humanrights.ch Logo Icon

Die Debatte um die Roma-Titelseite der Weltwoche

08.11.2012

Das Titelbild der Schweizer Wochenzeitschrift Weltwoche vom 5. April 2012 zeigt ein dunkelhäutiges Kind, das mit ernster Miene den Lauf einer Pistole direkt in die Kamera hält. Darunter steht der Titel «Die Roma kommen: Raubzüge in die Schweiz. Familienbetriebe des Verbrechens». Dieses Titelblatt blieb nicht ohne Wirkung. Es führte zu einer regen Debatte im Internet und andern Medien.

Nachdem mehrere Anzeigen von Privatpersonen, wie auch von Organisationen wegen Verdachts auf rassistische Diskriminierung eingereicht worden waren, eröffnete die Zürcher Staatsanwaltschaft im Juni 2012 ein Strafverfahren gegen die «Weltwoche». Wochen später kam es zur Einstellung des Verfahrens. Die Zürcher Staatsanwaltschaft befand, die oben beschriebene Titelseite setze die Roma als Volk nicht herab. Auch die Wiener Staatsanwaltschaft stellte im Juli eine strafrechtliche Ermittlung gegen die «Weltwoche» ein. Der Presserat hingegen hiess zwei Beschwerden gegen die Zeitschrift gut und verurteilte in einer Stellungsnahme vom 13. September 2012 die Kombination von Bild und Text als diskriminierend. Eine Untersuchung durch die Eidgenössische Kommission gegen Rassismus wurde zwar angekündigt, bis jetzt aber nicht veröffentlicht.

Die Roma sind in vielen europäischen Staaten diskriminiert und Opfer von Gewalt durch Staat und Private. Seit einiger Zeit sind Roma aus Osteuropa auch vermehrt in der Schweiz anzutreffen. Zudem sind jüngst einzelne spektakuläre Fälle von organisiertem Verbrechen etwa durch Roma-Gruppen aus Ungarn oder Rumänien publik geworden. Die Berichterstattung über die Hintergründe von Straftaten ist wohl im öffentlichen Interesse, kann aber auch althergebrachte Vorurteile nähren und zu Gewalt, Ausgrenzung und Stigmatisierung führen. Deshalb gilt es aus menschenrechtlicher Perspektive zwischen der Meinungsäusserungs- und Informationsfreiheit (Art. 16 Abs 3 BV) einerseits und dem Diskriminierungsverbot (Art. 8 Abs. 2 BV) anderseits eine Balance zu finden.

Das Foto des Roma-Knaben auf der Titelseite der fraglichen Weltwoche wurde 2008 auf einer Mülldeponie am Rande der kosovarischen Stadt Gjakova aufgenommen, wo Roma-Kinder mit ihren Familien leben und die giftige Abfallhalde als Spielplatz nutzen. Die Agentur, welche das Bild vertreibt, hat erklärt, das Foto aus Kosovo sei missbraucht und dessen Aussage ins Gegenteil verkehrt worden.

Generalverdacht und «Aufruf zur Volksverhetzung» ...

Im April 2012 beschwerten sich ein Berner Student und 41 MitunterzeichnerInnen, sowie der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma beim Schweizer Presserat über das Titelblatt der «Weltwoche», das gegen Ziffer 8 der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» verstosse.

Gemäss dem Berner Studenten ist alleine schon das Bild geeignet, eine bestimmte ethnische Volksgruppe zu diffamieren. Es unterstelle, dass unter den Angehörigen bestimmter ethnischer Gruppen bereits die Kinder Waffen besässen.

Der Zentralrat hielt fest, mit ihrer Aufmachung und Darstellung kriminalisiere die «Weltwoche» in volksverhetzender Weise die Volksgruppe der Sinti und Roma. Durch die hervorgehobene ethnische Kennzeichnung würden rassistische Stereotypen gegenüber der Minderheit befördert. Und im Stile der nationalsozialistischen Zuschreibungen von der «abstammungsbedingten Kriminalität» («Zigeunerclans») würden Sinti und Roma unter Generalverdacht der organisierten Kriminalität gestellt.

... oder Aufklärungsarbeit eines Journalisten?

Er könne die Empörung über das Bild nicht nachvollziehen, zitierten die Online-Medien Philipp Gut, stellvertretender Chefredaktor und Mitautor des Artikels in der «Weltwoche» kurz nach der Veröffentlichung. Die Aufnahme symbolisiere «den Umstand, dass Roma-Banden ihre Kinder für kriminelle Zwecke missbrauchen». Das sei das eigentlich Empörende. Zum Beitrag schrieb Gut, dieser brächte ein «gravierendes Problem ernsthaft und differenziert zur Sprache». Die Recherchen würden auf «Zahlen und Fakten der Behörden sowie von Roma-Organisationen selber beruhen».

