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Konzernverantwortungsinitiative

Transnationale Unternehmen: Verpflichtungen der Schweiz zum Schutz der Menschenrechte

05.08.2010

Die Internationale Juristenkommission (ICJ) hat im Auftrag einer Koalition von zehn Schweizer NGOs im Juni 2010 eine Studie veröffentlicht, die untersucht, ob die Schweiz ihren Verpflichtungen zum Schutz der Menschenrechte und der Umwelt vor Fehlverhalten und Verstössen durch Unternehmen nachkommt. Die Studie deckt Lücken in der bestehenden schweizerischen Gesetzgebung und Politik auf und skizziert verschiedene Reformvorschläge, damit die Schweiz künftig ihren internationalen Verpflichtungen in vollem Umfang nachkommen kann.

Internationales Recht und Ruggies drei Kernprinzipien

John Ruggie, Sonderbeauftragter des UNO-Generalsekretärs, setzt sich seit 2005 mit der Frage auseinander, wie Individuen und Gemeinschaften wirksam gegen Menschenrechtsverletzungen durch Transnationale Unternehmen geschützt werden können. Dazu hat er einen konzeptionellen Rahmen entwickelt, der 3 Kernprinzipien umfasst:

Staatliche Schutzpflicht: Erstens, das internationale Recht verpflichtet die Staaten zum Schutz der Menschenrechte. Sie müssen durch gesetzgeberische und andere Massnahmen dafür sorgen, dass Unternehmen auf ihrem Staatsgebiet oder unter ihrer Jurisdiktion nicht gegen Menschenrechtsgarantien verstossen. Die Staaten müssen bei der Ausübung ihrer Schutzpflicht alle notwendigen Massnahmen ergreifen, einschliesslich der Verhinderung, Untersuchung und Bestrafung von Verletzungen. Ausserdem müssen sie Möglichkeiten der Wiedergutmachung einrichten. Umstritten ist, ob Sitzstaaten von transnationalen Unternehmen durch internationales Recht dazu verpflichtet sind, Menschenrechtsverletzungen auch im Ausland zu verhindern. Auf alle Fälle werden sie zunehmen dazu angehalten, Massnahmen gegen Verletzungen im Ausland durch ihre Unternehmen zu ergreifen.

Unternehmerische Achtungspflicht: Das zweite Prinzip lautet, dass Unternehmen Verantwortung für die Achtung der Menschenrechte tragen. Sie müssen im Wesentlichen mit der gebührenden Sorgfalt handeln und dürfen nicht gegen die Rechte anderer verstossen, d.h. keinen Schaden anrichten. Das Prinzip ist in mehreren Soft Law Instrumenten anerkannt.

Rechtsmittel und andere Beschwerdemechanismen: Drittes sind wirksame Rechtsmittel, aussergerichtliche Beschwerdemechanismen und Möglichkeiten der Wiedergutmachung notwendig. Oft ist der Zugang zum Justizsystem gerade dort am schwersten, wo der Bedarf am grössten ist. Und aussergerichtliche Beschwerdemechanismen sind unterentwickelt oder fehlen gänzlich.

Rolle der Schweiz und Fokus der ICJ-Studie

Die Schweiz als Sitzstaat zahlreicher global tätiger Unternehmen in verschiedensten Branchen wie etwa Pharma, Chemie, Maschinenbau, Nahrungsmittel und Finanzdienstleistung ist aufgrund der staatlichen Schutzpflicht gefordert. Die ICJ-Studie fokussiert denn auch primär auf das Prinzip der staatlichen Schutzpflicht und auf die Notwendigkeit von Rechtsmitteln und aussergerichtlichen Mechanismen.

Mängel in Politik und Recht

Die ICJ-Studie stellt fest, dass die Schweiz weder eine politische Strategie noch einen Aktionsplan im Themenbereich Menschenrechte und Unternehmen kennt. Hinsichtlich der Achtung und Förderung der Menschenrechte in der Innen- und Aussenpolitik bestehen Rechtslücken und Defizite in der schweizerischen Gesetzgebung und Politik. Bemängelt wird etwa die unzulängliche Koordination und Kohärenz, Selektivität in der Anwendung von Standards und fehlendes Monitoring.

