10.09.2025
Jeanne K. blitzte bei der Steuerverwaltung Bern ab, als sie eine geschlechtsneutrale Steuererklärung forderte, in welcher nicht automatisch der Ehemann Träger des Steuerdossiers ist. Da auch das Gericht darin keine rechtliche Ungleichbehandlung sieht, sollen nun politische Vorstösse zu einer diskriminierungsfreien Steuerpraxis führen.

Jeanne K. wohnt mit ihrer Familie in Biel und ist Hauptverdienerin der Familie, ihr Ehemann kümmert sich mehrheitlich um die Kinder. Jeanne K. ist in der Familie auch zuständig für die Steuererklärung. Jedes Jahr wird sie als Hauptverdienerin auf dem Formular mit «Ehemann» angesprochen. Wie in den meisten Kantonen läuft im Kanton Bern die gemeinsame Steuererklärung von verheirateten Paaren automatisch unter der Steuernummer des Ehemanns. Der Ehemann ist Halter des Steuerdossiers und wird als erste Person angesprochen. Diese Ungleichbehandlung in Steuerangelegenheiten zeigt sich nicht nur symbolträchtig bei der Anrede im Formular, sie hat auch unmittelbare diskriminierende Folgen.
So kann Jeanne K. – wie alle verheirateten Frauen im Kanton Bern – ohne die Einwilligung ihres Ehemanns keine Fristenerstreckung oder Rechnungen über Rückzahlungen verlangen. Für Rückvergütungen darf sie nur das Konto des Ehemannes oder ein gemeinsames angeben. Dies forderte die Steuerverwaltung von Jeanne K., als sie ihr eigenes Konto für Rückzahlungen der Steuern betreffend das Jahr 2016 angab. Als sie dieser Aufforderung nicht nachkam, überwies die Steuerverwaltung den Überschuss schliesslich doch auf ihr Konto. Abgesehen davon weigerte sich das Berner Steueramt jedoch selbst nach mehreren Anfragen, die auf den Mann zugeschnittenen Standardabläufe zu revidieren. Da Jeanne K. und ihr Mann das diskriminierende Steuersystem nicht unterstützen wollten, reichten sie die Steuererklärung für das Jahr 2017 nicht mit den amtlichen Formularen, sondern handschriftlich ein. Dies wurde von der Steuerverwaltung nicht akzeptiert; es folgte ein längeres Hin und Her. Die Verwaltung verfügte schliesslich eine Steuerveranlagung nach Ermessen und auferlegte dem Ehepaar eine Mahngebühr sowie Bussen wegen Verletzung von Verfahrenspflichten.
Um ein der Gleichstellung entsprechendes Steuerveranlagungsverfahren zu erhalten, entschied sich das Ehepaar K., eine Beschwerde beim Berner Verwaltungsgericht einzureichen. Unterstützt wurde sie dabei von der Anwältin und Alt-Nationalrätin Margret Kiener Nellen. Dass die Behörden sich weigern, der Ehefrau das Steuerdossier zu übertragen, verstosse gegen das Diskriminierungsverbot der Berner Kantonsverfassung, der Bundesverfassung sowie gegen Verpflichtungen, die aus der UNO-Frauenrechtskonvention resultieren, so Kiener Nellen.
Am 24. März 2022 entschied das Berner Verwaltungsgericht, dass die den Beschwerdeführenden gemeinsam auferlegten Bussen nicht rechtmässig wären und aufgehoben würden. Es hielt jedoch fest, dass die Steuererklärung nur mit den amtlichen Formularen eingereicht werden könnte – dass diese von den Beschwerdeführenden als diskriminierend empfunden würden, sei kein Rechtfertigungsgrund für die Pflichtverletzung. Das Gericht führte zwar ebenfalls das von der Anwältin Kiener Nellen vorgebrachte Diskriminierungsverbot von Art. 8 BV Abs. 2. auf, argumentierte aber, es würde sich nicht um eine rechtliche Ungleichbehandlung von Frau und Mann, sondern nur um «die administrative Erfassung von Ehepaaren» handeln. Dass diese als nicht mehr zeitgemäss kritisiert würde, wäre verständlich, so das Gericht. Es anerkannte auch, dass die aktuelle Umsetzung des Steuerverfahrens ein veraltetes Rollenbild von Ehepaaren widerspiegeln würde und schrieb, dass eine Änderung begrüssenswert wäre. Es wäre nicht ersichtlich, weshalb z.B. nicht die Steuernummern der Ehefrau und des Ehemannes genannt werden könnten und nicht mit beiden auf das gemeinsame Steuerdossier zugegriffen werden könnte (anstatt nur mit jener des Mannes). Gleichzeitig übernahm das Gericht jedoch auch die von der Steuerverwaltung vorgebrachte Begründung, dass diese technischen Änderungen nicht «ohne erheblichen finanziellen und zeitlichen Aufwand» vorgenommen werden könnten. Schliesslich hielt das Gericht fest, dass in diesem Verfahren nicht überprüft werden könnte und müsste, ob es sich bei der gerügten Ungleichbehandlung um eine Diskriminierung gemäss Art. 8 BV bzw. Art. 10 KV handeln würde.
