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Zutrittssperre für Gepäckangestellte am Genfer Flughafen

12.04.2016

Nach den Anschlägen in Paris im November 2015 hat das Departement für Sicherheit und Wirtschaft des Kantons Genf 32 Mitarbeitern des Genfer Flughafens den Zutritts-Badge zur Sicherheitszone in Genf-Cointrin gesperrt. Die Betroffenen haben für ein unabhängiges Assistenz-Unternehmen des Genfer Flughafens  gearbeitet. Nachdem der Zutritt gesperrt worden war,  hat das Unternehmen alle betroffenen Mitarbeiter kurzerhand entlassen. Ohne ihren Badge können sie die Aufgabe, für die sie eingestellt wurden, nicht ausüben. Deshalb handelt es sich wahrscheinlich nicht um eine missbräuchliche Kündigung. Denn das Unternehmen hatte einen guten Grund, die Gepäckangestellten zu entlassen.

Auch die Unschuldsvermutung hilft den ehemaligen Mitarbeitern nicht weiter, denn es wurde überhaupt keine Anklage gegen sie erhoben, und alle verfügten über ein unbescholtenes Strafregister, wie es für die Ausübung dieser Stelle verlangt wird. Es handelt sich auch nicht zweifelsfrei um eine diskriminierende Massnahme. Selbst wenn die meisten Betroffenen Muslime sind, so sind es doch nicht alle. Immerhin hatten alle einen arabischen Namen, was auf eine Diskriminierung aus Gründen der Herkunft hindeutet.

Doch auch aus einem weniger offensichtlichen Grund stellt diese Massnahme menschenrechtlich gesehen ein Problem dar. Betroffen ist nämlich auch das Recht auf Privatsphäre und auf ein faires Verfahren, wie im Folgenden aufgezeigt wird.

Weshalb wurde der Zutritt gesperrt?

Pierre Bayenet, der Anwalt von mehreren betroffenen ehemaligen Gepäckträgern berichtet gegenüber humanrights.ch, dass das Zutrittsverbot zur Sicherheitszone in Genf-Cointrin nach einem Informationsaustausch zwischen Frankreich und der Schweiz stattgefunden hat. Der Entscheid basiere auf einer sogenannte Fiche TAJ (Traitement d’antécédents judiciaires). Diese Fichen bestehen aus Informationen der französischen Polizei und der Gendarmerie.  Sie enthalten persönliche Daten über die mutmasslichen Beteiligten an kriminellen Delikten mit Bezug zu Frankreich. Eingetragen ist jede Person, bei der bestimmte Indizien es wahrscheinlich machen, dass sie an einem Delikt, an einer Gewalthandlung, oder provokativer Diskriminierung, an Hasstiraden oder Sachbeschädigungen direkt oder indirekt beteiligt gewesen sein könnte. Auch alle Opfer der Delikte werden aufgelistet.

Eine vollständige Datenüberwachung

Nur die Polizei entscheidet darüber, bei welchen Personen es genügend Indizien gibt, um sie zu fichieren. Es ist beispielsweise möglich, dass eine Person Zeuge/-in eines Verbrechens wurde und dies als Indiz gewertet wird, dass die betroffene Person in dieses Delikt verwickelt sein könnte. Auch kann eine Person fichiert werden, weil sie sich während einer Befragung in den Augen der Polizei «verdächtig» verhielt. Die Aufsichtsbehörde für Informatik und Freiheiten (CNIL) ist damit beauftragt, die Fichen zu überwachen. Sie schätzt, dass über 9'500'000 Personen darin aufgeführt sind, die das Kriterium «schwache Indizien» erfüllen.

