humanrights.ch Logo Icon

Der Menschenrechtsansatz in der HIV/AIDS-Bekämpfung

07.02.2011

Die HIV-/Aids-Epidemie steht in einem engen Zusammenhang mit der Menschenrechtslage: Verletzungen fundamentaler Rechte begünstigen die Weiterverbreitung der Krankheit und verschlimmern ihre Auswirkungen für die Betroffenen. Der Schutz von Menschenrechten ist essenziell, um der Ausbreitung von HIV/Aids präventiv entgegenzuwirken und die sozialen und ökonomischen Folgen der Pandemie abzuschwächen. Eine effektive internationale Strategie gegen HIV/Aids muss deshalb auf die internationalen Menschenrechtsstandards abgestimmt sein.

Verletzliche Minderheiten

Besonders deutlich wird die Verknüpfung zwischen fehlendem Menschenrechtsschutz und HIV/Aids in der ungleich verteilten Auftrittshäufigkeit der Krankheit je nach Gruppen. So sind bestimmte Bevölkerungsgruppen wegen ihres rechtlichen Status oder wegen fehlenden Menschenrechtsschutzes gefährdeter, sich mit HIV anzustecken, und im Falle einer Infektion auch schwerer von den negativen Folgen betroffen als andere. Vor allem Frauen, Kinder, Minderheiten, indigene Völker, Arme, Arbeitsmigranten/-innen, Flüchtlinge, Sexarbeiter/-innen, Drogenabhängige, homosexuelle Männer sowie Häftlinge gehören zu den Risikogruppen - Menschen, die auch ohne die Krankheit zumeist in prekären sozialen, ökonomischen und rechtlichen Verhältnissen leben.

Gerade weil sie gegenüber der weiteren Bevölkerung benachteiligt sind, ist es für diese Bevölkerungsgruppen wichtig, einen gleichberechtigten Zugang zu HIV-/Aids-Prävention und -Information sowie zu Behandlungsmöglichkeiten und sozialer Unterstützung zu haben.

Nebst der gesellschaftlichen ist auch eine räumliche Ungleichverteilung von HIV/Aids zu beobachten: Es sind vor allem Länder des Südens, welche die grösste Bürde der Krankheit tragen. In diesen Ländern bedrohen HIV/Aids und Armut in einem Teufelskreis wiederum die soziale und ökonomische Entwicklung und die Verwirklichung der Menschenrechte.

Diskriminierung und Stigmatisierung

Insbesondere Diskriminierung und Stigmatisierung stehen in engem Zusammenhang mit HIV/Aids. Menschen mit HIV/Aids werden oftmals aufgrund ihrer Krankheit ausgeschlossen oder ungleich behandelt. Hinzu kommt, dass viele der Betroffenen bereits einer Bevölkerungsgruppe angehören, die gesellschaftlich benachteiligt ist. Diese doppelte Diskriminierung führt dazu, dass Menschen mit HIV/Aids an den Rand des gesellschaftlichen Lebens gedrängt und beispielsweise an ihrem Arbeitsplatz oder bei der Suche nach einer Wohnung aufgrund ihrer Krankheit ungerecht behandelt werden. Ausserdem versperren ihnen Diskriminierung und Stigmatisierung vielfach den Weg zu medizinischer Behandlung oder zu sozialer Unterstützung.

Diskriminierung und (oftmals) auch Kriminalisierung treibt bestimmte Risikogruppen wie Drogenabhängige, Sexarbeiter/innen und Homosexuelle in den Untergrund. Weil marginalisierte Bevölkerungsgruppen mit Präventionsmassnahmen nur schlecht erreicht werden können, ist ihre Anfälligkeit (Vulnerabilität) für HIV/Aids massiv erhöht. Dies gefährdet wiederum andere Menschen und erschwert eine effektive Bekämpfung von HIV/Aids erheblich.

