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Beschwerde beim Presserat: Verstoss gegen das Diskriminierungsverbot

05.10.2015

Ende August 2015 erschien in einer Ratgeberkolumne verschiedener Zeitungen ein Beitrag, in dem sich eine Frau über Leistungskürzungen der Sozialhilfe ihres Sohnes beklagt und Rat sucht. Die darauffolgende Antwort des Ratgebers wurde aufgrund umstrittener Aussagen heftig kritisiert und hatte zur Folge, dass zwei Diskriminierungsexperten eine Beschwerde beim Schweizer Presserat einreichten, da der Artikel gegen das Diskriminierungsverbot verstosse.

Diskriminierende Anspielungen

Der Schweizer Presserat ist eine Beschwerdeinstanz, der von sich aus oder auf Anfrage Stellung zu berufsethischen Fragen nimmt (unseren Artikel zum Presserat finden Sie hier), wobei er sich auf die Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten beruft. Gemäss Art. 8 dieser Erklärung verpflichten sich Journalisten/-innen, die Menschenwürde zu respektieren und auf «diskriminierende Anspielungen, welche die ethnische oder nationale Zugehörigkeit, die Religion, das Geschlecht, die sexuelle Orientierung, Krankheiten sowie körperliche und geistige Behinderungen zum Gegenstand haben» zu verzichten.

Der Historiker Kijan Espahangizi und der Jurist Tarek Naguib, die die Beschwerde beim Presserat eingereicht haben, sind überzeugt, dass die Antwort des Ratgebers gegen Art. 8 der Erklärung verstösst. Sie beziehen sich auf frühere Stellungnahmen des Presserats, in denen dieser die Auslegung von Art. 8 präzisiert, und kommen zum Schluss, dass demnach die «Grenze zu rassistischer Diskriminierung» klar überschritten sei.

«Gauner bleibt Gauner – ist so!»

Der Artikel beginnt mit dem Brief der Mutter, in dem sie die Ausgangslage schildert und wissen möchte, was sie tun kann. Auffallend ist dabei, dass im Text zwar keine Rechtschreib-, jedoch zahlreiche grammatikalische Fehler abgedruckt wurden, wodurch klar wird, dass die Frau ausländischer Herkunft ist. Darauf baut der «Ratgeber» dann auch auf, wenn er im Artikel fortwährend zwischen «euch» und «uns», «hierzulande» und dort, «wo du aufwuchsest» und zuletzt zwischen der Schweiz und «der ärmlichen Beschaulichkeit des heimatlichen Hinterlandes» unterscheidet. Weiter führt der Autor aus, dass der Sohn ein «erbarmungswürdiger Eierdieb» und «Dauerdelinquent» und nur dann «potent» sei, wenn es darum gehe, sich «vor Arbeit zu drücken». Schliesslich führt er aus, was das Gesetz «gegenüber Drückebergern wie ihn» vorsehe.

Durch diese und weitere Aussagen sind die Autoren der Beschwerde zum Schluss gelangt, dass mit der Verknüpfung von angeblicher Faulheit, Sozialhilfe, Straffälligkeit und dem «heimatlichen Hinterland» (was eine Anspielung auf den Balkan sei) zusammen mit dem Vermerk auf die «Potenz» des Sohnes ein klischiertes Bild hervorgerufen werde. Dieses entspreche nicht mehr einer «berechtigten Kritik an einzelnen», gemäss einer früheren Stellungnahme zu Art. 8 des Presserats, sondern sei vielmehr eine «Verallgemeinerung», welche das «Ansehen einer Gruppe beeinträchtigt» und diese somit «kollektiv herabwürdigt».

Beschwerde zielt vorerst auf die Verantwortung der Redaktionen

Sie hätten sich mit dieser Beschwerde beim Presserat vorerst für den nicht-juristischen Weg entschieden, weil es in erster Linie darum gehe, «an die Verantwortung von Redaktionen zu appellieren», erklärt Tarek Naguib, Co-Autor der Beschwerde. Das Bewusstsein für Diskriminierung und Rassismus im Alltagsjournalismus müsse verstärkt werden. Das Ziel sei, dass Medien einerseits genügend Ressourcen für die redaktionelle Kontrolle zur Verfügung hätten und andererseits die «Kultur des Hinschauens» gestärkt werde. Daher hätten die Autoren mit diesem ersten Schritt bewusst auf die Forderung nach strafrechtlichen Massnahmen verzichtet.

Doch sollten die Beschwerde beim Presserat und der Appell an die Medien nicht die gewünschte Wirkung zeigen, so behalten sich die Autoren die Möglichkeit vor, eine strafrechtliche Untersuchung in die Wege zu leiten. Denn gerade weil der Artikel in Bezug auf die Antirassismus-Strafnorm (StGB Art. 261bis) seiner Meinung nach ein Grenzfall sei, müsste er strafrechtlich untersucht werden, so Naguib. Denn die Art und Weise wie der Ratgeber in seiner Antwort verallgemeinert und dabei eine bestimmte Gruppe auf rassistische Weise klischiert, könne strafrechtlich unter Umständen durchaus als das öffentliche Verbreiten von rassistischen Ideologien bzw. als rassistische Herabsetzung gemäss StGB Art. 261bis Abs. 2 bzw. 4 gelten.

Dokumentation und weitere Informationen