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Gleichstellung der Frau - Dossier

Die Gleichstellung der Frau im Erwerbsleben

16.12.2021

 

Die Forderung nach einer Gleichberechtigung von Frauen im Berufsleben ist ein Kernthema feministischer Bewegungen. Trotz des langen Kampfes ist die Geschlechtergleichstellung im Erwerbsleben jedoch nach wie vor nicht realisiert.

Eine grosse Rolle bei der Diskriminierung im Erwerbsleben spielt die immer noch die wirksame stereotype Zuweisung von Haus- und Carearbeit an Frauen. Frauen sind zudem seltener erwerbstätig, arbeiten häufiger Teilzeit, verdienen weniger als Männer und sind seltener in Führungspositionen vertreten.

Die Situation in der Schweiz

In der Schweiz sind 60% aller Frauen und 70% aller Männer ab 15 Jahren erwerbstätig. Bei den Eltern von Kindern unter 15 Jahren sind bei den Frauen 78%, bei den Männern 95% erwerbstätig. Ein grosser Unterschied zeichnet sich in den Pensen ab: 82% der Männer sind zu 90 bis 100% erwerbstätig, während es bei den Frauen nur gerade 40% sind. Auch in Bezug auf Position und Branchen zeigen sich nach wie vor grosse Unterschiede zwischen den Geschlechtern. So sind Frauen deutlich weniger – zu etwas mehr als einem Drittel – in Führungspositionen vertreten als Männer.

Nach wie vor besteht zwischen Frauen und Männern ein Lohnunterschied von 19%. Auf der Lohnabrechnung von Frauen sind im Durchschnitt jeden Monat 1'512 Franken weniger als bei den Männern. Davon sind 54.6% durch objektive Faktoren – etwa berufliche Stellung, Dienstjahre oder Ausbildungsniveau – erklärbar. Ganze 45.4% der Lohndifferenz bestehen jedoch trotz gleichwertiger Arbeit und lassen sich objektiv nicht erklären. Besonders hart trifft es hierbei die Mütter. Verschiedene Studien zeigen, dass Frauen massive Lohneinbussen erleiden, sobald sie Mütter werden (Muttermalus). Unterbricht eine Frau ihre Berufskarriere, führt dies zu einer Lohneinbusse von bis zu 900’000 Franken. Allein der Arbeitsunterbruch führt zu einem Lohnausfall von 400’000 bis 450'000 Franken. Nach der Rückkehr ins Arbeitsleben haben die Mütter jedoch schlechtere Karrierechancen und damit auch tiefere Löhne. Pro Jahr der beruflichen Unterbrechung sinkt der Lohn um 3.2%. Wenn eine Hochschulabsolventin einen Unterbruch von 6,7 Jahren einlegt, verschlechtert sich ihr Einkommen um 22% – eine Lohneinbusse von weiteren 480'000 Franken. Demgegenüber führt eine Vaterschaft für die meisten Männer zu einem Lohnanstieg (Väterbonus).

Die Lohnunterschiede und das tiefere Arbeitspensum der Frauen führen nicht zuletzt zu einer massiven Reduktion der Rente. Frauen erhalten in der zweiten Säule im Schnitt 1'200 Franken, während die Männer 2'300 Franken erhalten. Darüber hinaus wird der Bruttolohn zur Bestimmung des versicherten Einkommens um einen fixen Koordinationsabzug von 24'885 Franken gekürzt. Ein Konstruktionsfehler: Bei der Einführung dieses Systems im Jahr 1985 ging man vom Modell der Vollzeitarbeit aus. Heute jedoch sind Teilzeitpensen stark verbreitet – vor allem bei den Frauen mit einem Anteil von 60%.

