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Polizei - Dossier

Polizei: Schweizerische Rechtsgrundlagen

16.10.2023

Rechtsgrundlagen

Europäische Menschenrechtskonvention

An der Spitze der Rechtsordnung steht die Europäische Menschenrechtskonvention, die insbesondere das Recht auf Leben (Art. 2 EMRK), das Verbot der Folter und der unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung (Art. 3 EMRK), das Recht auf Freiheit und Sicherheit (Art. 5 EMRK), die Garantien für ein faires Verfahren (Art. 6 EMRK) sowie die Freiheit der Meinungsäusserung (Art. 10 EMRK) und die Versammlungsfreiheit (Art. 11 EMRK) schützt, die bei jeder polizeilichen Handlung respektiert werden müssen.

Verfassung

Auch die Schweizer Bundesverfassung garantiert Grundrechte, die durch polizeiliche Handlungen verletzt werden können. Betroffen sind insbesondere: das Recht auf Menschenwürde (Art. 7 BV), die Rechtsgleichheit (Art. 8 BV), der Schutz vor Willkür und das Recht, nach Treu und Glauben behandelt zu werden (Art. 9 BV), das Recht auf Leben und persönliche Freiheit (Art. 10 BV), die Meinungsfreiheit (Art. 16 BV), der Schutz der Privatsphäre (Art. 13 BV), die Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit (Art. 22 und 23 BV), die strafrechtlichen Verfahrensgarantien wie das Recht auf ein faires Verfahren und auf eine Beurteilung innert angemessener Frist, der Anspruch auf rechtliches Gehör und Recht auf Zugang zu einem zuständigen, unabhängigen und unparteiischen Gericht, das Recht, so schnell wie möglich über die gegen seine Person erhobenen Beschuldigungen unterrichtet zu werden und das Recht, die Angelegenheit vor eine Berufungsinstanz zu bringen (Art. 29, 29a, 30 und 32 BV) sowie das Verbot der willkürlichen Inhaftierung (Art. 31 BV).

Art. 35 BV weist darauf hin, dass die Grundrechte in der gesamten Rechtsordnung verwirklicht werden müssen und dass jeder, der der staatliche Aufgaben übernimmt, verpflichtet ist, zu ihrer Verwirklichung beizutragen.

Die polizeiliche Generalklausel (Art. 36 Abs. 1 BV) ermöglicht es, das Fehlen einer Rechtsgrundlage zur Rechtfertigung von Grundrechtsbeschränkungen im Falle einer ernsthaften, unmittelbaren und nicht anders abwendbaren Gefahr für die öffentliche Ordnung und für das grundlegende Rechtsgut des Staates oder von Privatpersonen zu verhindern.
Das Völkerrecht hat Vorrang vor dem Bundes- und kantonalen Recht (Art. 5 BV).

Strafgesetzbuch und Strafprozessordnung

Das Strafgesetzbuch (StGB) listet die Straftaten auf, die Einzelpersonen der Kontrolle des Staates unterwerfen, und unterdrückt insbesondere die Verhinderung der Ausführung einer amtlichen Handlung und damit die Behinderung der polizeilichen Tätigkeit (Art. 286 StGB). Dagegen dienen die in der Strafprozessordnung (StPO) vorgesehenen Garantien dem Schutz der Grundrechte von Personen, die in Strafverfahren involviert sind, und bieten einen Rahmen für polizeiliche Massnahmen, Zwangsmassnahmen und Bedingungen für deren Anwendung. Die Polizei ist beispielsweise nur dann berechtigt, eine Person zur Aufklärung einer Straftat zu identifizieren, wenn ein konkreter Verdacht vorliegt (Art. 215 StPO). Die polizeiliche Erfassung von erkennungsdienstlichen Daten muss von der Staatsanwaltschaft angeordnet werden (Art. 260 Abs. 2 StPO), muss durch ein wichtiges öffentliches Interesse gerechtfertigt und streng verhältnismässig sein.

