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Rassismus - Dossier

Rassistisches Profiling: Begriff und Problematik

Der Ausdruck  «Racial Profiling» stammt aus den USA, wo vor allem Afroamerikaner/innen und Personen lateinamerikanischer Abstammung von überdurchschnittlich vielen polizeilichen Personenkontrollen betroffen sind. Es wird auch von «Ethnic Profiling» gesprochen. Im europäischen Kontext sind neben Schwarzen auch Personen aus der Balkanregion (insbesondere Roma) sowie aus arabischen Ländern und Musliminnen und Muslime von ungerechtfertigten Personen- und Fahrzeugkontrollen betroffen.

Weil in Europa das Adjektiv «rassisch» keine sachliche Bedeutung hat, sondern als Element von rassistischen Ideologien aufgefasst wird, verwenden wir im vorliegenden Themendossier ausschliesslich den Ausdruck «rassistisches Profiling». Dabei beziehen wir uns auf den Begriff des Rassismus in der weiten Bedeutung, welche auch alle Formen der kulturalisierenden Unterordnung umfasst.

Arbeitsdefinition

Der Begriff «Rassistisches Profiling» bezeichnet alle Formen von diskriminierenden Personen- und Fahrzeugkontrollen gegenüber Personengruppen, welche von den Polizisten/-innen als ethnisch oder religiös «andersartig» wahrgenommen werden. Die folgenden Ausführungen erläutern diese Definition.

Was bedeutet «Profiling»?

«Profiling» meint ein zielgerichtetes Kategorisieren von Menschen.

Kategorisierung ist das Zuordnen von Menschen zu Gruppenkategorien, wie zum Beispiel Geschlecht, Alter, soziale Schicht, Ethnie, Subkultur, soziale Rolle, sexuelle Orientierung etc.

Solche Kategorisierungen finden spontan bei jeder zwischenmenschlichen Wahrnehmung statt. In manchen Zusammenhängen werden soziale Kategorisierungen als Methode verwendet, um bestimmte Ziele zu erreichen. So wird der Fussballscout anhand bestimmter Suchkategorien (Verteidiger, nicht älter als 21, nicht teurer als SFR 100‘000 etc.) auf die Spielersuche gehen. Oder die Marketingfachfrau versucht, das Zielpublikum ihres Produkts einzugrenzen, indem sie gewisse Eigenschaften des Produkts hervorhebt und diesen Eigenschaften bestimmte soziale Kategorien zuordnet, welche dann die Zielgruppe definieren. Beides ist «Profiling» im Sinne des zielgerichteten Kategorisierens von Menschen.

Auch für die Polizei ist Profiling eine wichtige Arbeitsmethode, vor allem bei den Ermittlungen zu einem Delikt. Da wird aufgrund von Zeugenaussagen, Tatortspuren und Hypothesen ein bestimmtes Täterprofil erstellt, welches unter anderem auch soziale Kategorisierungen enthält. Wenn danach Menschen auf den Radar der Polizei geraten, die dem Täterprofil entsprechen, so sind sie verdächtig und werden überprüft. Solange diese Profile auf objektiven Fakten beruhen, die statistisch nachweisbar ausgeprägte Hinweise für kriminelle Aktivitäten sind, ist an diesem kriminalistischen Profiling nichts auszusetzen.

Ethnisches und religiöses Profiling

Ethnisches oder religiöses Profiling bedeutet zuerst einmal ein zielgerichtetes Kategorisieren von Menschen aufgrund des Merkmals der ethnischen oder religiösen Zugehörigkeit. Auch dies ist nicht in jedem Fall illegitim.

Wenn also beispielsweise eine Gefängnisverwaltung die Erfahrung gemacht hat, dass es immer wieder zu grösseren Schwierigkeiten gekommen ist, wenn Angehörige von Ethnie X und Ethnie Y in derselben Zelle untergebracht wurden, so kann das vorgängige ethnische Profiling ein vernünftiges Mittel für den Entscheid sein, welcher Zelle ein neuer Insasse zugeteilt wird.

