in der Verfassung

Das Recht auf Wohnen ist im UNO-Pakt I (ICESCR) in Art. 11 ausdrücklich als Teil des Rechts auf einen angemessenen Lebensstandard verankert. Die Schweiz ist verpflichtet, dieses Recht schrittweise zu verwirklichen und dabei niemanden auszuschliessen. Gemäss Art. 2 Abs. 2 ICESCR muss dies zudem diskriminierungsfrei geschehen. In der Schweiz ist dieses Recht jedoch nicht einklagbar, da die Bundesverfassung (Art. 41 BV) nur sozialpolitische Zielbestimmungen enthält.

Um den menschenrechtlichen Anforderungen gerecht zu werden, muss die Schweiz das Recht auf eine angemessene und tragbare Wohnung verfassungsrechtlich verbindlich verankern. Eine solche Verankerung muss klar definieren, was «angemessen» bedeutet – etwa hinsichtlich Leistbarkeit, Wohnqualität, Erreichbarkeit, Sicherheit und Zugang zu Infrastruktur. Die Kantone Basel-Stadt, Basel-Landschaft, Genf und Jura zeigen bereits, dass eine menschenrechtskonforme Verfassungsverankerung möglich ist. National fehlt jedoch ein solcher Schutz.

Diskriminierungsfreien Zugang zum Wohnungsmarkt garantieren – mit einem Antidiskriminierungsgesetz und spezifischem Schutz vor Rassismus

Das Diskriminierungsverbot ist sowohl in Art. 2 Abs. 2 ICESCR, Art. 2 Abs. 1 ICCPR als auch in Art. 26 ICCPR festgeschrieben und verpflichtet die Schweiz, die Wohnungsversorgung ohne Diskriminierung nach Herkunft, Nationalität, Sprache, Aussehen oder Aufenthaltsstatus zu gewährleisten. Das ICERD verpflichtet die Schweiz zusätzlich, rassistische Diskriminierung im Wohnungsbereich aktiv zu bekämpfen, auch im privaten Sektor.

Trotz dieser Verpflichtungen gibt es in der Schweiz kein umfassendes Antidiskriminierungsgesetz, das Diskriminierung im Privatsektor – inklusive im Wohnungsmarkt – effektiv ahndet. Diskriminierungen bei Wohnungsbewerbungen, etwa aufgrund von Namen, Hautfarbe oder Staatsangehörigkeit, sind nachweislich verbreitet (vgl. BWO-Studien), bleiben aber rechtlich kaum verfolgbar.

Aus menschenrechtlicher Sicht braucht es daher:

  • ein bundesweites Antidiskriminierungsgesetz, das auch rassistische Diskriminierung im Wohnungsmarkt umfassend erfasst,
  • Transparenzpflichten von Vermietenden und Verwaltungen zur Vergabepraxis,
  • wirksame Beschwerdemechanismen, die auch rassistische Benachteiligungen untersuchen können,
  • Monitoring und Datenerhebung, um diskriminierende Vergabemuster – insbesondere rassistische – sichtbar zu machen.
  • Stärkung der Beratungsangebote des Beratungsnetzes für Rassismusopfer, damit diese Beschwerden bei rassistischer Diskriminierung auf dem Wohnungsmarkt bearbeiten sowie Sensibilisierungsarbeit gegenüber Behörden und Trägerschaften leisten können.

Zugang zu Unterkunft in Notlagen für alle gewährleisten – unabhängig vom Aufenthaltsstatus

Das Recht auf Hilfe in Notlagen ist in der Schweiz verfassungsrechtlich geschützt: Art. 12 BV garantiert jeder Person – unabhängig vom Aufenthaltsstatus oder Herkunft – Anspruch auf die «für ein menschenwürdiges Dasein unentbehrliche Hilfe». Dies umfasst auch Schutz vor Obdachlosigkeit. International sind Staaten durch Art. 11 ICESCR (angemessener Lebensstandard) sowie das Diskriminierungsverbot in Art. 2 Abs. 2 ICESCR verpflichtet, Notunterkünfte für alle zugänglich zu machen.

Aus menschenrechtlicher Sicht braucht es:

  • klare nationale Vorgaben, dass Notschlafstellen allen Personen offenstehen müssen – unabhängig von Aufenthaltsstatus oder Herkunft,
  • Monitoringmechanismen, um rassistische oder migrationsbezogene Ausschlüsse sichtbar zu machen,
  • Sensibilisierung von Behörden und Trägerschaften, um rassistische Vorurteile und Strukturen im Zugang zu Notunterkünften abzubauen.

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