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Der Menschenrechtsansatz in der Entwicklungszusammenarbeit

19.01.2011

Transnationale Verpflichtungen

Staaten haben aufgrund der internationalen Menschenrechtsabkommen Verpflichtungen, welche auch in ihrem internationalen Handeln Ausdruck finden sollten. Die Entwicklungszusammenarbeit (EZA) ist eine Form dieses internationalen Handelns. Deshalb ergeben sich für Geber- und Empfängerstaaten Verpflichtungen zur Ausgestaltung der konkreten Politik, die mit Geldern der Entwicklungszusammenarbeit betrieben wird.

Die beiden UNO-Pakte (Zivilpakt Art. 2 Abs. 1 sowie Sozialpakt Art. 2 Abs. 1) verpflichten die Vertragsstaaten dazu, auch ausserhalb des eigenen Territoriums auf die Verwirklichung der Menschenrechte hinzuarbeiten. Staaten müssen die dafür zur Verfügung stehenden Ressourcen zielgerichtet einsetzen. Zu diesen Ressourcen zählen auch die Mittel aus der internationalen Zusammenarbeit. Der Rahmen für die Vereinbarungen in der Entwicklungszusammenarbeit, in dem sich Geber- und Empfängerland also bewegen, sind die internationalen Menschenrechtsabkommen. Menschenrechtlich ist Entwicklungszusammenarbeit demnach als eine Unterstützung der Empfängerstaaten bei der Umsetzung der jeweiligen Menschenrechtsverpflichtungen konzipiert.

Achtungs-, Schutz- und Gewährleistungspflicht

Die Vertragsstaaten dürfen die Menschenrechte weder innerhalb noch ausserhalb des eigenen Territoriums verletzen (Achtungspflicht). Umgesetzt auf die EZA bedeutet die Achtungspflicht zum Beispiel, dass ein Geberstaat auf keinen Fall akzeptieren darf, wenn mit seiner finanziellen oder logistischen Unterstützung Personengruppen zwangsvertrieben werden. Über diese Pflicht hinaus haben die Vertragsstaaten nach gängiger Lehre ausserdem Schutz- und Gewährleistungspflichten. Diese gelten auch ausserhalb der eigenen Grenzen, beispielsweise wenn Vertragsstaaten über die EZA in einem Drittstaat als direkte oder indirekte Akteur auftreten.

Schutzpflicht bedeutet Folgendes: Ein Geberstaat muss Massnahmen ergreifen, die Dritte daran hindern, Menschenrechte zu verletzen. Das heisst zum Beispiel, dass er je nach seinen finanziellen Möglichkeiten auch Sensibilisierungsprojekte unterstützen muss, welche Menschenrechtsverletzungen privater Akteure wie Menschenhandel oder häusliche Gewalt verhindern. Der Geberstaat hat zusätzlich eine Gewährleistungspflicht - er muss darauf hinwirken, dass der Partnerstaat Massnahmen ergreift bzw. ergreifen kann, welche die Umsetzung der Menschenrechte fördern. Der Geberstaat sollte etwa den Partnerstaat ermutigen, zum Schutz vor Menschenrechtsverletzungen die unabhängige Justiz zu stärken.

Zwar sind Schutz- und Gewährleistungspflichten, die der Geberstaat in einem Partnerstaat hat, weniger umfassend als innerhalb des eigenen Territoriums. Sie stehen jedoch im Verhältnis zu den Möglichkeiten eines Staates, im Partnerstaat Einfluss zu nehmen (etwa in finanzieller und personeller Hinsicht oder bezüglich der konkreten Machtkonstellationen vor Ort).

