Urteil vom 13. Dezember 2007 (Beschwerde Nr. 35865/04)
Art. 6 EMRK, faires Gerichtsverfahren; Art. 10 EMRK, Meinungsfreiheit; Disziplinarrecht der Anwälte
Der Beschwerdeführer hatte sich als Vertreter geschädigter Kunden mehrmals im Rahmen eines Strafverfahrens wegen Veruntreuung, das sich u.a. gegen Organe einer Bank richtete, vor den Medien geäussert. Die Disziplinarkommission des Anwaltsverbandes des Kantons Tessin verurteilte ihn deshalb zu einer Busse von 1'500 Franken. In Strassburg rügte er eine Verletzung von Art. 6 und Art. 10 EMRK. Art. 6 EMRK: Der Gerichtshof bestätigt seine Rechtsprechung, wonach Art. 6 EMRK auf disziplinarrechtliche Streitigkeiten grundsätzlich nicht anwendbar ist. Anderes gilt, wenn, wie vorliegend, der Katalog möglicher Disziplinarsanktionen auch ein vorübergehendes oder definitives Verbot der Berufsausübung enthält (dann liegt eine Streitigkeit über einen zivilrechtlichen Anspruch vor). Bestätigung auch der Rechtsprechung, wonach die Beweiswürdigung in erster Linie Sache der nationalen Behörden ist (keine Verletzung von Art. 6).
Art. 10 EMRK: Bei der Prüfung, ob der in der Disziplinarbusse liegende Eingriff in die Meinungsfreiheit in einer demokratischen Gesellschaft notwendig gewesen sei, stellt der Gerichtshof wesentlich darauf ab, dass sich der Beschwerdeführer in einem ohnehin mediatisierten Kontext geäussert habe, dass er für die Artikel in der Presse nicht verantwortlich gemacht werden könne und dass seine Äusserungen weder übertrieben noch kränkend gewesen seien. Verletzung von Artikel 10 EMRK bejaht.