Zentrale Menschenrechte von HIV-/Aids-Betroffenen

Nicht nur Diskriminierung und Stigmatisierung, sondern auch die Folgen der Missachtung anderer Menschenrechte wie fehlender Zugang zu Bildung und Information, fehlende Behandlungsmöglichkeiten und fehlende soziale Unterstützung erschweren eine wirksame Eindämmung der HIV/Aids-Pandemie. Die folgenden Menschenrechte sind sowohl für die HIV/Aids-Prävention wie auch für die Situation von HIV/Aids-Betroffenen besonders zentral:

  • Schutz vor Diskriminierung und Gleichheit vor dem Recht: HIV/Aids-Betroffene dürfen nicht aufgrund ihres HIV-Status benachteiligt oder diskriminiert werden (s. o.).
  • Recht auf Gesundheit: Für HIV/Aids-Kranke muss der Zugang zu Gesundheitsdiensten und präventiven Massnahmen, zu Medikamenten, Therapien, Sozialversicherungen und Krankenkassen, zu freiwilligen Beratungs- und Testangeboten sowie zu Verhütungsmitteln gewährt sein. So können auch die gesunden Bevölkerungsgruppen besser vor einer Ansteckung geschützt werden.
  • Recht auf Bildung und Recht auf Information: Für HIV/Aids-Betroffene ist der Zugang zu Informationen über HIV/Aids, sexuelle Gesundheit und Präventionsmassnahmen überaus wichtig. Aber auch für nicht Betroffene muss das Recht auf Information gewährleistet sein, damit eine Weiterverbreitung der Krankheit verhindert werden kann. Der Anspruch auf eine Grundschulbildung ist sowohl für HIV/Aids-Kranke wie auch für nicht Betroffene entscheidend, da im Unterricht Informationen über HIV/Aids und über vorbeugende wie behandelnde Massnahmen vermittelt und dadurch Vorurteile verringert werden können.
  • Recht auf Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit: HIV-Betroffene sind darauf angewiesen, dass ihr Recht, sich selbst zu organisieren und sich gegenseitig zu unterstützen, gewährleistet ist - sei es durch Selbsthilfegruppen, NGOs, Vereine oder Stiftungen.
  • Recht auf Privatsphäre: Der HIV-Status einer Person muss in jedem Fall vertraulich behandelt werden. Ausserdem darf niemand zu einem HIV-Test gezwungen werden.
  • Recht auf Familienleben: Unabhängig vom HIV-Status einer Person muss das Recht, eine eigene Familie zu gründen, gewährt sein.
  • Bewegungsfreiheit und persönliche Freiheit: HIV-Betroffene müssen vor allem vor Segregation oder Isolation (z.B. in separaten Spitalabteilungen) geschützt werden.

Fazit

Grundsätzlich stecken sich weniger Menschen mit HIV/Aids an, wenn ihre bürgerlichen, politischen, ökonomischen, sozialen und kulturellen Menschenrechte respektiert werden. Durch den Schutz der Menschenrechte können die negativen Auswirkungen der Krankheit für die Betroffenen und die Benachteiligung dieser Personen gegenüber anderen Bevölkerungsgruppen reduziert werden. Nicht zuletzt sind Individuen und Gemeinschaften, deren Menschenrechte geschützt sind, besser fähig, die Pandemie zu bekämpfen.

UNAIDS und UNHCHR fassen dies in ihren Leitlinien zu HIV/Aids und Menschenrechten folgendermassen zusammen: ...der Schutz von Menschenrechten im Kontext von HIV reduziert Leiden, rettet Leben, schützt die öffentliche Gesundheit und unterstützt eine effektive Bekämpfung von HIV (International Guidelines on HIV/Aids and Human Rights, S. 7).

Quellen

HIV/AIDS und Menschenrechte: Geschichte und Akteure

Die UNO hat seit langem erkannt, dass die Bekämpfung von HIV/Aids eng mit dem Schutz von Menschenrechten verknüpft sein muss. Verschiedenste ihrer Aktivitäten zielen darauf ab, eine auf den Menschenrechten basierende Strategie gegenüber der HIV-/Aids-Pandemie zu fördern.