Die Grundlagen und Entwicklungen im Schweizer Recht

Das Bundesgesetz über die Gleichstellung von Frau und Mann vermittelt einen spezifischen Diskriminierungsschutz im Bereich der Arbeit aufgrund des Geschlechts. Es enthält neben einem Diskriminierungsverbot auch eine Grundlage für Förderungsmassnahmen und Finanzhilfen sowie Erleichterungen beim Zugang zur Justiz. Erfasst wird ebenso sexuelle Belästigung. Im Jahr 2005 wurde in Erfüllung einer Motion von Vreni Hubmann eine Evaluation zur Wirksamkeit des Gleichstellungsgesetzes veröffentlicht.

Per 1. Juli 2020 wurde das Bundesgesetz über die Gleichstellung von Frau und Mann revidiert und um eine Pflicht für Arbeitgebende zu einer betriebsinternen Lohngleichheitsanalyse ergänzt. Die Änderung hat zum Ziel, den verfassungsrechtlichen Anspruch auf gleichen Lohn für gleiche und gleichwertige Arbeit (Art. 8 Abs. 3 BV) durchzusetzen. Damit werden Unternehmen mit mehr als hundert Arbeitnehmenden verpflichtet, alle vier Jahre eine Lohngleichheitsanalyse zu machen. Weiter müssen Arbeitnehmende sowie Aktionär*innen über das Ergebnis der Lohngleichheitsanalyse informiert werden. Das Eidgenössische Büro für die Gleichstellung von Frau und Mann stellt neben umfassenden Informationen auch ein Lohngleichheitsanalysetool für Unternehmen zur Verfügung. Parallel hat Travail.Suisse das Projekt RESPECT8-3.CH ins Leben gerufen. Auf der Online-Plattform können sich Unternehmen ab fünfzig Mitarbeitenden eintragen, welche die Lohngleichheitsanalyse durchgeführt haben. Die Unternehmen werden in diesem Fall in eine öffentlich einsehbare «Weisse Liste» eingetragen. Gleichzeitig plant die Plattform die Publikation einer «Schwarzen Liste», welche Unternehmen ab hundert Angestellten aufführt, die die obligatorische Lohngleichheitsanalyse nicht durchgeführt haben.

Die ersten Ergebnisse der offiziellen Lohngleichheitsanalyse wichen stark von den bisherigen Bundesstatistiken zu den Lohnunterschieden ab und erwiesen sich als nur bedingt aussagekräftig. Der Bundesrat bestätigte in seiner Antwort auf eine Interpellation von Ständerätin Eva Herzog: Die Firmen, die gemäss Gleichstellungsgesetz eine Lohnanalyse durchführen müssten, machen zurzeit gerade 1 Prozent aller Arbeitgeber*innen aus. Diese Unternehmen beschäftigten 45 Prozent aller Arbeitnehmenden in der Schweiz. Gerade bei kleineren Unternehmen ist der unerklärte Anteil am Lohnunterschied überdurchschnittlich hoch, genau diese Betriebe sind jedoch nicht verpflichtet, eine Lohngleichheitsanalyse durchzuführen.

Seit dem 1. Januar 2021 besteht schliesslich eine Zielquote für Verwaltungsräte und Geschäftsleitungen von grossen Aktiengesellschaften. Grosse börsenkotierte Unternehmen mit Sitz in der Schweiz sollen mehr Kaderstellen mit Frauen besetzen. Es gilt neu ein Richtwert von 30% Frauen im Verwaltungsrat sowie 20% Frauen in der Geschäftsleitung (Art. 743f. OR). Die Frauenquote im Verwaltungsrat muss innerhalb von fünf Jahren, jene in der Geschäftsleitung innerhalb von zehn Jahren erreicht sein. Das Gesetz funktioniert nach dem «comply-or-explain»-Prinzip: Werden die Schwellenwerte nicht fristgerecht erreicht, müssen die Unternehmen die Gründe für die ungleiche Geschlechterverteilung angeben und Massnahmen bestimmen, die zur Förderung des untervertretenen Geschlechts beitragen sollen. Travail.Suisse hat mit einer Managerlohnstudie aufgezeigt, wie wichtig die Einführung der Frauenquote auf Gesetzesstufe ist. Ende des Jahres 2019 sassen in den 26 untersuchten Unternehmen in der Schweiz lediglich 26 Frauen. Bei einer Gesamtzahl von 218 Konzernleitungsmitgliedern entspricht dies einem Frauenanteil von knapp 12%.

