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Konzernverantwortungsinitiative

«Smart Mix»: Die Suche nach der richtigen Mischung von freiwilligen und bindenden Massnahmen

22.11.2016

2011 hat der UNO Menschenrechtsrat in Genf die «UNO-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte» verabschiedet. Die Leitprinzipien basieren auf drei Säulen. Die erste Säule «duty to protect» benennt die Pflicht der Staaten, die Menschenrechte auch gegenüber Bedrohungen seitens wirtschaftlicher Akteure zu schützen. Zu diesem Zweck werden die Staaten aufgefordert, «eine intelligente Mischung nationaler und internationaler, bindender und freiwilliger Maßnahmen in Erwägung [zu] ziehen, um die Achtung der Menschenrechte durch Unternehmen zu fördern.» Diese «intelligente Mischung» hat seither unter dem Codewort «Smart Mix» Karriere gemacht. Ist dies mehr als ein Schlagwort?

Entstehung des Konzepts

Lange war die Diskussion über die menschenrechtliche Regulierung von privatwirtschaftlichem Handeln von zwei Ansätzen geprägt. Die einen befürworteten rechtlich bindende Massnahmen. Die anderen waren überzeugt, dass freiwillige Massnahmen, die sich die Wirtschaft selbst vorgibt, ausreichen würden. Der ehemalige UNO-Sonderbeauftragte für Wirtschaft und Menschenrechte und Autor der UNO-Leitprinzipien, John Ruggie, schlug vor, sich auf die Massnahmen zu konzentrieren, die am besten geeignet seien, positive Änderungen herbeizuführen. Allmählich setzte sich die Erkenntnis durch, dass zum einen freiwillige Massnahmen alleine nicht zielführend sind, zum andern aber bindende Massnahmen solange nicht konsensfähig sind, als nicht auch bedeutende Teile der Wirtschaft freiwillig dahinter stehen.

Diese Erkenntnis wurde in den UNO-Leitprinzipien aufgenommen und weiterentwickelt. Nur eine intelligente Mischung aus freiwilligen und bindenden Massnahme ermögliche eine wirksame Strategie zum Schutz und der Respektierung der Menschenrechte im Bereich der Wirtschaft.

Der Dodd Frank Act als rares Beispiel

Als eines der seltenen Beispiele für eine solche intelligente Mischung gilt der Dodd Frank Act der USA. Der Dodd Frank Act ist ein Rechtserlass der Finanzaufsichtsbehörde SEC der USA («US Securities and Exchange Commission SEC»). Er bestimmt unter anderem, dass börsenkotierte Unternehmen, welche Mineralien aus der Region der Demokratischen Republik Kongo (DRC) verwenden, Rechenschaft über deren exakte Herkunft sowie über die ergriffenen Massnahmen zur Verhinderung des Handels mit «Konfliktmineralien» ablegen.  Letztere sind Rohstoffe, von deren Abbau und Handel Bürgerkriegsmilizen profitieren.

Aufgrund dieser verbindlichen staatlichen Regelung haben nun einige Unternehmen für Elektrogeräte ein System entwickelt, welches erlaubt, die Edelmetalle auf ihren Ursprungsort zurückzuverfolgen. Noch vor einigen Jahren wurde ein solches System von Seiten der Unternehmen als unmöglich bezeichnet. Die Teilnahme an diesem System zur Nachverfolgung ist freiwillig. Es handelt sich also um eine freiwillige Massnahme. Die Kombination des rechtlich bindenden Dodd Frank Act und des freiwilligen Systems zur Nachverfolgung von Edelmetallen ist ein konkretes Beispiel für einen «Smart Mix».

Ob dieser «Smart Mix» bezüglich der Edelmetalle wirklich ein Erfolg ist, ist schwierig abzuschätzen. «The Wall Street Journal» schreibt in einem Artikel dazu, dass viele US Unternehmen Mühe hätten, die Pflichten des Dodd Frank Act vollständig zu erfüllen. Alleine im Osten der Demokratischen Republik Kongo gebe es um die zwei Millionen Mineure, viele davon selbständig. Bei jedem dieser Zulieferer zu prüfen, ob irgendwelche Milizen von seiner wirtschaftlichen Tätigkeit profitieren, sei eine Herkulesaufgabe.

