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Gesonderte Haftanstalten für jugendliche Straftäter - ein Politikum

01.12.2011

Jugendgewalt und Jugendkriminalität stehen regelmässig im Fokus der Medien und der Bevölkerung. Und im gleichen Atemzug ertönt auch meist die Forderung nach härteren und längeren Haftstrafen für junge Straftäter. Dass in den letzten Jahren vermehrt Haftanstalten und Einrichtungen speziell für junge Kriminelle zur Diskussion standen und gebaut wurden, hat damit aber nur indirekt zu tun. Auslöser sind vor allem die neuen Bestimmungen zum Jugendstrafrecht, welche eine getrennte Unterbringung von erwachsenen und minderjährigen Straftätern fordert. Die Umsetzung erfolgt indes nicht so leichtfüssig wie erhofft und lässt an einigen Fronten noch zu wünschen übrig.

Rechtliche Grundlagen sind eindeutig

Anfang 2007 traten zusammen mit dem neuen Strafgesetzbuch auch die neuen Bundesgesetze zum Jugendstrafrecht in Kraft. Erfasst sind von den Bestimmungen Kinder zwischen 10 und 18 Jahren (Art. 3 Abs. 1 JStG). Die räumlich getrennte Unterbringung von Jugendlichen und Erwachsenen ist im neuen Jugendstrafrecht ausdrücklich verankert – und zwar sowohl für die Untersuchungshaft wie auch für den Strafvollzug. Mit einem kleinen, aber feinen Unterschied: Für die Untersuchungs- und Sicherheitshaft galt die Regelung bereits ab Inkrafttreten der Gesetze (Art. 28 Abs. 1 JStPO). Für die Errichtung von getrennten Einrichtungen im Strafvollzug wurde den Kantonen eine Übergangsfrist von zehn Jahren gewährt (Art. 48 JStG). Im Januar 2012 ist Halbzeit.

Was neu und innovativ klingt, hat eine längere Vorgeschichte: Seit dem Beginn der Arbeiten am neuen Jugendstrafrecht Ende der 1990er Jahre wurde über die getrennte Unterbringung von Erwachsenen und Jugendlichen in Haft diskutiert. Das Übereinkommen über die Rechte des Kindes (Art. 37 lit. c Kinderrechtskonvention, von der Schweiz ratifiziert 1997) hat die Trennung bereits seit 1989 vorgeschrieben. Und für die Untersuchungshaft verlangt der Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte bereits seit 1966 eine gesonderte Unterbringung (Art. 10 Abs. 2 lit. b UNO-Pakt II, von der Schweiz 1992 ratifiziert). Zu beiden Verträgen hatte die Schweiz entsprechend Vorbehalte angebracht. Unterdessen hat die Schweiz den Vorbehalt zu Art. 10 des UNO-Pakts II allerdings zurückgezogen.

Getrennte Unterbringung ist nicht gleich gesonderte Anstalt

Eine getrennte Unterbringung von erwachsenen und jugendlichen Straftätern ist freilich in ein und derselben Einrichtung möglich. Aus Platzgründen werden Jugendliche heute häufig nicht in eigens für Minderjährige bereitgestellte Anstalten untergebracht, sondern in Jugendabteilungen von regulären Gefängnissen. Dass dies aber auch problematisch sein kann, zeigt ein aktueller Bericht der Nationalen Kommission zur Verhütung von Folter (NKVF) zum Zentralgefängnis in Freiburg. In besagter Haftanstalt ist insbesondere die geringe Zahl inhaftierter Frauen und Minderjähriger kritisch (zurzeit je 1 Person pro Gruppe), was eine eigentliche Isolationshaft zur Folge hat.

Insbesondere für Jugendliche ist dieser Zustand untragbar. Die Verbüssung einer Haftstrafe dient bei Minderjährigen einem vor allem auf Resozialisierung ausgerichteten Zweck und muss ihren speziellen Bedürfnissen gerecht werden. Erleichterte Haftbedingungen und eine besondere Tagesstruktur, d.h. ein täglicher Spaziergang sowie Arbeits-, Sport- und Freizeitprogramme, müssen gesichert sein – was in regulären Gefängnissen häufig nicht der Fall ist. Zudem sind eine intensivere Betreuung, nicht nur durch Sicherheitspersonal, sondern auch durch Sozialpädagogen, welche die Jugendlichen erzieherisch begleiten, und ein verstärkter Fokus auf Ausbildung und Schulung essentiell für eine erfolgreiche Integration nach Verbüssung der Strafe. Gesonderte Haftanstalten für Jugendliche scheinen unter diesem Aspekt sinnvoll und zweckmässig, da wohl nur so die Anliegen der Minderjährigen ins Zentrum gestellt werden können.

Bedarf an Jugendstrafanstalten nimmt auf beiden Seiten des Röstigrabens zu

Während Jugendhaftanstalten in der Deutschschweiz kein Novum sind, befindet sich in den Kantonen jenseits der Sprachgrenze die erste auf Jugendliche spezialisierte Haftanstalt erst im Bau. 2013 wird das Jugendgefängnis in Palézieux im Kanton Waadt betriebsbereit sein. 23,5 Millionen kostet das Projekt und wird von einem Konkordat von mehreren Westschweizer Kantonen und dem Tessin getragen.