UNAIDS und UNHCHR

Auf UNO-Ebene beteiligen sich inzwischen mehrere Institutionen an dem menschenrechtlichen Zugang zu HIV/Aids. Seit 1999 arbeiten UNAIDS und das Hochkommissariat für Menschenrechte (UNHCHR) eng zusammen. Hauptziel dieser Zusammenarbeit ist auf der einen Seite die Verankerung von HIV/Aids-Problematiken in der Arbeit der UNO-Menschenrechtsinstitutionen. Auf der anderen Seite soll sichergestellt werden, dass eine Menschenrechtsperspektive in die UNO-Programme gegen HIV/Aids aufgenommen wird. Ausserdem sollen auf globaler, regionaler und nationaler Ebene die Kapazitäten zum Schutz der Menschenrechte im Kontext von HIV/Aids verstärkt werden. Im Jahr 2002 rief UNAIDS zudem den unabhängigen Ausschuss «UNAIDS Reference Group on HIV and Human Rights» ins Leben, der für UNAIDS eine Beratungsfunktion innehat.

Vertragsorgane

UNAIDS und das UNHCHR beliefern die UNO-Vertragsausschüsse regelmässig mit Informationen über den Status der Pandemie in verschiedenen Ländern sowie mit Analysen zur Verknüpfung der internationalen Menschenrechtsabkommen mit HIV/Aids. Dies hat dazu geführt, dass die UNO-Menschenrechtsausschüsse während der Staatenüberprüfung in ihren abschliessenden Bemerkungen den Vertragsstaaten auch öfters Empfehlungen bezüglich HIV/Aids abgeben.

UNO-Menschenrechtsrat

Der UNO-Menschenrechtsrat selbst (früher die Kommission für Menschenrechte) befasst sich bereits seit 1996 mit dem Thema Menschenrechte und HIV/Aids. Zusammen mit UNAIDS und dem UNHCHR führte er 2003 das «Meeting for Special Procedures» durch, welches zum Ziel hatte, die Problembereiche von HIV/Aids auch in die Mandate der Sonderberichterstatter/innen und Experten/-innen zu integrieren. Zurzeit verabschiedet der Menschenrechtsrat zwei Resolutionen mit Bezug auf HIV/Aids: eine jährliche Resolution, die sich auf den Zugang zu Medikamenten während Pandemien konzentriert, und alle zwei Jahre eine Resolution, welche sich mit dem Menschenrechtsschutz im Kontext von HIV/Aids befasst.

Internationale Leitlinien

UNAIDS und UNHCHR wollen vor allem auf der staatlichen Ebene die Kapazitäten für den Menschenrechtsschutz im Kontext von HIV/Aids stärken. Dafür haben sie internationale Leitlinien entwickelt, die Staaten aufzeigen sollen, wo und wie sie konkrete Massnahmen ergreifen können.

Eine erste Version dieser Leitlinien wurde bereits 1997 verabschiedet. Die Idee dafür stammte ursprünglich aus der ersten internationalen Konsultation zu HIV/Aids und Menschenrechten, die 1989 von der World Health Organization (WHO) und dem damaligen UNO-Menschenrechtszentrum organisiert wurde.

Die definitive Version der Leitlinien von 2006 zeigt Handlungsmöglichkeiten für Staaten auf institutioneller, politischer, rechtlicher und gesellschaftlicher Ebene auf. Das Dokument gibt ausserdem Empfehlungen ab, wie die Leitlinien auf der Ebene von Staaten, im UNO-System und in überregionalen Ausschüssen sowie unter NGOs weiterverbreitet und umgesetzt werden können. Zusätzlich enthalten es Erläuterungen zu den internationalen menschenrechtlichen Verpflichtungen von Staaten, speziell im Zusammenhang mit HIV/Aids.

Die Leitlinien sind ein Versuch, bisherige internationale, regionale und nationale Aktivitäten seit der ersten Konsultation zu HIV/Aids und Menschenrechten 1989 zusammenzuführen und auf die besten Elemente bestehender Deklarationen, Strategiepapiere und Chartas zurückzugreifen; dabei aber den Fokus auf konkrete Umsetzungsmassnahmen zu legen. Die Leitlinien sollen insbesondere ein praktisches Instrument für Staaten sein, um ihre nationalen Strategien gegen HIV/Aids zu realisieren. Damit soll die grosse Lücke zwischen Prinzipien und Praxis geschlossen und eine auf den Menschenrechten basierende Handlungsstrategie gegenüber der HIV/Aids-Pandemie ermöglicht werden.

