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Rassismus - Dossier

Rassistisches Profiling: Internationales Recht

06.06.2016

Eine völkerrechtlich einheitliche Definition des Begriffs «Racial-» oder «Ethnic Profiling» existiert nicht und es gibt keine internationale Rechtsnorm, die rassistisches Profiling explizit verbietet.

Verstoss gegen das Diskriminierungsverbot

Verschiedene internationale Organe, Gerichte und Organisationen haben aber festgehalten, dass rassistisches Profiling gegen das internationale Diskriminierungsverbot verstösst und damit völkerrechtswidrig ist. Denn dieses verbietet qualifizierte Ungleichbehandlungen und es schützt Personen davor, dass sie aufgrund einer sensiblen Gruppenzugehörigkeit in vergleichbaren Situationen schlechter behandelt werden als die übrige Bevölkerung. Personenkontrollen, die auf Kriterien wie der Hautfarbe oder der ethnischen Zugehörigkeit eines Menschen basieren, stellen solche verbotenen Ungleichbehandlungen dar.

International ist das Diskriminierungsverbot namentlich verankert im Uno-Pakt II (Art. 2, 3, 24, 26) in der Europäischen Menschenrechtskonvention EMRK (Art. 14) und im Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von rassistischer Diskriminierung ICERD (Art. 5).

Der Europäische Kodex der Polizeiethik des Ministerkomitees des Europarates besagt: «Die Polizei führt ihre Aufgaben in gerechter Weise aus und lässt sich insbesondere von den Grundsätzen der Unparteilichkeit und Nichtdiskriminierung leiten.» Rassistisches Profiling ist ein eindeutiger Verstoss gegen diese polizeiethischen Verhaltensvorschriften.

Rechtsprechung

Der UNO-Menschenrechtsausschuss entschied 2009 in der Rechtssache Rosalind Williams gegen Spanien, dass polizeiliche Personenkontrollen auf der Grundlage der ethnischen Herkunft eine ungesetzliche Diskriminierung darstellen. In seinem Urteil anerkannte der Menschenrechtsausschuss, dass Personenkontrollen im Interesse der öffentlichen Sicherheit, der Verbrechensvorbeugung und der Verhinderung illegaler Einwanderung zulässig sind. Er betonte jedoch, dass die Behörden bei der Ausübung dieser Kontrollen die körperlichen oder ethnischen Merkmale der kontrollierten Personen nicht als Begründung eines Verdachts auf ihren Aufenthaltsstatus nehmen dürfen. Dieser Fall ist deshalb so bedeutsam, weil der Menschenrechtsausschuss sich zum ersten Mal zu rassistischem Profiling äusserte und damit internationale Rechtspraxis schuf.

Bereits 2005 hatte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte im Urteil Timishev gegen Russland festgehalten, dass «keinerlei Ungleichbehandlung, die ausschließlich oder in entscheidendem Maße auf der ethnischen Herkunft beruht, in einer modernen demokratischen Gesellschaft, die auf den Prinzipien des Pluralismus und der Achtung der verschiedenen Kulturen aufbaut, objektiv gerechtfertigt werden kann.» Anders gesagt machte der Europäische Gerichtshof deutlich, dass rassistisches Profiling grundsätzlich verboten ist und dass eine Rechtfertigung dafür ausgeschlossen ist. Dem Urteil lag der Sachverhalt zugrunde, dass einem russischen Staatsangehörigen tschetschenischer Herkunft die Einreise in eine bestimmte Region verweigert wurde. Dass die Behörden systematisches rassistisches Profiling angewendeten, hatte die Open Society Foundation mit wissenschaftlichen Tests am Grenzübergang nachgewiesen.

Weitere Stellungnahmen

Ebenfalls für unzulässig erklärt wurde rassistisches Profiling vom UNO-Ausschuss gegen Rassismus in der allgemeinen Empfehlung Nr. 31. Auch die Europäische Kommission gegen Rassismus und Intoleranz (ECRI), die Agentur der Europäischen Union für Grundrechte (FRA), das EU Netzwerk unabhängiger Experten im Bereich der Grundrechte (ENAR) oder etwa die britische oder US-Amerikanische Regierung, das House of Lords (Vorgänger des «Supreme Court of the United Kingdom») oder kanadische Gerichte halten rassistisches Profiling für rechtswidrig.

Personenkontrollen aufgrund des Schengener Abkommens

Artikel 6 des Schengener Grenzkodex stellt für die Mitgliedsstaaten der EU und die Schweiz klar, dass sie bei der Durchführung von Grenzkontrollen menschenrechtliche Bindungen wie das Verbot rassistischer Diskriminierung zu beachten haben. Art. 20 und 21 beinhalten die Abschaffung der Grenzkontrollen an den Binnengrenzen. Im Melki-Urteil hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) geurteilt, dass Staaten an Binnengrenzen keine Überwachung vornehmen dürfen, die die gleiche Wirkung wie Grenzübertrittskontrollen hat. Der Gerichtshof hielt fest, dass Art. 67 des Vertrages über die Arbeitsweise der europäischen Union (AEUV) sowie Art. 20 und 21 des Schengener Grenzkodex einer nationalen Regelung entgegenstehen, die den Polizebehörden eines Mitgliedsstaates die Befugnis einräumt, in einem bestimmten Gebiet entlang der (Binnen)Landesgrenze die Identität jeder Person unabhängig von ihrem Verhalten und vom Vorliegen besonderer Umstände, aus denen sich die Gefahr einer Beeinträchtigung der öffentlichen Ordnung ergibt, zu kontrollieren (vgl. Melki Urteil, RN 74 f.). Nationale Regelungen, welche die Polizei – ausdrücklich, faktisch oder auch «versteckt» – zum Zweck der Migrationskontrolle zu Personenkontrollen ermächtigen, müssen demnach rechtstaatliche Anforderungen der Normenklarheit und Bestimmtheit erfüllen. Das Deutsche Institut für Menschenrechte kommt in seiner Untersuchung zum Schluss, dass § 22 des Bundespolizeigesetzes (BPolG) diese Bedingungen nicht erfüllt. Die Bestimmung ermächtigt explizit zu verdachtslosen Personenkontrolle in Zügen und auf dem Gebiet der Bahnanlagen der Eisenbahnen des Bundes «zur Verhinderung oder Unterbindung unerlaubter Einreise».

