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Neue EU-Richtlinie: Konzerne sollen Menschenrechte und Umwelt respektieren

28.06.2023

Das EU-Parlament hat Ende Mai 2023 einen Vorschlag für eine neue Richtlinie verabschiedet: Unternehmen sollen verpflichtet werden, in den globalen Wertschöpfungsketten die Menschenrechte einzuhalten und den Umweltschutz zu berücksichtigen. Diese Richtlinie soll für alle EU-Mitgliedstaaten gelten. Der Vorschlag will zwar erreichen, dass Menschenrechtsverletzungen und Umweltschäden minimiert werden; er weist jedoch noch zahlreiche Mängel auf.

Die Europäische Kommission legte im Februar 2022 einen Vorschlag vor, das Europäische Parlament hat den Richtlinien-Entwurf nun angenommen. In der Folge wird er vom Rat der Europäischen Union geprüft; dieser ist für Änderungen und die Annahme der endgültigen Fassung zuständig. Der EU-Justizkommissar geht davon aus, dass die informellen Verhandlungen zwischen dem Europäischen Parlament, dem EU-Rat und der Europäischen Kommission noch dieses Jahr beginnen. Die Richtlinie sollte vor Ende der Legislaturperiode, sprich Anfang 2024, verabschiedet werden; die Verhandlungen könnten sich jedoch auch länger hinziehen.

Eine notwendige Vorlage ...

Es ist die erste Initiative der Europäischen Union, die darauf abzielt, Unternehmen eine bereichs- und sektorübergreifende Sorgfaltspflicht in Bezug auf Menschenrechte und Umwelt aufzuerlegen. Der Vorschlag beinhaltet sowohl eine erweiterte Sorgfaltspflicht als auch einen Durchsetzungsmechanismus.

Direkt betroffene Unternehmen

Die neue Richtlinie soll für alle multinationalen Unternehmen mit mehr als 500 Mitarbeitenden und einem internationalen Umsatz von mehr als 150 Millionen Euro gelten; ebenso für Unternehmen mit mehr als 250 Mitarbeitenden, die in Risikosektoren tätig sind. Zu diesen Sektoren zählen alle Bereiche, für die die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) spezielle Richtlinien zur Sorgfaltspflicht vorsieht, wie z. B. der Rohstoff- und Finanzsektor, aber auch die Landwirtschaft und die Textilindustrie. Der Entwurf umfasst auch multinationale Unternehmen mit Sitz außerhalb der EU, die entweder einen Umsatz von 150 Millionen Euro in der EU erwirtschaften oder einen Umsatz von 40 Millionen Euro in der EU plus 50 % ihres internationalen Umsatzes in einem risikobehafteten Sektor erzielen.

Ein System der zivilrechtlichen Haftung und Sanktionen

Die Richtlinie sieht einen Mechanismus der zivilrechtlichen Haftung für multinationale Unternehmen für Schäden vor, die von ihren Tochtergesellschaften und Zulieferern verursacht werden. Opfer von z. B. Zwangsarbeit oder Bodenverschmutzung könnten dann in den EU-Mitgliedstaaten klagen und vor deren Gerichte Schadenersatz einfordern.

Der Text sieht ausserdem die Schaffung einer Aufsichtsbehörde vor, die Geldstrafen verhängen kann. Die EU-Staaten müssten also überprüfen, ob die betroffenen Unternehmen Präventionsmechanismen eingerichtet haben, damit sie nicht mit Tochtergesellschaften oder Zulieferern zusammenarbeiten, die menschenrechtsverletzende Praktiken anwenden. Diese Unternehmen müssten außerdem eine Strategie entwickeln, die sicherstellt, dass ihre Geschäftspolitik den Zielen des Pariser Abkommens entspricht.

Strengere Vorschriften als im Schweizer Recht

Die vorliegende EU-Richtlinie geht weiter als der Gegenvorschlag zur Volksinitiative der «Koalition für Konzernverantwortung», die in der Schweiz abgelehnt wurde. Diese Initiative wollte nämlich, dass multinationale Unternehmen auch für ihre Tochtergesellschaften verantwortlich sind, während der Gegenvorschlag des Bundes, der am 1. Januar 2022 in der Schweiz in Kraft getreten ist, gerade mal in zwei Bereichen (Kinderarbeit, Konfliktmineralien) eine Sorgfaltspflicht festschreibt. Der EU-Vorschlag hingegen zielt auch auf die Subunternehmer, unter bestimmten Umständen sogar auf ihre weiteren Subunternehmer und erfasst noch zusätzliche Risikobereiche. Die Richtlinie sieht außerdem die Einführung einer Aufsichtsbehörde vor, die Geldstrafen verhängen kann, während die schweizerische Lösung bislang keinerlei Kontroll- oder Sanktionsmechanismen vorsieht.

