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Bericht des Menschenrechtskommissars des Europarats zur Schweiz

17.10.2017

Am 17. Okt. 2017 ist der Bericht des Menschenrechtskommissars des Europarats, Nils Muižnieks, zur Schweiz erschienen. Es handelt sich um eine gut recherchierte, breite Auslegungsordnung von aktuellen Menschenrechtsproblemen in der Schweiz. Zum einen sind es eine ganze Reihe von gewichtigen institutionellen Problemen, zum anderen konkrete Probleme im Asyl- und Ausländerbereich.

Besuch in der Schweiz

Nils Muižnieks  und sein Team hatten der Schweiz vom 22. - 24. Mai 2017 einen Besuch abgestattet. Am ersten Tag führte Muižnieks Gespräche mit Vertretern/-innen von Nichtregierungsorganisationen zu institutionellen Fragen, zur Asyl- und Ausländerpolitik sowie zum Diskriminierungsschutz. Am zweiten Tag stand der Besuch von verschiedenen Einrichtungen wie dem Bundesasylzentrum Glaubenberg oder dem Flughafengefängnis in Zürich-Kloten auf dem Programm. Am dritten Tag besprach sich der Menschenrechtskommissar mit Bundesrat Burkhalter, mit Chefbeamten verschiedener Bundesämter sowie Vertretern/-innen von ausserparlamentarischen Kommissionen.

Im Rückblick auf den Besuch der Schweiz hatte Nils Muižnieks in einer Medienmitteilung vom 30. Mai 2017 einige thematische Akzente gesetzt. Diese wurden im nun vorliegenden Bericht vertieft.  

Wie es das Prozedere des Europarats vorsieht, wurde der Bericht zuerst vertraulich dem Bundesrat übermittelt, der dazu schriftlich Stellung genommen hat. Es liegt in der Natur der Sache, dass die Stellungnahme des Bundesrats Didier Burkhalter einen höflich abwehrenden Charakter hat. Die Empfehlungen des Menschenrechtskommissars werden entweder mit zusätzlichen Informationen verwedelt oder schweigend übergangen. Am 17. Okt. 2017 wurden der Bericht und die Stellungnahme des Bundesrats gemeinsam veröffentlicht.

Bewegung im Stillstand

Die Empfehlungen des Menschenrechtskommissars sind sachlich fundiert; sie decken einige der wichtigsten Themen der innerschweizerischen Menschenrechtsdiskussionen der letzten Jahre ab. Es fällt auf, dass einzelne Themen schon beim Besuch des Vorgängers Thomas Hammarberg im Jahr 2012 kritisch behandelt wurden. Was etwa die Geltung der Sozialrechte oder die Verstärkung des Diskriminierungsschutzes oder die Schaffung kantonaler Ombudsstellen angeht, sind kaum Fortschritte zu verzeichnen.

In der Folge wird eine Auswahl der Empfehlungen aus dem neuen Bericht von Nils Muižnieks kurz dargestellt.

Für eine starke nationale Menschenrechtsinstitution (NMRI)

Der Menschenrechtskommissar nimmt dezidiert Stellung zum vorliegenden Vorentwurf zum «Bundesgesetz über die Unterstützung der nationalen Menschenrechtsinstitution (MRIG)». Der Gesetzesentwurf enthalte grosse Risiken im Hinblick auf die Wirksamkeit und Unabhängigkeit der künftigen NMRI (Ziff.17). Muižnieks fordert die Behörden auf, das Mandat der künftigen NMRI so weit als möglich zu fassen, so dass es nicht nur die Förderung, sondern auch den Schutz der Menschenrechte umfasst. Ausserdem seien eine eigene Rechtspersönlichkeit sowie ausreichende Ressourcen erforderlich, um die Mission der NMRI zu erfüllen (Ziff. 19).

Der Menschenrechtskommissar erinnert daran, dass sowohl das Schweiz. Kompetenzzentrum für Menschenrechte (SKMR) wie auch die NGO-Plattform Menschenrechte taugliche Leitlinien und ein Modell vorgelegt haben, die für die definitive Form der NMRI zu berücksichtigen seien (Ziff. 20).

In Ergänzung zur NMRI brauche es auf kantonaler und kommunaler Ebene dort zusätzliche Ombudsstellen, wo es sie noch nicht gibt (Ziff. 21).

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Geltung der Sozialrechte

Der Menschenrechtskommissar zeigt die Blockadehaltung der Schweiz gegen verbindliche Sozialrechte gleich zweifach auf. Die andauernde Weigerung des Parlaments, die europäische Sozialcharta zu ratifizieren, ist ihm unverständlich. Auch die hartnäckige Haltung von Bundesrat und Gerichten, die Menschenrechte des Internationalen Pakts über kulturelle, soziale und wirtschaftliche Rechte seien zum grössten Teil programmatischer Natur und deshalb in der Regel als Individualrechte nicht einklagbar, wird von Nils Muižnieks nicht akzeptiert (Ziff.  26-28).

Der Menschenrechtskommissar appelliert an die Schweizer Behörden, ihre Position zu überdenken und insbesondere den Zugang zur Justiz im Falle einer Verletzung von sozialen Menschenrechten gemäss Pakt I zu garantieren (Ziff .29).