Auf die Schweiz bezogen wäre zu prüfen, ob die einschlägige Norm für polizeiliche Personenkontrollen Art. 215 StPO, wie auch Art. 100 des Zollgesetzes genügend bestimmt sind oder ob sie in der Praxis nicht auch zur verdachtsunabhängigen Migrationskontrolle an den Binnengrenzen verwendet werden (vgl. unseren Artikel «Rassistisches Profiling: Rechtliche Ausgangslage in der Schweiz»).

Beweislastumkehr

Mit einer beachtlichen Grundsatzentscheidung hat das Oberwaltungsgericht Rheinland-Pfalz am 21.04.2016 jüngst die Beweiserleichterung mit anschliessender -lastumkehr auf einen Fall von rassistischem Profiling angewendet. Das Gericht hielt fest, dass der Senat nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme «nicht die Überzeugung hatte gewinnen können, dass die Hautfarbe der Kläger für ihre Kontrolle nicht zumindest ein mitentscheidendes Kriterium gewesen sei». Dieses Urteil ist gemäss dem Göttinger Rechtsanwalt Sven Adam, der die Kläger juristisch vertritt, ein Meilenstein im Kampf gegen das rassistische Profiling: «Von nun an wird die Bundespolizei nachweisen müssen, gerade nicht diskriminierend kontrolliert zu haben, wenn der äußere Anschein eine Kontrolle aufgrund der Hautfarbe nahelegt.»

Zudem bestätigt das Urteil, dass die Kontrolle anhand der Hautfarbe auch dann als rechtswidrige Diskriminierung angesehen werden muss, wenn die Hautfarbe nur zum Teil Grund der Maßnahme war.

Zur Frage der Beweislastumkehr in der Schweiz vgl. unseren Artikel: «Rassistisches Profiling: Empfehlungen und Forderungen».

Ist die Hautfarbe als eines von mehreren Kriterien zulässig?

Gewisse Autoren aus dem Umfeld der Polizei anerkennen den diskriminierenden Charakter des ethnischen Profiling nur dann, wenn die Personenkontrolle ausschliesslich auf der Hautfarbe basiert, nicht aber, wenn die zugeschriebene Herkunft als eines von zwei oder mehreren Kriterien für die Anhaltung verwendet wird. Blickt also ein dunkelhäutiger Bahnreisender verlegen zur Seite, käme ein Verdachtsmoment hinzu. Die Hautfarbe wäre nach dieser engen Auslegung nicht mehr das allein ausschlaggebende Kriterium und eine Kontrolle – z.B. wegen Verdachts auf illegalen Aufenthalt – gerechtfertigt.

Aus einer grund- und menschenrechtlichen Perspektive ist diese Auffassung nicht haltbar. Denn damit sind willkürlichen Kontrollen unter einem legitim erscheinenden Vorwand Tür und Tor geöffnet. Die Polizeibeamten könnten in den meisten Fällen glaubwürdig versichern, dass neben der Hautfarbe ein auffälliges Verhalten («Alleinreisen», «Reisen mit Gepäck», «Blick zur Seite») und damit eine sachliche Grundlage für eine Kontrolle bestanden habe. Es würden weiterhin nur Personen kontrolliert, welche die Voraussetzung eines als ethnisch-fremd wahrgenommen Erscheinungsbilds erfüllen. Personen die der «weissen Norm» entsprechen, würden hingegen nicht kontrolliert- unabhängig davon, ob sie mit oder ohne Gepäck, ob mit Krawatte oder weiten Hosen unterwegs sind.

Nach einer weiter gefassten Definition muss in der Regel auch dann von diskriminierendem ethnischem Profiling ausgegangen werden, wenn die zugeschriebene Herkunft einen von mehreren Faktoren darstellt, die einen Polizeibeamten zum Handeln veranlassen. Die entscheidende Frage bei dieser Leseart lautet: «Würde der Polizeibeamte oder die Polizeibeamtin dieselbe Kontrolle auch bei einer als Weiss wahrgenommenen Person durchführen?». Falls nicht, ist eine Kontrolle als rassistisches Profiling einzustufen.

Eine Ausnahme dieser Regel sind spezifische Situationen, in denen das ethnische Kriterium als Teil eines sachlich begründeten Settings vorkommt (vgl. dazu die Auseinandersetzung mit dem Drogenhändler-Argument in unserem Artikel: «Rassistisches Profiling gegenüber mutmasslichen Drogendealern»).

Die obige Regel wird durch das Urteil des Menschenrechtsausschusse in der Sache Rosalind Williams Lecraft gegen Spanien von 2009 (vgl. oben) gestützt. Der Menschenrechtsausschuss hielt fest, dass «die physischen oder ethnischen Merkmale der für eine Kontrolle ausgesuchten Person nicht als Hinweis auf ihre mögliche illegale Situation in dem betreffenden Land angesehen werden dürfen».