Quelle

Geschichte und Konzept des Menschenrechtsansatzes

Ohne Menschenrechte keine Sicherheit und keine Entwicklung für die Menschheit, verkündete Kofi Annan als damaliger UNO-Generalsekretär 2005. Die UNO erkannte schon zu Beginn des neuen Jahrtausends, dass die Menschenrechte zur Erreichung ihrer Ziele eine äusserst wichtige Rolle spielen. Der folgende Artikel geht auf die Entstehungsgeschichte des Menschenrechtsansatzes ein und zeigt auf, was dieser beinhaltet und weshalb er in der Entwicklungszusammenarbeit (EZA) mehr Beachtung verdient.

Zur Entstehungsgeschichte

Der Menschenrechtsansatz in der EZA hat erstmals eine internationale Bedeutung erlangt im Zusammenhang der Millenniums-Erklärung der UNO-Generalversammlung im Jahre 2000. Darin wird die Bedeutung der Menschenrechte im Kampf gegen Armut und zur Förderung einer nachhaltigen Entwicklung unterstrichen. Unter anderem bekräftigten die Mitgliedstaaten damit, der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte in der Entwicklungspolitik Geltung zu verschaffen. Der damalige UNO-Generalsekretär Kofi Annan wiederholte 2005 in seinem Bericht über die Wirkung der Millenniums-Erklärung die grosse Bedeutung der Menschenrechte: «Humanity will not enjoy security without development, it will not enjoy development without security, and it will not enjoy either without respect for human rights.» 

Die United Nations Development Group (zu der u.a. UNHCHR, UNDP, UNICEF, WFP, UNAIDS, WHO, FAO und UNHCR gehören) integrierte bereits 2003 eine Menschenrechtsperspektive in ihre Arbeit. In diesem Jahr verabschiedeten diese Entwicklungsorganisationen der UNO ein gemeinsames Verständnis über den UNO-Menschenrechtsansatz in der Entwicklung. Dieses sollte die unterschiedlichen Interpretationen und Praktiken der Institutionen vereinheitlichen und die Menschenrechte in ihrer Arbeit etablieren. Der damit ins Leben gerufene Human Rights Based Approach (Menschenrechtsansatz) verfolgt drei grundsätzliche Ziele:

  • Alle Programme der Entwicklungszusammenarbeit sollen Menschenrechte fördern, so wie sie in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte und in den zentralen internationalen Menschenrechtsabkommen (vor allem UNO-Pakt I und II) festgehalten sind.
  • Diese Menschenrechtsnormen und die aus ihnen abgeleiteten Prinzipien bilden die Leitlinien für die gesamte Entwicklungszusammenarbeit und Programmarbeit in allen Bereichen und in allen Gestaltungs- und Umsetzungsphasen.
  • Entwicklungszusammenarbeit trägt dazu bei, Träger/innen menschenrechtlicher Pflichten (duty-bearers) zu stärken, damit diese ihre Verpflichtungen besser erfüllen, und die Träger/innen von Menschenrechten (rights-holders) zu befähigen, ihre Rechte einzufordern.

Mit dem Menschenrechtsansatz werden Menschenrechte sowohl zum Mittel als auch zum Ziel von Entwicklungszusammenarbeit. Der Menschenrechtsansatz hat sich inzwischen über die UNO-Institutionen hinaus verbreitet und wird heute auch von staatlichen Akteuren/-innen sowie von nationalen und internationalen NGOs in der EZA angewendet. So leitet auch die schweizerische Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA) die Leitlinien zu ihrer Menschenrechtspolitik aus diesen Vorgaben auf UNO-Ebene ab.

Der Menschenrechtsansatz unterstützt Individuum und Staat

Obwohl sich die Beachtung der Menschenrechte durch den Beitritt zur UNO für alle Mitgliedstaaten ergibt, hat die internationale Gemeinschaft lange Zeit Menschenrechte und EZA als mehrheitlich voneinander unabhängige Konzepte verstanden. Der Menschenrechtsansatz geht einen anderen Weg: einerseits kehrt sich dieser Ansatz ab von einer wenig nachhaltigen apolitischen EZA, die staatliche Pflichten und Menschenrechte weitgehend ignoriert, mit dem einfachen Ziel, «Gutes» zu tun. Andererseits markiert er die Abkehr von einer Menschenrechtspolitik, die einzig die Achtung bürgerlicher und politischer Rechte im Blick hat und die sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Realitäten ausblendet.