Die Daten jener Personen mit «schwachen Indizien» bleiben standardgemäss 20 Jahre in den TAJ-Fichen enthalten. Wobei diese Zahl zwischen 5 und 40 Jahren variieren kann. Daten von Minderjährigen werden zwischen 5 und 20 Jahren gespeichert. Wer in den TAJ-Fichen aufgenommen wird, wird weder darüber informiert, noch hat diese Person das Recht, sich dagegen zu wehren. Sie darf nicht einmal direkt auf die Daten über die eigene Person zugreifen. Um Zugang zu den Daten zu erhalten, muss die Person einen Antrag bei der CNIL einreichen. Darauf leitet die CNIL ein langwieriges und oft erfolgloses administratives Verfahren ein. Erst wenn dieses abgeschlossen ist, bekommt die Person Einsicht in ihre Daten, und die CNIL überprüft deren Wahrheitsgehalt. In den meisten Fällen stellt die CNIL dabei fest, dass die Daten veraltet oder sogar falsch sind. Ein Grund dafür ist beispielsweise, dass die Daten einer Person meist auch nach einer Verfahrenseinstellung in den TAJ-Fichen gespeichert bleiben.

Kritik an den TAJ-Fichen

Diese Fichen TAJ sind in Frankreich stark umstritten. Trotzdem haben die Genfer Behörden sie konsultiert und ohne die Informationen weiter zu hinterfragen, im Anschluss 32 Personen den Zutritts-Badge gesperrt. Die CNIL hat mehrfach auf zahlreiche Probleme dieser TAJ-Fichen aufmerksam gemacht: Eingabefehler und grosse Lücken bei der Aktualisierung der Daten sind nur zwei Beispiele. Gemäss der CNIL habe der Innenminister nicht einmal einen formellen Prozess geschaffen, der die Aktualisierung der Daten sicherstellt. Ein Grossteil der Fehler und Ungenauigkeiten in den Fichen sei sicherlich auf eine mangelhafte Aktualisierung zurückzuführen, betont die CNIL. Zudem hat die Präsidentin der CNIL am 2. Februar 2015 den Innenminister und den Justizminister aufgefordert, die rechtlichen Fristen einzuhalten, wenn Personen Einsicht in Ihre Daten anfordern.  Sie betonte, dass gewisse Gesuche seit 2010 ausstehend seien. Dies verletze das Recht einer Person, ihre eigenen Daten einzusehen. Nach dieser Aufforderung hat der Innenminister versprochen, diese Missstände zu eliminieren, und das CNIL hat seine Forderung zurückgezogen. Bis heute gibt es aber keine Meldungen über konkrete Verbesserungen.

Eine Verletzung der Privatsphäre?

Den 32 Gepäckangestellten des Genfer Flughafens wurde nicht kommuniziert, dass sie sich in den TAJ-Fichen befinden und sie hatten auch keine Möglichkeit, diese Kenntnis zu erlangen. Trotzdem hatte dies einen bedeutenden Einfluss auf ihr Leben. Nicht nur wurden die Betroffenen entlassen, sondern sie werden jetzt auch mit heftigen Anschuldigungen konfrontiert. Die Zeitschrift «Le Temps» hat mehrere Artikel veröffentlicht, in denen die 32 Gepäckangestellten als radikale Islamisten dargestellt werden. Dies obwohl sie von den Behörden niemals mit einem solchen Vorwurf konfrontiert wurden. Was diese 32 Personen verbindet, ist somit weder ihre Religion, noch ihre Herkunft oder ihre Nationalität, sondern die Tatsache, dass sie alle zumindest für eine kurze Zeit in Frankreich gelebt haben und dort fichiert wurden.

Die betroffenen Angestellten hatten keinen direkten Zugriff auf jene Informationen, welche zum Zutrittsverbot geführt haben. Der Genfer Anwalt Pierre Bayenet erklärt, weshalb dies hinsichtlich einem effektiven Rechtsschutz problematisch ist: «Wie kann eine Person sich gegen einen Entscheid wehren, dessen Begründung sie nicht kennt?». Betroffen ist Art. 6 al. 1 der EMRK , welcher postuliert: «Jede Person hat ein Recht darauf, dass über Streitigkeiten in Bezug auf ihre zivilrechtlichen Ansprüche und Verpflichtungen oder über eine gegen sie erhobene strafrechtliche Anklage von einem unabhängigen und unparteiischen, auf Gesetz beruhenden Gericht in einem fairen Verfahren, öffentlich und innerhalb angemessener Frist verhandelt wird.»