Internationale Verpflichtungen

Das Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form der Diskriminierung der Frau (CEDAW) von 1979 verankert in Artikel 11 das Recht auf Gleichstellung im Berufs- und Erwerbsleben und verbietet Diskriminierung insbesondere in Bezug auf Mutterschaft und Ehe. Der UNO-Frauenrechtsausschuss hat bisher keine spezifische Empfehlung zu der besagten Bestimmung gemacht. Einzelne Aspekte, wie beispielsweise Lohngleichheit, Haus- und Sorgearbeit sowie Arbeitsmigration, wurden jedoch kommentiert.

Artikel 11 Absatz 1 enthält zunächst ein Verbot der Diskriminierung in Bezug auf das unveräusserliche Recht auf Arbeit. Die Vertragsstaaten trifft also die Pflicht in diesem Zusammenhang alle Massnahmen diskriminierungsfrei auszugestalten. Weiter schützt die Bestimmung das Recht auf dieselben Arbeitsmöglichkeiten. Damit nicht zu vereinbaren wäre etwa ein Trageverbot des islamischen Kopftuches während der Arbeit. Ausserdem ergibt sich daraus auch die staatliche Verpflichtung, Massnahmen gegen die Diskriminierung von Frauen mit Behinderungen zu ergreifen. Weiter wird das Recht auf beruflichen Aufstieg auf die spezifische Situation der Frauen im Arbeitsleben formuliert. Wie schon beim Recht auf Arbeit besteht auch hier die Verpflichtung der Vertragsstaaten, Bedingungen zu schaffen, unter welchen Frauen gleichberechtigt mit Männern die Chance des beruflichen Aufstiegs erhalten. Schliesslich fordert die Bestimmung die Gleichbehandlung von Mann und Frau im Bereich der sozialen Sicherheit. In Artikel 11 Absatz 2 formuliert das Abkommen ein Verbot der Entlassung wegen Schwangerschaft oder Mutterschaftsurlaub.

Im Bereich Geschlecht und Arbeit verankert auch die Europäische Sozialcharta menschenrechtliche Ansprüche. So beinhaltet sie in Artikel 4 das Recht auf faire Bezahlung, also auch auf Lohngleichheit bei gleichwertiger Arbeit. Weiter schützt Artikel 8 Arbeitnehmende bei Schwangerschaft, Mutterschaft inkl. Stillzeit und verleiht das Recht auf einen mindestens vierzehnwöchigen, bezahlten Mutterschaftsurlaub. Weitere Artikel garantieren Gleichbehandlung im Berufsleben und verbieten die Diskriminierung aufgrund des Geschlechts sowie den Schutz vor sexueller Belästigung.

Kritik der internationalen Menschenrechtsorgane

Immer wieder wurde die Schweiz von internationalen Menschenrechtsorganen für die mangelnde Gleichstellung der Geschlechter im Erwebsleben kritisiert. Diese Ermahnungen bezogen sich wiederholt auf Lohnunterschiede, diskriminierende Stereotype im Berufsleben, die horizontale und vertikale Geschlechtersegregation und Ungleichbehandlungen in der beruflichen Vorsorge. Besonders hervorgehoben wurde die Notwendigkeit, mit temporären Sondermassnahmen die Chancengleichheit auf dem Arbeitsmarkt sicherzustellen. Ebenso wurde darauf hingewiesen, dass die Situation von in der Schweiz arbeitenden Migrantinnen besser analysiert und verbessert werden soll.

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