Seba Arab
Seba Arab braucht viel Mut, um über die Repressionen in Syrien zu sprechen, wo die kleinste Kritik Gefängnis bedeutete. Die Kurdin gehört in ihrer Heimat zu einer verfolgten Minderheit. Schon als Kind lernte sie, ausser ihrer Familie niemandem zu trauen. Sie flüchtete 2014 zusammen mit ihrem Mann vor dem Krieg aus Aleppo, wo sie als Ingenieurin in einem staatlichen Betrieb gearbeitet hatte. Heute lebt das Paar im Kanton Schwyz. Seba Arab wäre gerne in einem Land aufgewachsen, in dem die Grundrechte geschützt werden.
Nachdem sich Hafiz al Assad 1970 an die Macht geputscht hatte, gab es nur eine Partei in Syrien. Die Medien wurden gleichgeschaltet, Kritiker_innen verhaftet, gefoltert und getötet. Kinder wurden in Ferienlagern und an Veranstaltungen darauf getrimmt, ihren Präsidenten zu besingen und zu verehren. «Die Wände haben Ohren» – diesen Spruch hörte Seba Arab sehr oft als Kind. Ihr Vater war Richter und sehr bedacht darauf, seine kurdische Herkunft zu verbergen und nicht aufzufallen. Sie verstand nicht, warum sie die Sprache ihrer Grosseltern nicht sprechen durfte. Als in der 7. Klasse ein syrischer Held vorgestellt wurde, von dem sie wusste, dass er Kurde war, gab sie ganz stolz ihre Herkunft preis. Fortan war sie an ihrer Schule stigmatisiert. Das war für Seba Arab der Auslöser, im Verborgenen die kurdische Kultur und Sprache kennen zu lernen.
Ende der Achzigerjahre kam sie an der Universität mit politischem Widerstand in Kontakt. Es war lebensgefährlich, sich über Politik zu unterhalten: «Wenn an der Uni mehr als zwei Kurd_innen miteinander redeten, stand sofort der Geheimdienst da und nahm sie mit.» Das Regime verfolgte auch andere Minderheiten und Andersdenkende. Seba Arab war sehr beeindruckt, mit wie viel Mut sich Mitstudent_innen während Versammlungen der Baath-Partei mit kritischen Äusserungen gegen die Repression auflehnten. Sie büssten dies alle mit ihrer Freiheit oder ihrem Leben.
«Wenn an der Uni mehr als zwei Kurd_innen miteinander redeten, stand sofort der Geheimdienst da und nahm sie mit.»
Seba Arab gewöhnte sich nie an das Leben in der Diktatur, lernte aber, sich darin zu bewegen. «Wir alle wussten, dass in jedem Büro Spitzel des Geheimdienstes mithörten», erzählt die Ingenieurin. «Niemand äusserte sich darum am Arbeitsplatz jemals kritisch und wir pflegten keine privaten Kontakte.» Als im Jahr 2000 Baschar al Assad seinen Vater nach dessen Tod ablöste, kam Hoffnung auf. Die Repressionen schienen sich etwas zu lockern. Trotzdem gab es weiterhin sehr viele politische Häftlinge und keine Medienfreiheit.
Seba Arab und ihr Mann Azad Issa, der als Chemielehrer an einem Gymnasium tätig war, nahmen ab 2011 mit Tausenden anderen hoffnungsvollen Syrer_innen an friedlichen Demonstrationen für mehr Demokratie in Aleppo teil. «Wir hätten nie gedacht, dass das der Anfang des Endes unserer Heimat ist», sagen sie heute. 2014 mussten auch sie ihre geliebte und zerbombte Stadt verlassen. Mit Hilfe des Schweizerischen Roten Kreuzes gelangten sie über die Türkei in die Schweiz. «Wir können nie mehr zurück, solange Assad an der Macht ist», schildert Seba Arab ihre Situation nachdenklich. «Wir waren beide Beamte und gingen, ohne gekündigt worden zu sein. Jetzt sind wir Volksverräter.»
Sie war sehr erleichtert, in der Schweiz in Sicherheit zu sein, und freute sich, ein neues Leben zu beginnen. Seba Arab lernte rasch und gut Deutsch, wurde Aktivmitglied im Turnverein und singt im örtlichen Chor. Mit ihren Fachkenntnissen wollte sie beruflich einen Beitrag leisten. Doch mit dem F-Status (vorläufige Aufnahme) sind sie und ihr Mann sehr eingeschränkt in ihren beruflichen Möglichkeiten oder in der Bewegungsfreiheit. Sie können keine Zukunft aufbauen. Darunter leiden sie. «Wir verstehen nicht, warum es zwei Arten von Bewilligungen gibt – permanente und vorläufige, wir sind doch alle aus demselben Krieg geflüchtet», formuliert Seba Arab ihr Unverständnis. Die Mehrheit der syrischen Flüchtlinge erhält in der Schweiz nur eine vorläufige Aufnahme.
Es ist für die Syrerin neu, in einem Land zu leben, in dem sie Kritik üben darf, ohne Repressionen zu erleiden. «Im Asylbereich gibt es sicher auch problematische Regelungen, die verbessert werden müssen, wie eben zum Beispiel der F-Status. Aber hier gibt es einen Menschenrechtsschutz, in Syrien nicht.» Dass in Europa alle Menschen die Möglichkeit haben, beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ihre Rechte einzuklagen, findet Seba Arab besonders bemerkenswert. «Das ist eine grosse Errungenschaft, die man unbedingt schützen sollte.»
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