13.02.2024
Anträge Nr. 77686/16 und 76791/16
Verstoss gegen Art. 5 Abs. 1 lit. b, c EMRK (Recht auf Freiheit und Sicherheit)
Bei einem Demonstrationsumzug am 1. Mai 2011 in Zürich wurden die beiden Beschwerdeführenden verhaftet, nachdem sie von einem Polizeikordon eingekesselt wurden, der errichtet wurde, um die 500 Personen, die sich nach Ende der bewilligten Demonstration noch vor Ort befanden, anzuhalten und auf dem Polizeiposten einer Identitätskontrolle zu unterziehen.
In den Entscheiden vom 22. Januar 2014 kam das Bundesgericht zum Schluss, dass die Anwendung einer Einkreisungstaktik – auch «kettling» oder «Polizeikessel» genannt – keinen Freiheitsentzug darstelle und die Maßnahmen zur Entfernung der beiden Beschwerdeführenden aus der Menschenmenge nicht gegen Art. 10 (Meinungsfreiheit) oder Art. 11 (Versammlungsfreiheit) der EMRK verstosse. Zudem sei die Inhaftierung der beiden nach den Zürcher Gesetzen zulässig gewesen.
Im Urteil vom 19. Dezember 2023 stellt der EGMR fest, dass die Schweiz Art. 5 Abs. 1 lit. b, c EMRK verletzt habe, da die Notwendigkeit der Festnahme der Beschwerdeführenden zur Identitätskontrolle nicht habe nachgewiesen werden können. Der EGMR hält fest, dass die von der Schweiz angeführten Gründe – frühere Gewalttätigkeiten, Aufrufe von Linksextremen zur Demonstration und Störungen während des offiziellen Teils der Demonstration – nicht die Annahme zulassen, dass die Beschwerdeführenden die Absicht hatten, an der illegalen Demonstration teilzunehmen oder Straftaten zu begehen. Somit seien die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und der Notwendigkeit, die die Inhaftierung rechtfertigen würden, nicht eingehalten worden.
- Arnold und Marthaler gegen die Schweiz
Urteil des EGMRs vom 19. Dezember 2023