Zwangsanwendungsgesetz

Das Zwangsanwendungsgesetz (ZAG) und die dazugehörige Verordnung legen fest, in welchen konkreten Fällen der Einsatz verschiedener Zwangsmittel zulässig ist und welche Waffen und sonstigen Repressionsmittel autorisiert sind. Neben den Bundesbehörden sind auch die kantonalen Behörden (insbesondere die Polizei), die im Auftrag des Bundes handeln, betroffen, insbesondere bei Ausweisungen von Ausländer*innen und Gefangenentransporten.

Bundesgesetz über den Nachrichtendienst

Das Bundesnachrichtendienstgesetz (NDG) ermöglicht die Überwachung der Kommunikation zwischen Personen mit Wohnsitz in der Schweiz, auch wenn kein Verdacht auf eine Straftat besteht. Es gibt den Nachrichtendiensten eine Reihe von Instrumenten und Rechten, die unverhältnismässig stark in das Recht auf Privatsphäre, auf Vereinigungsfreiheit, auf Versammlungsfreiheit und auf freie Meinungsäusserung sowie auf politische Rechte eingreifen. Wegen der umfangreichen und unrechtmässigen Erhebung personenbezogener Daten sowie der unzureichenden Auskunftserteilung an die Betroffenen stösst der Bundesnachrichtendienst (NDB) noch heute auf heftige Kritik. Es ist eine weitere Überarbeitung des NDG geplant, die das ohnehin nicht genau definierte und schlecht kontrollierte Mandat des NDB entscheidend erweitern und das Risiko der Überwachung legitimer politischer Aktivitäten erneut erhöhen dürfte.

Bundesgesetz über polizeiliche Massnahmen zur Terrorismusbekämpfung

Das Bundesgesetz über polizeiliche Massnahmen zur Terrorismusbekämpfung (PMT) regelt die Aufdeckung, Verfolgung und Prävention von Straftaten. Vermutungen oder Spekulationen über die künftigen Absichten und Handlungen von Einzelpersonen können die Grundlage für polizeiliche Massnahmen bilden, ohne dass auch nur ein Verdacht auf eine Straftat besteht. Der präventive Charakter der Massnahmen bedeutet eine Umkehr der Beweislast. Die Massnahmen werden vom Bundesamt für Polizei ohne vorherige richterliche Kontrolle oder Einhaltung der Strafverfahrensgarantien angeordnet. Das Gesetz sieht unter anderem Hausarrest für Personen ab 15 Jahren vor, während andere vorbeugende Massnahmen auch für Kinder ab 12 Jahren zulässig sein könnten. Derartige Bestimmungen stehen im Widerspruch zum schweizerischen Jugendstrafrecht und verstossen gegen die Menschenrechtsverpflichtungen der Schweiz, insbesondere gegen das Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte des Kindes.

Die Verordnung (VPMT) fügt Bestimmungen hinzu, die der Polizei mehr Mittel zur Kontrolle und Überwachung mutmasslicher „gefährlicher“ Personen geben. Insbesondere wird die Möglichkeit einer Echtzeitüberwachung ohne vorherige gerichtliche Kontrolle eingeführt. Der Verordnungsentwurf sieht auch vor, dass Fedpol die Verarbeitung personenbezogener Daten selbst überwacht, was nicht den Anforderungen einer unabhängigen Kontrolle entspricht.

Bundesgesetz über Massnahmen zur Wahrung der inneren Sicherheit

Das Bundesgesetz über Massnahmen zur Wahrung der inneren Sicherheit (BWIS) ermöglicht es dem Bund, präventive polizeiliche Massnahmen zu ergreifen mit dem erklärten Ziel, Bedrohungen der inneren Sicherheit frühzeitig abzuwenden. Es wurde durch die Annahme des PMT geändert und enthält insbesondere die vagen Begriffe „potenzielle Terroristen“ und „terroristische Aktivitäten“, die die Menschenrechte und Grundrechte der von den Massnahmen betroffenen Personen gefährden. Der strafrechtliche Charakter einiger dieser Verwaltungsmassnahmen, insbesondere wenn sie kumuliert werden, kann die gleiche Wirkung haben wie strafrechtliche Sanktionen. Mit Ausnahme des Hausarrests können Massnahmen von Fedpol ohne vorherige richterliche Genehmigung angeordnet werden. Die erweiterten Befugnisse des Fedpol widersprechen den internationalen Verpflichtungen der Schweiz, insbesondere der Verpflichtung, die notwendigen Massnahmen zu ergreifen, um Menschenrechtsverletzungen durch öffentliche Behörden zu verhindern.