Fehlende Rechenschafts- und Sorgfaltspflichten:
Das schweizerische Gesellschaftsrecht kennt kaum spezifische Bestimmungen, wonach die Unternehmensleitung über die Auswirkungen ihrer Aktivitäten gegenüber Nicht-Teilhabern Rechenschaft schuldet. Dies gilt insbesondere für die unternehmerischen Auswirkungen auf die Menschenrechtslage von Individuen und Gemeinschaften. Ebenso fehlen spezifische gesetzliche Auflagen, was die Überwachung der Menschenrechtsbilanz von Tochtergesellschaften und Zulieferern betrifft. Unternehmen sind im Prinzip nicht verantwortlich für die Aktivitäten ihrer Tochtergesellschaften – und umgekehrt. Neu besteht in der Schweiz eine Schuldfähigkeit von Unternehmen, wenn ein strafrechtliches Vergehen aufgrund mangelhafter Unternehmensorganisation nicht einem Täter zugeordnet werden kann.

Fehlende Berichterstattungspflicht:
Unternehmen haben im Prinzip keine Berichterstattungspflicht über soziale und ökologische Auswirkungen ihrer Aktivitäten. Sie beschränkt sich im Wesentlichen auf die Rechnungslegung.

Beschränkte Klagemöglichkeiten / Wiedergutmachung /Abhilfe für Opfer:
Das schweizerische Rechtssystem kennt das Institut der Sammelklage nicht, mit dessen Hilfe sich betroffene Gemeinschaften gegen übermächtige Konzerne zur Wehr setzen könnten. Hingegen können zivile Vereine und Organisationen im Namen eines kollektiven Interesses Klage vorbringen. Auch die hohen Kosten können den Zugang zum Rechtssystem erschweren.

Reformvorschläge

Die Schweiz braucht eine politische Strategie, um die Verantwortlichkeiten von Unternehmen im Bereich der Menschenrechte und des Umweltschutzes zu stärken. Gesetzeslücken sollten gezielt geschlossen werden. Dem in der Schweiz derzeit entstehenden Kompetenzzentrum für Menschenrechte könnte hier eine beratende Rolle zukommen.

Sorgfaltspflichten:
Das Gesellschaftsrecht könnte verbessert werden, indem Mutter- und Dachgesellschaften  verpflichtet werden, die Einhaltung von Menschenrechts- und Umweltstandards durch Tochtergesellschaften im Auge zu behalten. Um die Sorgfaltspflicht durchzusetzen, sollten Verfahren gegen Muttergesellschaften mit Sitz in der Schweiz ermöglicht werden. Eine Sorgfaltspflicht sollte zudem gegenüber Zulieferern und Handelspartnern bestehen.

Berichterstattungspflicht:
Es sollte eine Berichterstattungspflicht zu Umwelt- und Menschenrechtsfragen als Bestandteil der Rechnungslegung eingeführt werden. Andere europäische Staaten, etwa Dänemark oder Frankreich, könnten als Modelle dienen. Einige der grössten Schweizer Unternehmen orientieren sich bereits jetzt an selbst erstellten Verhaltenskodizes und berichten über Umwelt- und Menschenrechtsfragen.

Klagemöglichkeiten / Wiedergutmachung /Abhilfe für Opfer:
Im Verfahrensrecht sollte die Möglichkeit der Sammelklage eingeführt werden, um den Zugang zum Rechtssystem zu verbessern. Die wirtschaftliche Unterlegenheit von Einzelpersonen gegenüber Grossunternehmen würde dadurch teilweise ausgeglichen.

Monitoring und Sanktionierungsmöglichkeiten:
Auswirkungen von unternehmerischen Aktivitäten auf die Menschenrechtslage sollten durch eine künftige nationale Menschenrechtsinstitution besser überwacht werden. Die öffentliche Verwaltung sollte bei der Auftragsvergabe und der Gewährung von Exportkreditgarantien ihre Ziele in der Menschenrechtspolitik zum Prüfstein machen.

Quellen:

Weiterführende Informationen