Die Genfer Behörden tangieren mit ihrem Entscheid zudem auch das Recht auf Privatsphäre. Sie haben auf persönliche Daten zurückgegriffen, welche ihnen von ausländischen Behörden zugespielt wurden und zu welchen die betroffenen Personen keinen direkten Zugang haben und welche nicht regelmässig aktualisiert werden. Es ist fraglich, ob sich dies mit Art. 8 der EMRK, welcher das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens vorsieht, vereinbaren lässt. Die Rechtsprechung des EGMR, lässt vermuten, dass Art. 8 in diesem Fall verletzt wurde. In einem Urteil gegen England aus dem Jahre 2008 entschied das Gericht, dass der Schutz persönlicher Daten eine fundamentale Rolle in der Durchsetzung des Art. 8 der EMRK (Rechts auf Achtung des Privat- und Familienleben) spielt. Die nationale Gesetzgebung müsse deshalb garantieren, dass persönliche Daten nur im Rahmen der Vorgaben des Art. 8 der EMRK genutzt würden.

Das Gericht betont, dass eine besondere Vorsicht geboten sei, wenn die Daten einer automatischen Verarbeitung unterliegen und von der Polizei genutzt würden. Die nationale Gesetzgebung müsse deshalb garantieren, dass die gesammelten Daten relevant seien und nicht über den Sinn oder Zweck, den sie erfüllen, hinausgingen. Zudem müssten Daten, welche auf eine bestimmte Person zurückzuführen seien, gelöscht werden, sobald sie ihren Zweck erfüllt hätten. Diese Bedingungen lassen sich kaum mit den TAJ-Fichen vereinbaren.

Kommentar von humanrights.ch

Der Ausschluss-Entscheid der Genfer Behörden könnte auf missbräuchliche Massnahmen des französischen Sicherheitsapparates im Rahmen der Terrorbekämpfung zurückzuführen sein (siehe hierzu unseren Artikel). Er wiederspiegelt aber auch die allgemeine Tendenz in der Schweiz, schlichte Verdächtigungen wie Beweise zu behandeln.

Niemand bezweifelt, dass sich die Genfer Behörden in einer schwierigen Lage befinden. Ihnen wird von gewissen Seiten vorgeworfen, dass sie überreagieren, während andere noch mehr Schutzmassnahmen fordern. Genf muss die Interessen abwägen und einen Kompromiss zwischen dem Recht auf persönliche Freiheit und dem Schutz der Genfer Fluggäste finden. Dies ist eine grosse Verantwortung. Wobei es genau in solchen Situationen wichtig ist, Distanz zu wahren und nicht vorschnelle Entscheidungen zu treffen.

Die Menschenrechte sehen für solche Fälle die Möglichkeit einer Einschränkung der persönlichen Freiheit vor, wenn diese verhältnismässig ist und auf einer gesetzlichen Grundlage basiert. Im vorliegenden Fall haben die Genfer Behörde aber auf die verzerrten Informationen der TAJ-Fichen zurückgegriffen, ohne deren Wahrheitsgehalt zu verifizieren. Der Genfer Sicherheitsdirektor und Regierungsrat Pierre Maudet (FDP) gibt offen zu, dass es für die Schweizer Behörden praktisch unmöglich sei, die Vertrauenswürdigkeit von Informationen aus dem Ausland zu kontrollieren. Dies lässt darauf schliessen, dass die Behörden ihrer Pflicht, die Verhältnismässigkeit der Massnahme zu überprüfen, nicht nachgekommen sind. Zudem ist auch nicht klar, auf welcher legalen Basis die Behörden ihre Handlungen stützen. Gerade in unsicheren Zeiten bilden die Menschenrechte ein wichtiges Fundament, um die demokratische Gesellschaft zu sichern. Es ist wichtig, dass die Schweiz dies nicht vergisst.

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