... immer noch schwerwiegende Mängel

Obwohl die vorliegende EU-Richtlinie einen Rahmen für die Umsetzung der Unternehmensverantwortung und für Sanktionen vorgibt, enthält sie noch zahlreiche Lücken; diese sind vor allem auf das intensive Lobbying der multinationalen Konzerne zurückzuführen. In einem im Mai 2023 veröffentlichten Bericht formuliert Amnesty International schwerwiegende Mängel. Die Nationale Beratende Kommission für Menschenrechte (CNCDH) empfiehlt denn auch, die Richtlinie müsse unbedingt an die relevanten internationalen Standards angepasst werden, nämlich an die UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte, die OECD-Grundsätze oder die Dreigliedrige Erklärung der IAO.

Zu wenig Unternehmen betroffen

Gemäß der Leitprinzipien der Vereinten Nationen zum Beispiel sollen alle Unternehmen, unabhängig ihrer Größe, ihrem Sektor, ihren Eigentumsverhältnissen und ihrer Struktur, die Sorgfaltspflicht einhalten. Im der vorliegenden Richtlinienentwurf sind nur die Sektoren mit starken Auswirkungen - Textilien, Landwirtschaft und Abbau mineralischer Ressourcen - Gegenstand einer Sorgfaltspflicht. Und: Die Pflichten sollen nur für große europäische Unternehmen gelten. Kleine, mittlere und Kleinstunternehmen sind bis dato weitgehend vom Geltungsbereich ausgeschlossen, obwohl sie etwa 99 % der in der EU ansässigen Unternehmen ausmachen. Laut einer von der Koalition für Konzernverantwortung in Auftrag gegebenen Umfrage würde der derzeitige EU-Vorschlag nur etwa 200 bis 250 in der Schweiz ansässige Unternehmen betreffen.

Finanzdienstleistungen noch immer ausgeschlossen

Auch soll die Sorgfaltspflicht für Finanzinstitute bislang nur beim Abschluss eines Vertrags gelten und nicht wie bei anderen betroffenen Unternehmen über die gesamte Dauer der Geschäftsbeziehung. Für Banken soll sie nur verbindlich sein, wenn sie an die Börse gehen oder neue Aktien oder Anleihen ausgeben. Die Abgeordneten des Europäischen Parlaments tendierten dazu, den Finanzsektor in den Geltungsbereich der Richtlinie aufzunehmen. Dieser Einbezug wird von vielen Organisationen der Zivilgesellschaft gefordert, da der Finanzsektor einen zentralen Einfluss auf das Verhalten von Unternehmen hat.

Eine begrenzte Sorgfaltspflicht

Die im Richtlinienentwurf vorgesehene Sorgfaltspflicht gleicht eher einer Mittel- als einer Ergebnispflicht. Die Bestimmungen zur zivilrechtlichen Haftung beschränken sich auf die erste Ebene der Lieferanten. Eine Wertschöpfungskette, also die Gesamtheit der zur Schaffung eines Produkts erforderlichen Aktivitäten, umfasst die Gewinnung von Rohstoffen bis hin zur Nutzung eines Produkts oder einer Dienstleistung; doch letztere ist nicht in der Richtlinie enthalten.

Auch wird die zivilrechtliche Haftung von Unternehmen durch zahlreiche Ausnahmeregelungen massiv eingeschränkt; diese verhindern, dass Schäden vermieden werden, die über die erste Stufe der Wertschöpfungskette hinausgehen. So hätten Unternehmen die Möglichkeit, bestimmte Klauseln in ihre Verträge mit den Zulieferern aufzunehmen und den Überprüfungsprozess auf Dritte abzuwälzen; sie könnten sich auf Audits oder branchenspezifische Initiativen berufen, die jedoch unwirksam blieben. Auf diese Weise könnten sie rechtliche Schritte ausweichen.

Ausserdem fehlt eine verbriefte Mit-Verantwortung für die globale Erwärmung in der Sorgfaltspflicht. Die Richtlinie will zwar, dass große Unternehmen Maßnahmen zur Reduktion ihrer Auswirkungen auf den Klimawandel einleiten, formuliert jedoch keine Verpflichtung, diese auch umzusetzen.

Erschwerter Zugang zur Justiz für Opfer

Die Schaffung eines Rechtsanspruchs für Opfer von Verstössen durch Unternehmen ist zwar ein Fortschritt, doch der Zugang zur Justiz bleibt für die Opfer schwierig. Hohe Kosten, kurze Fristen und die Beweislast sind schwerwiegende und systembedingte Hindernisse, die es Opfern schwer machen oder sie sogar davon abhalten können, rechtliche Schritte gegen ein Unternehmen einzuleiten. So werden die Opfer in ihrem Vorhaben sich an ein Unternehmen zu wenden behindert; einerseits wegen fehlender Transparenz, andererseits weil es unmöglich sein kann, eine Lieferkette zurück zu verfolgen. Zudem beinhaltet der Richtlinienentwurf weder eine strafrechtliche Haftung noch eine Umkehr der Beweislast.

So fordern zahlreiche Organisationen der Zivilgesellschaft, die EU-Agentur für Grundrechte, das Europäische Parlament oder unzählige Kommissions-Beiträge in der öffentlichen Konsultation die Europäische Kommission auf, ein klares, präzises System der zivilrechtlichen Haftung zu schaffen; es soll der Realität entsprechen und die komplexen Wertschöpfungsketten multinationaler Unternehmen abbilden.

Nützliche Quellen: