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Bundesgesetze zur Terrorbekämpfung

Terrorbekämpfung: Überblick über die Gesamtstrategie des Bundes

19.09.2018

Tödliche Anschläge in Frankreich, Deutschland oder Belgien haben  die schweizerischen Behörden in den letzten Jahren dazu gebracht, eine ganze Reihe von Massnahmen und Gesetzespaketen aufzugleisen, um der Terrorgefahr mit präventiven Mitteln zu begegnen. Die Ergebnisse der hektischen Aktivitäten sind vier Pfeiler von Prävention und Repression, von denen zwei – das Nachrichtendienstgesetz und der Nationale Aktionsplan zur Verhinderung und Bekämpfung von Radikalisierung und gewalttätigem Extremismus – bereits beschlossene Sache sind, während die Gesetzespakete zur Verschärfung von Strafbestimmungen und zu präventiven polizeilichen Massnahmen vor der parlamentarischen Beratung stehen.

Der nachfolgende Artikel soll helfen, einen Überblick über die vier Standbeine zur Terrorbekämpfung  zu verschaffen und diese kritisch zu durchleuchten. Darin findet sich auch die Stellungnahme des Vereins humanrights.ch zum «Bundesgesetz über polizeiliche Massnahmen zur Bekämpfung von Terrorismus (PMT)». Humanrights.ch lehnt diesen Vorentwurf als Ganzes und ohne Vorbehalte ab.

In einem Artikel von Anfang 2017 hatten wir bereits die Vorgeschichte dieser neuartigen Fokussierung auf präventive Instrumente dargestellt, mit Quellen und Bezugspunkten zu den Diskussionen ab 2014.

Das Nachrichtendienstgesetz als Voraussetzung

Die Schweiz setzt bei der Terrorbekämpfung auf eine intensivierte Überwachungstätigkeit durch den Nachrichtendienst des Bundes und seine Zweigstellen in den Kantonen, gerade auch was das Internet und die elektronischen Kommunikationsmittel anbelangt. Möglich und legal wurde dies erst durch die Abstimmung über das revidierte Nachrichtendienstgesetz (NDG). Die Stimmbevölkerung hat dieses 2016 mit 65.5 Prozent der Stimmen angenommen. Das neue NDG gibt dem Nachrichtendienst weitreichende Kompetenzen und Instrumente für das Sammeln von privaten Informationen.  Seit Januar 2018 kann der Nachrichtendienst des Bundes Telefongespräche abhören, Privaträume verwanzen, in Computer eindringen, diese manipulieren (Art. 26) und in Kabelverbindungen Daten abgreifen (Art. 39), wenn die innere und äussere Sicherheit oder wesentliche Landesinteressen bedroht sind. Das neue NDG ist zwar kein offizieller Pfeiler in der Strategie des Bundes zur Terrorabwehr, jedoch eine unverzichtbare Voraussetzung für die neuen Instrumente dieser Strategie.

Architektur einer perfekten Gefahrenabwehr

Die Gesamtstrategie des Bundes zur Terrorismusbekämpfung baut auf der Illusion einer perfekten Gefahrenabwehr auf. Der Bund setzt dabei vor allem auf ein präventives Instrumentarium, sowohl im strafrechtlichen Bereich (Art. 260ter) als auch in der Zusammenarbeit von Behörden auf kommunaler und kantonaler Ebene (NAP) und im polizeilichen Bereich (PMT).

Verschärfung des Strafrechts

Hinter dem umständlichen Titel «Genehmigung und Umsetzung des Übereinkommens des Europarates zur Verhütung des Terrorismus mit dem dazugehörigen Zusatzprotokoll und Verstärkung des strafrechtlichen Instrumentariums gegen Terrorismus und organisierte Kriminalität» versteckt sich eine Strafrechtsrevision. Die Erweiterung des Europarats-Abkommen, welche auf die strafrechtliche Verfolgung von mutmasslichen künftigen «ausländischen Kämpfern/-innen» abzielt, war ein willkommener Aufhänger für die Verschärfung des Strafrechts in der Schweiz.

Der bestehende Art. 260ter soll neu «terroristische Organisationen» und deren Unterstützung global mittels einer unscharfen allgemeinen Umschreibung unter Strafe stellen und damit den provisorischen Bundesbeschluss über das Verbot der Gruppierungen «Al-Qaïda» und «Islamischer Staat» sowie verwandter Organisationen ablösen.

Ob eine Gruppierung eine terroristische Organisation ist oder nicht, soll zukünftig dem richterlichen Ermessen unterstellt werden. Dadurch wird das Bestimmtheitsgebot bzw. Legalitätsprinzip, wie es dem schweizerischen Strafgesetzbuch in Art. 1 zugrunde gelegt ist und auch von den Menschenrechtsverträgen (insbesondere Art. 7 EMRK) gefordert wird, verletzt.

Dies ist nur ein kritischer Punkt unter mehreren, welche in den Vernehmlassungsantworten von zivilgesellschaftlicher Seite eingebracht worden sind.

Der ursprüngliche Plan, dass das Strafgesetzpaket den provisorischen Bundesbeschluss über das Verbot der Gruppierungen «Al-Qaïda» und «Islamischer Staat» bereits am 1. Jan. 2019 ablöst, wurde inzwischen revidiert und der Bundesbeschluss bis 2022 verlängert.

Am 14. Sept. 2018 hat der Bundesrat die Botschaft zum Strafgesetzpaket vorgelegt. Die parlamentarische Beratung wird wohl in der Wintersession 2018 beginnen.

