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Ursula Biondi

«Ich wurde mit 17 weggesperrt, weil ich schwanger war. Die Zeit in Hindelbank hat tiefe seelische Wunden und eine jahrzehntelange Stigmatisierung hinterlassen. Sie nahmen mir mein Kind und meine Würde weg. Zehntausende von Menschen sind so vom Staat gebrochen worden früher. Wenn wir den Menschenrechten nicht Sorge tragen, kann das wieder passieren.»

                                                                                  

Zu Unrecht weggesperrt und stigmatisiert

Ursula Biondi landete 1966 mit 17 als Schwangere in der Strafanstalt Hindelbank – ohne eine Straftat begangen zu haben. Die Vormundschaftsbehörde hatte zu dieser «erzieherischen Massnahme» gegriffen, weil Ursula sich in einen geschiedenen, sieben Jahre älteren Mann verliebt hatte und minderjährig schwanger wurde.


Heinz war Ursulas grosse Liebe, sie wollten heiraten und als Familie zusammen leben. Ihre Familien und die Behörden legten ihnen so viele Steine in den Weg, dass sie nach Italien flüchteten. Die Interpol griff Ursula Biondi schliesslich auf und brachte sie in die Schweiz zurück. Sie wurde für immer von Heinz getrennt. Die hochschwangere junge Frau wurde auf Beschluss der Amtsvormundschaft «zum Schutz des ungeborenen Kindes» in die geschlossene Arbeitsanstalt Hindelbank eingewiesen. Die Eltern unterschrieben auf Druck der Behörden die Einweisung, in der Hoffnung, sie vom Kindsvater fern zu halten. Sie wussten nicht, dass Hindelbank ein Frauengefängnis war. Man sagte ihr, ihre Tochter erhalte dort eine Ausbildung in Haushalt und Säuglingspflege. Als die Mutter merkte, dass ihre Tochter zusammen mit Mörderinnen eingesperrt und zur Arbeit gezwungen wurde, wollte sie die Einweisung sofort rückgängig machen. Vergeblich. Die in einfachen Verhältnissen lebenden Eltern mussten sogar 7000 Franken für das Wegsperren bezahlen. Ein Jahr lang verbrachte Ursula Biondi in einer Zelle als sogenannte «administrativ Versorgte» und erlebte dabei Unfassbares.

Kaum war ihr Sohn geboren, wurde er ihr weggenommen, um ihn zur Adoption freizugeben. «Ich durfte ihn nicht einmal in den Arm nehmen, er wurde mir unmittelbar nach der Geburt weggenommen. Sie sagten mir nicht einmal, ob es ein Junge oder ein Mädchen ist.» Sie wehrte sich und schaffte es, ihren Sohn zehn Tage lang bei sich zu haben. Dann nahm man ihn ihr ein zweites Mal weg – für immer, wie sie sagten.

«Ich durfte ihn nicht einmal in den Arm nehmen, er wurde mir unmittelbar nach der Geburt weggenommen. Sie sagten mir nicht einmal, ob es ein Junge oder ein Mädchen ist.»

Monatelang setzte man sie unter Druck, ihr Einverständnis zur Adoption zu geben. Um sie abzulenken, liess man sie zehn Stunden am Tag in der Wäscherei schuften. Man würde für ihn eine Familie suchen, in der er glücklich aufwachsen könne, sagte man hier.

Ursula Biondi war am Boden zerstört, ihre Situation war aussichtslos. Beinahe hätte sie sich umgebracht, entschloss sich dann aber, mit aller Kraft für ihr Kind zu kämpfen. Nach drei Monaten erhielt sie ihr Kind mit viel Glück und Einsatz zurück. Daraufhin musste sie fünf weitere Monate mit ihrem Sohn im Gefängnis verbringen, bevor sie knapp 18-jährig wegen «guter Führung» entlassen wurde. Mit ihrem inzwischen acht Monate alten Sohn und mit einem Startkapital von 23 Franken flüchtete sie nach Genf in die Anonymität. «Ich war schwer traumatisiert, mein Urvertrauen wurde in Hindelbank für immer zerstört», sagt Ursula Biondi heute. Die Angst, als «Kriminelle» erkannt zu werden, prägte sie während vieler Jahre. Sie gründete in Genf eine Familie und machte Karriere als Informatikerin in einer Organisation der UNO. Doch all das half nicht, um das Stigma «Hindelbank» loszuwerden. Die Ungerechtigkeit quält Ursula Biondi bis heute.

Tausende von Jugendlichen und Erwachsenen wurden bis 1981 eingesperrt, ohne Gerichtsverhandlung. Man warf ihnen «liederlichen Lebenswandel», «Vaganterei» oder «Arbeitsscheue» vor. Dank dem Druck der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) passte die Schweiz 1981 endlich das Zivilgesetzbuch entsprechend an. Die administrative Verwahrung gibt es seither nicht mehr. Die Opfer bleiben. Erst mit knapp 60 Jahren hat Ursula Biondi den Mut gefunden, öffentlich über ihre Geschichte zu reden und zusammen mit anderen betroffenen Frauen eine moralische Wiedergutmachung von den Behörden zu fordern. Im September 2016 hat das Parlament einer finanziellen Wiedergutmachung für tausende von Opfern der «Administrativen Verwahrung» zugestimmt.

Dass mit der Selbstbestimmungsinitiative 2018 ausgerechnet die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) politisch angegriffen wurde, machte Ursula Biondi grosse Sorgen: «Ich habe Angst, dass sich so etwas wie damals wiederholen könnte. Nicht für mich, sondern für die heutigen und für die nächsten Generationen. Die sind sich nicht bewusst, was auf sie zukommen kann, wenn der Menschenrechtsschutz nicht mehr intakt ist.»

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