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Gesetzlicher Diskriminierungsschutz

Der Menschenrechtskommissar empfiehlt eine gesetzliche Verstärkung des Diskriminierungsschutzes durch ein allgemeines Diskriminierungsverbot im Zivilgesetzbuch, insbesondere aufgrund des Alters, der sexuellen Orientierung, der Geschlechtsidentität  und des ausländerrechtlichen Status, nebst weiterer Massnahmen wie der Umkehr der Beweislast etc. (Ziff. 38)

Ausserdem empfiehlt er, die strafrechtlich sanktionierten Diskriminierungsmotive in Art. 261bis StGB insbesondere um die Nationalität, die Hautfarbe, die Sprache, das Geschlecht, die sexuelle Orientierung und die Behinderung zu ergänzen (Ziff. 39).

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Nachrichtendienstgesetz

Längere Ausführungen widmet der Menschenrechtskommissar dem neuen Nachrichtendienstgesetz, das im Herbst 2016 in einer Referendumsabstimmung mit einer klaren Mehrheit vom Stimmvolk angenommen worden ist. Der Kommissar macht deutlich, dass dieses Gesetz seiner Meinung nach zu weit geht, zum Beispiel was die Möglichkeit der Massenüberwachung durch die Kabelaufklärung angeht. Er verweist dabei auf eigene Empfehlungen aus dem Jahre 2014 (vgl. Ziff. 41 – 55).

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Wirtschaft und Menschenrechte

Der Menschenrechtskommissar ermutigt die Schweizer Behörden, eine geeignete Kombination zwischen zwingenden und freiwilligen Massnahmen zu schaffen, welche den schweizerischen Unternehmen einen klaren rechtlichen Rahmen vorgibt mit dem Ziel, dass ihre wirtschaftlichen Aktivitäten den Menschenrechten weder im In- noch im Ausland schaden.

Die Schweiz müsse dafür sorgen, dass die Wirtschaftsunternehmen ihre menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten wahrnehmen, und zwar in der gesamten Zuliefererkette.  Auch müssten die ausländischen Opfer von wirtschaftlichen Aktivitäten schweizerischer Unternehmen einen Zugang zu schweizerischen Gerichten erhalten, um eine Wiedergutmachung einfordern zu können (Ziff. 64 – 65).

In diesem Sinne ermutigt der Menschenrechtskommissar die schweizerischen Behörden, die von der Konzernverantwortungsinitiative vorgesehenen Regelungen sorgfältig zu studieren (Ziff. 66).

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Volksinitiativen und Menschenrechte

Der Menschenrechtskommissar zeigt sich besorgt über die möglichen Auswirkungen der Selbstbestimmungs-Initiative der SVP. Er ermahnt die Schweizer Behörden, trotz des gescheiterten Anlaufs vom Jahr 2013 auf eine rechtstaatlich austarierte Lösung zur Vereinbarkeit von Volksinitiativen und den internationalen Menschenrechten hinzuarbeiten (Ziff. 67 – 77).

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Aufarbeitung vergangener Menschenrechtsverletzungen

Was den Umgang mit den ehemaligen administrativ Versorgten, den Verdingkindern und Kindern der Landstrasse angeht, erinnert der Menschenrechtskommissar die Schweizer Behörden daran, dass die Opfer dieser Menschenrechtsverletzungen das Recht auf Wahrheit, auf Unterstützung, auf Zugang zur Wiedergutmachung und auf die Eröffnung unabhängiger, vertiefter und rascher Untersuchungen und auf eine wirksame Beschwerden haben, um die Urheber zur Verantwortung zu ziehen (Ziff. 91).

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Rechte von Migranten/-innen und Asylsuchenden

Der ganze zweite Teil des Berichts widmet sich verschiedenen problematischen Aspekten des Umgangs mit Migranten/-innen und Asylsuchenden in der Schweiz. So zeigt sich der Menschenrechtskommissar beunruhigt, dass die meisten Syrien-Flüchtlinge nicht als Flüchtlinge anerkannt werden, sondern mit dem Status der vorläufigen Aufnahme nur einen vorübergehenden Schutz erhalten (Ziff. 98). Dieser Status der vorläufigen Aufnahme wird anschliessend kritisch durchleuchtet. Der Menschenrechtskommissar fordert, die F-Bewilligung abzuschaffen und durch eine neue, grundrechtlich angemessenere Regelung zu ersetzen (Ziff. 109).

Weiter werden die Lebensbedingungen der Asylsuchenden in den Bundeszentren und den kantonalen Durchgangszentren kritisch gewürdigt (Ziff. 110-124). Ausserdem kommen geschlechtsspezifische Problematiken im Asylbereich, die Inhaftierung von minderjährigen Asylsuchenden, der Umgang mit unbegleiteten minderjährigen Asylsuchenden ebenso zur Sprache (Ziff. 125 – 142) wie die problematische Praxis der Dublin Rückführungen (Ziff. 143 – 153) und der Administrativhaft (Ziff. 153 – 159). Schliesslich werden die Abweisungs-Praxis an der Tessiner Grenze (Ziff. 160 – 165), der restriktive Familiennachzug (Ziff. 166 – 169) und der Umgang mit den Sans Papiers und den abgewiesenen Asylsuchenden (Ziff. 170-175) thematisiert.

Fazit: Der Menschenrechtskommissar und sein Team haben die konkreten menschenrechtlichen Probleme im Asyl- und Ausländerbereich ebenso gewissenhaft analysiert und mit kritischen Forderungen unterlegt wie zuvor die institutionellen Menschenrechtsprobleme in der Schweiz.

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