UNO-Generalversammlung

Die Verknüpfung von HIV-/Aids-Bekämpfung und Menschenrechten erreichte schliesslich auch die UNO-Generalversammlung. Im Juni 2001 erliess die Versammlung die «Declaration of Commitment on HIV/Aids». Darin hält sie explizit fest, dass die Gewährleistung der Menschenrechte einen essenziellen Faktor in der Bekämpfung von HIV/Aids darstellt: «Recognizing that the full realization of human rights and fundamental freedoms for all is an essential element in a global response to the HIV/AIDS pandemic, including in the areas of prevention, care, support and treatment, and that it reduces vulnerability to HIV/AIDS and prevents stigma and related discrimination against people living with or at risk of HIV/AIDS». Die Deklaration war das Resultat einer Spezialsession der Generalversammlung zu HIV/Aids. Obwohl das Dokument nicht verbindlich ist, enthält es doch spezifische Aufgaben, welche die Staatengemeinschaft sich selbst auferlegt hat und innerhalb bestimmter Fristen erfüllen will, um die HIV/Aids-Pandemie zu bekämpfen. Fünf Jahre später, 2006, hielt die UNO-Generalversammlung ein weiteres Treffen ab, um die Realisierung und Umsetzung der gesetzten Ziele zu evaluieren. In der daraus entstandenen «Political Declaration on HIV/AIDS» bestätigte die Generalversammlung die Bedeutung der Menschenrechte bei der Bekämpfung von HIV/Aids beinahe wortwörtlich.

Aktuellere Entwicklungen

Das Thema HIV/Aids hat die UNO auch in der jüngeren Vergangenheit stark beschäftigt. Nicht zuletzt ist die Bekämpfung von HIV/Aids eines von acht Millenniumszielen: Die Pandemie soll bis 2015 eingedämmt und ihre Ausbreitung aufgehalten werden. Das bedeutet, dass die Entwicklung der Pandemie jährlich in einem Report dargestellt wird. Bemerkenswerterweise konnte die HIV-Pandemie bis 2015 tatsächlich aufgehalten werden und ist seither rückläufig. Von diesem Erfolg beflügelt, soll nun – gemäss den «Sustainable Development Goals (SDGs)» - der Aids-Pandemie bis 2030 ein Ende gesetzt werden.

Auf höchster UNO-Ebene stand ab 2010 die Analyse der bisherigen Massnahmen im Zentrum, um die neue Strategie für die Zukunft festzulegen. Der UNO-Generalsekretär präsentierte 2011 dem Menschenrechtsrat eine Studie, die auf Berichten von Regierungen, UNO-Institutionen sowie von internationalen Organisationen und NGOs basiert. Sie zeigt die seit 2006 auf Ebene der Nationalstaaten erfolgten Massnahmen u.a. in den Bereichen Nicht-Diskriminierung, Vertraulichkeit des HIV-Status und Partizipation auf.

Ebenfalls 2011 führte die UNO-Generalversammlung ein High-Level-Meeting zum Thema HIV/Aids durch. Ziel dieses Meetings war die Verabschiedung einer neuen Deklaration. Beteiligt am Meeting und an der Ausarbeitung der neuen Deklaration war auch das UNHCHR, u.a. um sicherzustellen, dass der mittlerweile akzeptierte Menschenrechtsbezug in der Thematik beibehalten bleibt. Aus dem Treffen von Experten/-innen im Sommer 2011 in New York resultierte schliesslich die neue «Politische Erklärung zu HIV und Aids: Intensivierung unserer Bemühungen zur Eliminierung von HIV/Aids.» Diese Deklaration wurde von der UNO-Generalversammlung an ihrer 65. Session verabschiedet (A/RES/65/277). Sie legt die Strategie bis 2015 fest und fordert den UNO-Generalsekretär unter anderem auf, der Generalversammlung jährlich einen Bericht vorzulegen über die Fortschritte in der Umsetzung der Empfehlungen der Deklaration.

Quellen