Rassistisches Profiling

Ethnisches oder religiöses Profiling wird dann zum Problem, wenn die Methode auf diskriminierende Weise angewandt wird. In der Praxis wird dieser Vorwurf vor allem im Zusammenhang von Personenkontrollen durch die Polizei und die Grenzschutzbehörden erhoben, und zwar dann, wenn zwei Voraussetzungen gegeben sind:

a) Das Verhalten der kontrollierten Person gibt keinen Anlass für die Personenkontrolle.
b) Die kontrollierte Person wird aufgrund ihres Erscheinungsbilds von den Sicherheitsbeamten als «rassisch», ethnisch oder religiös «fremdartig» wahrgenommen.

In einem solchen Falle ist die gruppenbezogene Zuschreibung offensichtlich das hauptsächliche Motiv für die Überprüfung der Person. Dies ist als sachlich ungerechtfertigte Ungleichbehandlung, d.h. als verbotene Diskriminierung zu bewerten. Rassistisches Profiling ist also eine Spielart der rassistischen Diskriminierung.

Wenn die ethnische oder religiöse Zuschreibung jedoch ein sachlich begründetes Element zum Beispiel im Steckbrief einer zur Fahndung ausgeschriebenen Person ist, handelt es sich zwar auch um ein unter anderem ethnisches/religiöses Profiling, aber ohne diskriminierenden Charakter, weil sachlich begründet.

In diesem Themendossier verwenden wir den Ausdruck «rassistisches Profiling» im Bewusstsein, dass der diskriminierende Charakter in vielen Situationen umstritten ist. Ausserdem beschränken wir den Gebrauch des Ausdrucks des «rassistischen Profilings» auf Fälle von Personen- und Fahrzeugkontrollen durch die Polizei und die Grenzschutzbehörden, obwohl diese Methode vereinzelt auch bei anderen polizeilichen Tätigkeiten ins Spiel kommen kann.

Ausmass und institutionelle Verankerung

Wenn Personenüberprüfungen systematisch nur nach ethnischen Merkmalen erfolgen, so muss man von «ethnischer Selektion» sprechen. Die Nähe zur Nazi-Terminologie ist nicht zufällig. Denn wenn die Polizei tatsächlich alle Menschen mit bestimmten ethnischen Merkmalen im öffentlichen Raum anhalten und überprüfen würde, so würde es sich um eine totalitäre systematische Diskriminierung der betreffenden ethnischen oder religiösen Minderheit handeln. Dieser Vorwurf steht zur Zeit in Westeuropa in der Regel nicht im Raum.

Das Ausmass von rassistischem Profiling ist hingegen umstritten. Zum einen gibt es länder-, städte- und quartierspezifische Unterschiede. Zum andern fehlen in den meisten Staaten einigermassen zuverlässige Daten über das Vorkommen von rassistischem Profiling. Die subjektiven Erfahrungen von Angehörigen bestimmter ethnischer oder religiöser Gruppen sind zwar ein wichtiges Indiz, lassen aber keine Schlüsse zu auf das quantitative Vorkommen von rassistischem Profiling.

Ebenfalls kontrovers beurteilt wird die Frage, ob rassistisches Profiling als institutionelles Problem der Polizei oder eher als spezifisches Problem von bestimmten einzelnen Polizisten/-innen zu betrachten sei. Auch diese Frage lässt sich nicht losgelöst von einem territorialen Kontext beantworten. Zudem muss der Vorwurf, es handle sich um eine Form des institutionellen Rassismus, empirisch belegt werden, um stichhaltig zu sein. Dies bedeutet, dass man den konkreten Nachweis erbringen muss, dass und wie das rassistische Profiling institutionell verankert ist (z.B. in Form von Einsatzdoktrinen, Dienstbefehlen etc.).