Auch Schweizer Unternehmen können indirekt vom Dodd Frank Act betroffen sein, wenn sie in der  Wertschöpfungskette eines US-Unternehmens vorkommen. Der Dodd-Frank Act verpflichtet die in den USA börsenkotierten Unternehmen, die Verwendung von «Konfliktmineralien» in ihren Produkten offenzulegen. Als Reaktion hat der Schweizer Branchenverband Swissmem einen Leitfaden verfasst, wie ein Unternehmen mit Anfragen zum Dodd-Frank Act umgehen kann.

Kluft zwischen Strategie und Umsetzung in der EU

Die Strategie der EU zur sozialen Unternehmensverantwortung «Corporate Social Responsability» (CSR) beinhaltet eine Referenz zum «Smart Mix». Laut der EU Kommission bedeutet CSR die Verantwortung von Unternehmen für deren Einfluss auf die Gesellschaft. Diese Verantwortung soll grundsätzlich von den Unternehmen selber gehandhabt werden. Es handelt sich also um freiwillige Massnahmen. Der Staat und öffentliche Institutionen nehmen eine unterstützende Rolle ein, wenn sie zusätzlich bindende Regeln einführen.

Ein Beispiel veranschaulicht die Probleme bei der Umsetzung dieser Strategie.

Die EU erarbeitet zurzeit Bestimmungen zum Handel mit Edelmetallen aus Konfliktregionen. Die Regulierungen zielen in eine ähnliche Richtung wie der Dodd Frank Act der USA. Ein erster Entwurf stützte sich grundsätzlich auf freiwillige Massnahmen. Unternehmen, die bestimmte Edelmetalle einführen, hätten sich auf freiwilliger Basis selber als «verantwortungsvolle Lieferanten» deklarieren können und dann regelmässig über ihre Geschäftspraktiken berichten müssen. Kritische Stellungnahmen seitens der Zivilgesellschaft und des EU Parlaments haben jetzt aber zu einem Umdenken geführt. Ein neuer Entwurf ist zwar noch nicht veröffentlicht, aber die überarbeiteten Bestimmungen sollen nun freiwillige und bindende Massnahmen kombinieren. Gewisse Unternehmen müssten nun zwingend über ihre Geschäftspraktiken berichten, während andere dies freiwillig tun könnten. Jetzt schon wird aber Kritik an diesem erwartenden Entwurf laut. Es handle sich voraussichtlich nicht um einen echten «Smart Mix», weil für viele Unternehmen immer noch ausschliesslich freiwillige Massnahmen gelten würden.

«Smart Mix»: Nur eine leere Floskel?

Als der Menschenrechtsrat im Jahr 2011 die UNO - Leitprinzipien verabschiedete, wurde das Konzept des «Smart Mix» als eine grosse Neuerung gelobt. Fünf Jahre später fällt es aber weiterhin schwer, dazu konkrete Beispiele aus der Praxis zu finden. Zwar gibt es viele freiwillige Initiativen auf dem weiten Feld der Unternehmensverantwortung; doch fehlen auf der andern Seite weitgehend Beispiele für rechtlich verbindliche Regelungen zur menschenrechtlichen Sorgfaltspflicht für Unternehmen. Wenn diese Seite kaum existiert, so ist auch ein Smart Mix nur eine Wunschvorstellung – oder schlimmer noch: Er wird zur leeren Floskel.

Um das zu verhindern, hat eine breite Koalition von NGOs in der Schweiz die Konzernverantwortungsinitiative lanciert, welche in der Bundesverfassung u.a. die Pflicht der Unternehmen für menschenrechtliche Sorgfaltsprüfungen festschreiben will.

Doch selbst wenn diese Volksinitiative angenommen würde, bliebe die Suche nach einer intelligenten Mischung aus Massnahmen eine äusserst schwierige Aufgabe für Gesetzgeber und Unternehmen. Jede konkrete Umsetzung wird ihre Kritiker/innen von der einen oder andern Seite auf den Plan rufen. Man kann nur hoffen, dass sich Gesetzgeber, Zivilgesellschaft und Wirtschaftsverbände in einem gangbaren Kompromiss finden. Sonst wäre das Konzept des «Smart Mix» einmal mehr gescheitert.