Nationaler Aktionsplan zur Verhinderung und Bekämpfung von Radikalisierung und gewalttätigem Extremismus (NAP)

Der Bundesrat hatte im September 2016 den Delegierten des «Sicherheitsverbunds Schweiz» beauftragt, einen Nationalen Aktionsplan zur Bekämpfung von Radikalisierung und gewalttätigem Extremismus auszuarbeiten. Der Bericht wurde in enger Zusammenarbeit mit Vertretern/-innen von Kantonen und Gemeinden erarbeitet und am 4. Dez. 2017 der Öffentlichkeit vorgestellt. Der NAP enthält 26 Massnahmen in den Handlungsfeldern 1) Wissen und Expertise, 2) Zusammenarbeit und Koordination, 3) Verhinderung von extremistischem Gedankengut und Gruppierungen, 4) Ausstieg und Reintegration und 5) Internationale Zusammenarbeit. Die Instrumente reichen dabei von klassicher «weicher» Präventionsarbeit bis hin zum sogenannten Bedrohungsmanagement unter polizeilicher Führung.

So schlägt der NAP beispielsweise eine entsprechende Schulung von Lehrpersonen, Jugendarbeitern/-innen, Sporttrainern/-innen etc. vor, damit diese zu Antennen der Früherkennung von Radikalisierung und gewalttätigem Extremismus werden (u.a. Massnahmen 2 und 5).

Eine andere Empfehlung (Massnahme 14) hat den Aufbau eines behörden- und institutionsübergreifenden kantonalen Bedrohungsmanagements unter Führung der Polizei zum Gegenstand. Mit dem kantonalen Bedrohungsmanagement versuchen Behörden, möglichst früh zu erkennen, wenn sich eine Person radikalisiert und für andere gefährlich werden kann.

In der Praxis handelt es sich dabei um ein umfassendes kantonales Register mit möglichen Gefährdern/-innen. Mehrere Kantone (SO, ZH, BL, NE, GL, LU) verfügen bereits über ein solches. Zukünftig sollen diese Register «potentiell gefährlicher Personen» flächendeckend eingeführt und dank einem Informationsaustausch (Massnahme 15) schweizweit vernetzt sein. Diese Register bilden die Grundlage für präventive Massnahmen, welche die Polizei für mögliche Gefährder/innen anordnen kann (mehr dazu im nächsten Abschnitt).

Präventiv-polizeiliche Massnahmen

Das Bundesgesetz über polizeiliche Massnahmen zur Bekämpfung von Terrorismus (PMT) hat zum Ziel, das polizeiliche Instrumentarium zur Gewährleistung der inneren Sicherheit ausserhalb der eigentlichen Strafverfolgung zu verstärken. Die vorgeschlagenen Massnahmen bauen auf dem NAP auf und haben das neue Nachrichtendienstgesetz zur Voraussetzung.

Offiziell verfolgen die PMT folgende Ziele: Personen, bei welchen eine Radikalisierung vermutet wird, sollen zum einen daran gehindert werden, aus der Schweiz in ein umkämpftes Gebiet zu reisen (z.B. durch Meldepflicht, Ausreiseverbot oder Beschlagnahme von Ausweisdokumenten) und zum andern von einem Umfeld mit kriminogenem Einfluss getrennt werden (z.B. durch ein Kontaktverbot).

Doch wenn man sich die vorgeschlagenen neuen polizeilichen Kompetenzen, zu denen das Verfügen von elektronischen Fussfesseln bis hin zum Hausarrest gehören,  näher anschaut, so handelt es sich um sehr massive Eingriffe ins Privatleben, mehr noch: Die vorgeschlagenen Massnahmen kollidieren mit den Kerngehalten der Grund- und Menschenrechte auf Bewegungsfreiheit, persönliche Freiheit und den Schutz der Privatsphäre und sind deshalb per se verfassungswidrig (BV Art. 36 Abs. 4) und mit der Europäischen Menschenrechtskonvention unvereinbar.

Der hoch problematische Kern der Vorlage ist die Einführung des Begriffs des/der Gefährder/in als Rechtsbegriff («potentiell gefährliche Person»). Dieses unfassbare Konzept gibt dem fedpol in Verbindung mit den vorgesehenen kantonalen Registern freie Hand, auf der Grundlage von Hypothesen des Nachrichtendienstes unbescholtene Personen ins Visier zu nehmen und deren Grundrechte mit den oben genannten Massnahmen auszuhebeln.

Humanrights.ch ist klar der Meinung, dass das gesamte Gesetzespaket zu den polizeilichen Massnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus zurückzuweisen ist. Ausführliche Erläuterungen für diese Einschätzung finden sich in den Vernehmlassungsantworten des Vereins humanrights.ch sowie weiterer Menschenrechtsorganisationen.

Fazit

Die Schweiz hat in jüngster Zeit mehrere scharfe Instrumente zur Bekämpfung der Terrorgefahr geschaffen: das Nachrichtendienstgesetz, den nationalen Aktionsplan gegen Radikalisierung und das Anti-Terror-Strafgesetz. Letzteres muss vom Parlament noch vernünftig justiert werden. Und dann müssen erst einmal Erfahrungen in der Anwendung dieser Instrumente gesammelt und ausgewertet werden. Völlig überrissen und falsch wäre es, dieses Instrumentarium zum jetzigen Zeitpunkt um die vorgeschlagenen präventive polizeilichen Massnahmen zu erweitern, welche die rechtsstaatlichen Grenzen systematisch unterlaufen und der totalitären Kontrolle des individuellen Privatlebens Tür und Tor öffnen.