Die Rechtsanwältin Kiener Nellen bewertet den Gerichtsentscheid insgesamt nicht als Erfolg. Sie ist aber der Ansicht, dass neu aufgerollte Beschwerdeverfahren gegen die gerügte Diskriminierung der Ehefrauen in Kantonen wie Bern von den Erwägungen im Entscheid profitieren könnten. Da der aktuelle Prozess nicht von Beginn an optimal aufgegleist worden war und folglich die Chancen vor Bundesgericht nicht aussichtsreich waren, entschied sich Kiener Nellen in Absprache mit Jeanne K. und ihrem Mann gegen einen Weiterzug. Sie verfolgten das Anliegen jedoch auf dem politischen Weg weiter.
Kleine Fortschritte dank politischen Vorstössen
Wie oft in strategischen Prozessführungen hatte der Fall bereits vor dem Gerichtsurteil für Schlagzeilen und politische Vorstösse gesorgt. Eine 2017 im Grossen Rat des Kantons Bern eingereichte Motion, welche die freie Wahl der zu verwendenden gemeinsamen Steuernummer bei verheirateten Paaren forderte, wurde abgelehnt. 2020 wurde die Forderung in einer neuen Motion wiederholt. Der Regierungsrat hielt jedoch mehrmals fest, dass die freie Wahl aus technischen Gründen und wegen hohen finanziellen Aufwands nicht geplant sei. Im Rahmen der Umsetzung dieser Motion wurde 2024 immerhin eingeführt, dass Fristverlängerungen der Steuererklärung online mit den Steuernummern beider Ehepartner möglich sind. Damit bestehen gemäss Steuerverwaltung keine steuerlichen oder organisatorischen Unterschiede zwischen Ehemann und -frau mehr, obwohl nach wie vor die Steuernummer des Mannes für das eheliche Dossier verwendet wird. Die sprachliche Ungleichbehandlung wird fortgesetzt: auch in der Steuererklärung 2024 wird der Ehemann als «Hauptperson» aufgeführt.
Auch weitere Kantone überprüften ihre Praxis bezüglich der Steuerdossiers verheirateter Paare. So wurde im Kanton Basel-Stadt ein entsprechender Vorstoss angenommen. Neu verheiratete oder neu in den Kanton zugezogene Paare können einen Antrag stellen, dass die Steuernummer derjenigen Person weiterverwendet wird, deren Vorname in alphabetischer Reihenfolge an erster Stelle steht. Aktuell prüft die kantonale Steuerverwaltung, ob dies nicht nur auf Antrag, sondern automatisiert möglich wäre. Zusätzlich hat die Steuerverwaltung die Einführung einer neuen, zusätzlichen Steueridentifikationsnummer geprüft. Diese würde die vollkommen neutrale Behandlung von verheirateten Paaren ermöglichen. Eine weitergehende Umsetzung würde aber eine umfassende Anpassung der von allen 14 Kantonen genutzten Steuersoftware erfordern. Der Kanton Basel-Stadt hat die anderen Kantone dazu angefragt. Diese sind jedoch vorläufig nicht bereit, zu einer entsprechenden Anpassung finanziell beizutragen.
Im Kanton Zürich wurden die Steuererklärungsformulare 2021 nach einer Intervention von Frauen aus der kantonalen Gleichstellungskommission angepasst: es werden nun anstelle der Begriffe «Ehefrau» und «Ehemann» «Person 1» und «Person 2» verwendet. Das Steuerdossier wird im Steuerregister jedoch nach wie vor an den Ehemann angeknüpft. Die Steuerverwaltung weist aber darauf hin, dass sich daraus keine materiellen Folgen und Nachteile für die Ehefrau ergeben. So könne etwa für Steuerrückzahlungen auch das Konto der Ehefrau angegeben werden.
Da die meisten kantonalen Steuerverwaltungen die diskriminierenden Veranlagungsverfahren immer noch praktizieren, hat Kiener Nellen gemeinsam mit einer weiteren Anwältin eine Mustereinsprache verfasst. Damit können betroffene Ehepaare sich gegen die diskriminierende Steuerveranlagung wehren.
Auf Bundesebene forderte im Jahr 2020 eine Interpellation das Eidgenössische Finanzdepartement auf, die Gleichstellung von Verheirateten in Steuerverfahren auf kantonaler Ebene durchzusetzen. Die Interpellation wurde jedoch im Juni 2022 abgeschrieben, da sie nicht innert zwei Jahren abschliessend im Rat behandelt worden war. Aktuell steht die Einführung der Individualbesteuerung zur Debatte. Diese würde die Diskriminierung der Frauen beseitigen, da Ehepaare damit wie unverheiratete Paare besteuert und zwei getrennte Steuererklärungen ausfüllen würden. Das nationale Parlament hat sich in der Sommersession 2025 für die Einführung der Individualbesteuerung ausgesprochen. Dagegen hat aber ein bürgerliches Komitee bereits das Referendum angekündigt und auch mehrere Kantone sprechen sich dagegen aus.
Mehr zu geschlechtsspezifischer Diskriminierung lesen Sie in unserem Dossier zur Gleichstellung der Frau.
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