Vor dem Presserat wies die anwaltlich vertretene «Weltwoche» denn auch beide Beschwerden als unbegründet zurück. Sie stellte sich auf den Standpunkt, dass mit der Publikation des Fotos in Verbindung mit dem Titel keineswegs suggeriert werde, dass alle Kinder der Roma Waffen trügen oder dass das abgebildete Kind aus einer kriminellen Familie stamme. Vielmehr werde mit diesem Bild die «Kernbotschaft präzise und eindringlich transportiert», nämlich, dass Minderjährige von Erwachsenen für illegale Geschäfte missbraucht und dafür sogar an Banden verkauft oder ausgeliehen würden. Der Diskriminierungsvorwurf sei deshalb haltlos und unbegründet. Bei der Berichterstattung gehe es nicht um Diffamierung oder Diskriminierung einer bestimmten Volksgruppe, sondern um die Aufdeckung von Missständen, die «im Rahmen einer bestimmten Minderheit öfter vorkommen als in anderen».

Stellungnahme des Presserats

In seiner Stellungnahme vom 13. September 2012 gab der Presserat den Beschwerdeführern recht. Das Bild in Kombination mit der Schlagzeile suggeriere fälschlicherweise, der abgebildete Knabe sei Teil der Roma-Kriminalität. Zudem trage die «Weltwoche» durch die pauschalisierende Schlagzeile «Die Roma kommen», in diskriminierender Weise dazu bei, Ängste zu schüren und stereotype Vorurteile gegenüber einer ethnischen Gruppe zu verstärken. Zudem hätte die Zeitschrift das Bild als Archivbild kennzeichnen  und darauf hinweisen müssen, dass sie es als Symbolbild verwendet.

Kommentar humanrights.ch

Die Weltwoche wollte mit ihrem Titelbild Empörung auslösen, denn sie hätte zur Illustration der Geschichte über Roma sicher ein Bild gefunden, das weniger mit den Emotionen der Betrachtenden spielt. Empörung führt zu Aufmerksamkeit und diese haben die Blattmacher erreicht - wie vermutlich auch die von ihnen angestrebten höheren Verkaufszahlen.

Diese Form der Generierung von Aufmerksamkeit ist Geschmacksache und erlaubt, solange dadurch nicht Persönlichkeitsrechte oder anderweitige Rechtsgüter verletzt werden. Fotos und Texte eines Medienerzeugnisses dürfen namentlich nicht zu Gewalt, Hass und Diskriminierung aufrufen oder Menschen wegen rassistischen Zuschreibungen, ihrer Ethnie oder Religion herabsetzen (siehe Art. 261 Abs. 4 StGB). Meinungsäusserungen dürfen gemäss der Praxis des Bundesgerichts und internationaler Menschenrechtsgremien zwar irritieren, stören und gar verletzen. Rassistische Hetze jedoch muss strafrechtlich sanktioniert werden (siehe auch Art. 4 UNO-Abkommen zur Beseitigung jeder Form von rassistischer Diskriminierung).

Titelblatt und Artikel der Weltwoche sind Teil einer Debatte über kriminelle Taten von Roma-Angehörigen, die europaweit seit geraumer Zeit läuft. Oft geht dabei vergessen, dass Roma überall in Osteuropa massiv diskriminiert, ausgegrenzt und jeglicher Zukunftsperspektive beraubt sind. Die Vorurteile gegenüber dieser Volksgruppe gehören auch in Westeuropa (also auch in der Schweiz) nicht der Vergangenheit an. Die Blattmacher der «Weltwoche» haben sich diese gesellschaftlichen Umstände zu Nutze gemacht und bedienen gezielt die Angst vor Roma aus Osteuropa.

Dieses Vorgehen gegen Minderheiten gehört mittlerweile leider zum Standardrepertoire der «Weltwoche». Die Blattmacher nehmen jede Gelegenheit wahr, um Ausländer zu kriminalisieren und Ausländerhatz zu betreiben. Die Muster wiederholen sich, seien die Zielgruppe der Berichterstattung nun die Roma, die Muslime, die Serben oder Kosovoalbaner.

Es ist in Erinnerung zu rufen, dass der Europarat und verschiedene internationale NGOs die Situation der Roma in Europa seit Jahren mit Besorgnis verfolgt. Die Europäische Kommission gegen Rassismus und Intoleranz (ECRI) hat im Sommer 2011 Empfehlungen zuhanden der Mitgliedsstaaten veröffentlicht. Darin werden die Staaten u.a. aufgefordert, dafür zu sorgen, dass die Medien ihre Informationen nicht in einer Art weitergeben, die Stereotype und Vorurteile gegenüber Roma verfestigt oder gar zu Gewalt und Diskriminierung gegenüber dieser europäischen Volksgruppe aufruft. Die ECRI fordert darin die Staaten weiter auf, in entsprechenden Fällen die Gesetze, welche dafür geschaffen wurden, auch wirklich anzuwenden.

Dokumentation