Kantonale Rechtsvorschriften

Da die Kantone für Sicherheitsfragen zuständig sind (Art. 3 und 57 BV) und die Tätigkeit der kantonalen und kommunalen Polizei regeln, werden die kantonalen Polizeigesetze und, je nach Kanton, die kommunalen Polizeiverordnungen von den Kantonen bzw. Gemeinden festgelegt.

Akteure

Fedpol

Das Bundesamt für Polizei (FEDPOL) ist das Organ, das auf Bundesebene polizeiliche Aufgaben, Aufgaben der Kriminalpolizei, der Sicherheitspolizei, der Verwaltungspolizei und der polizeilichen Unterstützung wahrnimmt. Im Bereich der Kriminalpolizei ist der Bund für eine erschöpfende Liste von Straftaten wie organisierte Kriminalität, Terrorismusfinanzierung und komplexe Fälle der Wirtschaftskriminalität zuständig. Was das PMT betrifft, so kann das Bundesamt für Polizei allein entscheiden, welche polizeilichen Massnahmen in einer konkreten Situation verhältnismässig sind.

Kantone

Die Polizeikompetenzen stehen vorrangig den Kantonen zu (Art. 3 und 57 BV). Die meisten Kantone regeln die Aufgaben und Kompetenzen sowie die Organisation ihrer Polizeikräfte in einem kantonalen Polizeigesetz. Diese kantonale Souveränität führt, je nach Kanton und je nach den Verantwortlichen der betreffenden Departements oder auch der Führung der Polizeikräften, zu unterschiedlichen Rechtsvorschriften und Praktiken, was zu einer mangelnden Kohärenz der Polizeipraktiken und Schwierigkeiten bei der einheitlichen Beeinflussung der kantonalen Politik und Praxis führt.

Die Konferenz der Kantonalen Justiz- und Polizeidirektorinnen und -direktoren (KKJPD) befasst sich mit der politischen Zusammenarbeit zwischen den Kantonen und dem Bund in den Bereichen Polizei, Strafvollzug und Migration. Die Staatsrät*innen für Sicherheit und Polizei aller Kantone gehören dazu und können auf nationaler Ebene Empfehlungen abgeben. Die Konferenz der Kantonalen Polizeikommandantinnen und -kommandanten der Schweiz (KKPKS) ist das „Exekutivorgan“ der KKJPD. Sie hat die Aufgabe, politische Ziele in die Praxis umzusetzen und setzt sich für die Zusammenarbeit zwischen Kantonen, Städten und Bund ein. In der Schweiz gibt es des Weiteren drei Konkordate über die Vollstreckung von Strafen und Massnahmen (in der Westschweiz, in der Ostschweiz und in der Zentralschweiz). Sie sollen eine Vollstreckung der Strafen und Massnahmen im Einklang mit der Verfassung und dem Gesetz gewährleisten. Eines der Hauptziele der Konkordate besteht in der Harmonisierung der Vollstreckung von Strafen und Massnahmen in ihrem Territorium. Diese Harmonisierung erfolgt durch einen intensiven Informations-, Wissens- und Erfahrungsaustausch innerhalb der Konkordatgremien sowie durch die Ausarbeitung gemeinsamer Richtlinien und Normen auf der Grundlage dieses Austauschs.

Hinsichtlich der Rechte und Pflichten der Polizei sind die verschiedenen kantonalen Polizeigesetze harmonisiert. Bei der Organisation ihrer Polizei, einschliesslich Ausbildung, Bewaffnung und Ausrüstung, verfügen die Kantone hingegen über einen grossen Handlungsspielraum. Die verschiedenen kantonalen Gesetze können kantonale Besonderheiten vorsehen, zum Beispiel bei Veranstaltungen: In Bern beispielsweise sieht das neue Gesetz die Möglichkeit vor, die Polizeikosten auf die Organisatoren abzuwälzen, und in Freiburg ist für den Umzug eine Gebühr zu entrichten.