Eine auf Menschenrechten basierende EZA fördert den Entwicklungsprozess deshalb aus zwei verschiedenen Perspektiven: Zum einen stärkt sie den einzelnen Menschen in seiner Eigenschaft als Rechtsträger/in (rights-holder). Zum anderen unterstützt sie die Pflichttragenden, also die Regierungen und Verwaltungen der Vertragsstaaten (duty-bearer), ihren menschenrechtlichen Pflichten nachzukommen und sie auf lokaler, regionaler und nationaler Ebene umzusetzen. Das heisst, anstatt mit zahlreichen Entwicklungsprogrammen und -projekten die lokalen Behörden zu umgehen und damit Parallelstrukturen aufzubauen, hilft der Menschenrechtsansatz den Partnerstaaten, die zur Erfüllung der menschenrechtlichen Pflichten nötigen (staatlichen) Strukturen aufzubauen oder zu erhalten. Dahinter steckt die Einsicht, dass ein Staat, dessen Strukturen schwach sind, nicht fähig ist, die Menschenrechte im eigenen Territorium durchzusetzen. Geberstaaten, die sich am Menschenrechtsansatz orientieren, ermöglichen so, dass der Partnerstaat den Pflichten nachkommt, die er mit der Ratifizierung der Menschenrechtsabkommen und dem Beitritt zur UNO übernommen hat.

Abgestützt auf das internationale Menschenrechtssystem, liegen dem Menschenrechtsansatz vier Prinzipien zugrunde, welche die EZA im gesamten Entwicklungsprozess beachten und auch fördern sollte:

  • Universalität und Unteilbarkeit: Die Menschenrechte schützen alle Menschen. Alle Menschenrechte sind gleich viel wert; ein Menschenrecht kann deshalb nicht auf Kosten anderer verwirklicht werden. Obwohl in der EZA oftmals zeitliche Prioritäten gesetzt werden müssen, muss sie grundsätzlich alle Menschenrechte und alle Menschen (Berechtigte wie Verpflichtete) im Blickfeld haben.
  • Gleichberechtigung und Nichtdiskriminierung: Die Menschenrechte müssen für alle Menschen ohne Diskriminierung oder Benachteiligung erfüllt werden. Die EZA darf weder absichtlich noch unbeabsichtigt bestehende Diskriminierungen oder Benachteiligungen bestimmter Personen und Bevölkerungsgruppen fördern, sondern muss Diskriminierungen vermeiden und bekämpfen sowie Betroffene stärken.
  • Partizipation und Integration: Alle Menschen und Völker sind berechtigt, an Entwicklungsprozessen teilzunehmen und ihren Teil beizutragen. Aus menschenrechtlicher Sicht muss die EZA deshalb einerseits die Bevölkerung dabei unterstützen, an Entscheidungsprozessen aktiv teilzunehmen, und anderseits die Behörden darin bestärken, die Bevölkerung in die staatlichen Entscheidungsstrukturen einzubinden.
  • Verantwortlichkeit (accountability) und Rechtsstaatlichkeit: Die Behörden der Vertragsstaaten müssen den rechtlichen Standards und Prinzipien der internationalen Menschenrechtsabkommen genügen. Sie stehen dabei in dreifacher Verantwortung: Sie müssen die Menschenrechte selbst achten (respect), die Menschen vor Menschenrechtsverletzungen schützen (protect) und das staatliche Handeln so gestalten, dass die Verwirklichung der Menschenrechte für alle möglich ist (fulfill). Die EZA hat die Aufgabe, die Vertragsstaaten so zu unterstützen, dass sie diese dreifache Verantwortung wahrnehmen können.

Quellen