Zwar ist die Deutschschweiz hier schon weiter, die Kantone haben aber ihre Hausaufgaben noch nicht beendet – zum einen weil die bestehenden Einrichtungen häufig nicht den Anforderungen des neuen Jugendstrafrechts entsprechen, zum anderen weil Mangel an verfügbaren Plätzen herrscht. Dass diese Aufstockung trotz praktischem Anliegen und rechtlicher Notwendigkeit nicht so leicht von der Hand geht, zeigen zwei Beispiele aus der Praxis:

  • Das Massnahmezentrum Uitikon (MZU) im Kanton Zürich ist in der Deutschschweiz einer von wenigen Anbietern von geschlossenen Massnahmenplätzen für schwerstdelinquente Jugendliche und junge Erwachsene. Ein Um- und Ausbau der Anstalt wurde 2009 begonnen, musste nach Querelen mit der Baudirektion aber bald wieder eingestellt werden. Erst nachdem der Regierungsrat einen Zusatzkredit von 9 Millionen bewilligte, wurden die Sanierungsarbeiten im Oktober 2011 wieder aufgenommen. 39 Millionen wird der Umbau insgesamt kosten, je 10 zusätzliche Plätze sollen 2012, 2013 und 2014 verfügbar sein.
  • Die sozialtherapeutische Institution Arxhof im Kanton Baselland bietet 46 Plätze im offenen Straf- und Massnahmenvollzug an. Ein Vorschlag aus dem Jahr 2008, auf dem Gelände der bestehenden Einrichtung das «Jugendvollzugszentrum Nordwest- und Innerschweiz JuNI» mit 18 geschlossenen Plätzen zu errichten, stiess bei den elf Konkordatskantonen aus der Nordwest- und Innerschweiz auf Skepsis. Unklar ist momentan anscheinend auch, ob der Bedarf überhaupt noch gegeben ist. Entsprechend hängen Planung und Bau der Institution zurzeit in der Luft.  

Auch wenn es teilweise zäh läuft, im Grossen und Ganzen sind doch Fortschritte zu verzeichnen, wie ein Nebenzweig des Strafvollzugs aktuell zeigt: An der Uni-Klinik Basel wurde vor wenigen Wochen die erste psychiatrische Abteilung für junge Kriminelle in der Deutschschweiz eröffnet. 12 junge Straftäter mit psychischen Störungen können auf der Station aufgenommen werden und entlasten so zum einen die Gefängnisse, zum anderen können die kranken Jugendlichen adäquater behandelt werden. Positiv sind auch die Entwicklungen im Kanton Bern, wo zwischen 2007 und 2012 35 Millionen Franken für den Umbau des Jugendgefängnisses Prêles investiert werden, damit die Infrastruktur den menschenrechtlichen Anforderungen genügt.

Exkurs: Kinder in Untersuchungshaft?

Nicht zu vergessen ist die Unterscheidung zwischen Strafvollzug und Untersuchungs- bzw. Sicherheitshaft. Bei letzteren zwei wird ein Freiheitsentzug während einer polizeilichen Ermittlung resp. während eines Prozesses angeordnet. Der Tatverdächtige wird also noch vor einer gerichtlichen Verurteilung in Haft gesetzt. 2010 wurden nach dem Bundesamt für Statistik insgesamt 34 Minderjährige in Untersuchungshaft gesetzt, das sind 10 mehr als im Vorjahr.

Die Anordnung einer Untersuchungs- oder Sicherheitshaft ist auch bei Erwachsenen nur unter verschärften Voraussetzungen möglich (Art. 221 StPO). Erst recht ist bei Minderjährigen mit Bedacht vorzugehen: Nach der Jugendstrafprozessordnung dürfen Untersuchungs- und Sicherheitshaft «nur in Ausnahmefällen und erst nach Prüfung sämtlicher Möglichkeiten von Ersatzmassnahmen»  (Art. 27 Abs. 1 JStPO) angeordnet werden und die Trennung von Erwachsenen ist schon seit 2007 Pflicht. Dr. iur. Christoph Hug schreibt im  DEI-Bulletin vom September 2011:

«Aus dem wegleitenden Art. 4 Abs. 1 JStPO geht sinngemäss hervor, dass sich die Untersuchungsbehörde für eine möglichst kurze Dauer der UH einsetzen muss. Bei Bemessung deren Dauer ist das Alter des Straftäters mit zu berücksichtigen. Je jünger der Jugendliche ist, umso zurückhaltender ist mit dessen Freiheitsentziehung umzugehen und umso mehr ist dem Unterbringungsort und der Betreuung besondere Achtung zu schenken.» 

Ein konkretes Mindestalter legt Nicolas Queloz, Strafrechts- und Kriminologieprofessor an der Universität Fribourg, in derselben Ausgabe des Bulletin fest: Untersuchungshaft bei Unter-15-Jährigen sei nicht mit Bundesrecht vereinbar. Er leitet dies von Art. 25 JStG ab, wonach ein Freiheitsentzug erst nach Vollendung des 15. Altersjahr vorgesehen ist. Folgerichtig sollte eine Untersuchungshaft für Unter-15-Jährige nicht angeordnet werden dürfen. Im Artikel nimmt Queloz im übrigen Bezug auf eine Studie aus dem Jahre 2009, die festhält, dass die französisch-sprachigen Kantonen und das Tessin Jugendliche weit häufiger in Untersuchungshaft nehmen als die Deutschschweizer Kantone.

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