Betroffene und Experten/-innen streben eine Verschärfung dieses Kriteriums für institutionellen Rassismus an und fordern, dass die Institution Polizei darüber hinaus den Nachweis erbringen muss, dass sie alle nötigen Vorkehrungen getroffen hat, um rassistisches Profiling zu verhindern (vgl. unseren Artikel: «Betroffene und Experten/-innen gegen rassistisches Profiling»). Demnach hätte die Polizei in Sachen rassistischem Profiling nicht nur eine Pflicht zum Unterlassen sondern auch eine Präventionspflicht. Eine solche Ausweitung muss allerdings von der Politik gestützt sein, damit sie praktische Gültigkeit erlangt.

Sozialpsychologische Ursachen

Auf der individuellen Ebene des einzelnen Polizisten oder der Polizistin ist das rassistische Profiling oft in unbewusster Weise motiviert, und zwar in Form von unreflektierten Einstellungen und Vorurteilen. Das heisst: Obwohl keine bewusste rassistische Absicht bestehen muss, wird das Handeln mitunter von solchen unbewussten Vorurteilen geleitet.

Rassistische Stereotypen gehen oftmals auf koloniale Einstellungen (wie der vorgestellten «Überlegenheit der europäischen Kultur») oder innereuropäisch gewachsene Ressentiments (etwa gegenüber Menschen vom Balkan) zurück.

Solche rassistische Stereotypen können innerhalb eines Polizeikorps auf der Ebene der informellen Kommunikation laufend bestätigt, verstärkt und verfestigt werden. Ist dies der Fall, so werden sie zu einem selbstverständlichen Bestandteil des «Korpsgeistes».

Sachlich begründet und wirksam?

Wo ethnisches Profiling auf der institutionellen Ebene bewusst gerechtfertigt wird, hört man aus Polizeikreisen öfters das Argument, ethnisches Profiling käme nur dort zum Zug, wo entsprechende Erfahrungswerte vorliegen. Diese sachliche Begründung werde dann auch durch die Wirksamkeit der Methode bestätigt. Bei diesem Argument handelt es sich jedoch in vielen Fällen nur um einen institutionell verankerten Glauben.

Zum einen belegen internationale Studien, dass Profile, die sich hauptsächlich auf ethnische Merkmale stützen, nicht immer wirksam sind. So zeigen etwa Studien zu Drogenkurieren, dass die Wirksamkeit bzw. «Trefferquote» polizeilicher Massnahmen verbessert werden kann, wenn aus dem generellen Täterprofil die äusserlichen Merkmale «Rasse» oder ethnische Zugehörigkeit ausgeklammert werden.

Ausserdem stellt sich die Frage, ob die vorgeblichen «Erfahrungswerte» hinsichtlich verschiedener Ethnien primär aufgrund unterschiedlicher Verhaltensweisen oder erst aufgrund der ungleich häufig ausgeführten Kontrollen entstehen. Je öfter eine Gruppe kontrolliert wird, desto öfter werden Straftaten entdeckt. Dieser «Erfolg» kann wiederum als Rechtfertigung für das eigene Handeln und entsprechende Kontrollen dienen. Für diejenigen Straftäter, welche nicht Träger jener ethnischen Merkmale sind, auf welche die Polizeibeamten fokussieren, stellt ethnisches Profiling auch immer eine Chance dar, unentdeckt zu bleiben.

Gesellschaftliche Auswirkungen

Auch relativ harmlos scheinende Personenkontrollen können zu traumatischen Erfahrungen werden, wenn sie wiederholt stattfinden. Rassistisches Profiling stellt ganze Bevölkerungsgruppen unter einen Generalverdacht und stempelt sie als Kriminelle oder illegale Einwanderer ab. Dies ruft bei den betroffenen Personen chronische Gefühle der Erniedrigung, Nicht-Zugehörigkeit, Verbitterung oder Misstrauen hervor, wie zahlreiche Studien und Berichte zur Perspektive der Betroffenen belegen. Aus Sicht der Strafverfolgung liegt die grösste Schwierigkeit in der eventuellen Belastung der Beziehungen zu Minderheitengemeinschaften, welche diese kumulativen Effekte mit sich bringen.

Dokumentation