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Korrektur-Initiative

Kriegsmaterialexporte in Bürgerkriegsländer: die Volksinitiative als letztes Mittel

06.06.2019

Nachdem der Bundesrat im Jahr 2018 versucht hatte, den Export von Schweizer Waffen in Länder im Bürgerkrieg wiederaufzunehmen, wurde von verschiedenen Seiten eine Beschränkung der Exekutiv-Macht gefordert. Trotzdem hat sich das Parlament in der Frühjahrsession 2019 gegen neue Richtlinien entscheiden, weshalb die Korrektur-Initiative das letzte verfügbare Mittel bleibt.

Im Herbst 2018 hatten sich die Behörden erneut dem Druck der Schweizer Rüstungslobby gebeugt und die Kriegsmaterialverordnung auf Kosten der Menschenrechte stark geschwächt. Als Reaktion darauf startete eine Koalition am 10. September 2018 erfolgreich einen Aufruf für eine Initiative gegen Waffenexporte in Bürgerkriegsländer. In Anbetracht des Erfolgs dieser Koalition hatte der Nationalrat dem Vorhaben des Bundesrates einen Riegel vorgeschoben: Am 26. September 2018 stellten die Parlamentarier/innen der grossen Kammer nämlich klar, dass sie das Vertrauen in die Exekutive in Bezug auf deren alleinige Entscheidungsmacht über die Definition von Bewilligungskriterien für den Export von Kriegsmaterial verloren haben. Diese Kriterien sollten gemäss Nationalrat neu im entsprechenden Bundesgesetz anstatt wie bisher in der Kriegsmaterialverordnung verankert werden. Somit könnten sich die zukünftigen Einzelfallentscheide des Bundesrates auf eine breitere demokratische Grundlage stützen. Der Ständerat weigerte sich jedoch am 6. Dezember 2018 und im März 2019, diesem Vorgehen zu folgen.

Vorgeschichte und wechselnde Kräfteverhältnisse

Das Kräftemessen zwischen Friedensbewegung und Rüstungslobby hat eine lange Vorgeschichte. Vor zehn Jahren, als noch das Damoklesschwert der von der «Gruppe für eine Schweiz ohne Armee» (GSoA) lancierten Initiative «für ein Verbot von Kriegsmaterial-Exporten» über der Schweizer Rüstungsindustrie schwebte, versprach der Bundesrat Besserung. 2008 nahm er mehrere langjährige Forderungen der Friedenslobby in die Kriegsmaterialverordnung (KMV) auf: Keine Kriegsmaterialexporte an Bestimmungsländer, welche entweder a) in einen internen oder internationalen bewaffneten Konflikt verwickelt sind, oder b) Menschenrechte systematisch und schwerwiegend verletzen, oder c) zu den am wenigsten entwickelten Ländern gehören, oder d) ein hohes Risiko aufweisen, dass die auszuführenden Waffen gegen die Zivilbevölkerung eingesetzt werden oder e) die Waffen an einen unerwünschten Endempfänger weitergegeben werden.

Gebrochenes Versprechen - Kehrtwende des Bundesrates

Nur fünf Jahre später – die GSoA-Initiative war inzwischen von der Stimmbevölkerung abgelehnt worden – vollzog der Bundesrat erneut eine Kehrtwende. Anfang September 2014 beschloss er eine Änderung der KMV, um den Kriegsmaterialexport zu erleichtern. Konkret ergänzte er die Passage, welche Waffenexporte in Länder untersagt, die Menschenrechte «systematisch und schwerwiegend» verletzen (Art. 5 Abs. 2 KMValt), um eine Ausnahmeregel. Seit dem 1. November 2014 muss die Menschenrechtssituation nur noch «berücksichtigt» werden. Es können Bewilligungen erteilt werden, wenn lediglich ein geringes Risiko besteht, dass das auszuführende Kriegsmaterial zur Begehung von schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen eingesetzt wird (Art. 5 Abs. 4 KMVneu). Es handelt sich um die Umsetzung einer im Nationalrat per Stichentscheid angenommenen Motion aus der Feder der ständerätlichen Sicherheitspolitischen Kommission (SiK-SR).

Zweite Aufweichung

In einem zweiten Schritt der Lockerung hob der Bundesrat dann im April 2016 ein einjähriges Exportmoratorium für den Nahen Osten (Jemen-Krieg) auf. Dabei nahm er eine Neuauslegung der KMV vor, wonach das Verbot, Waffen in Staaten zu liefern, die in einen bewaffneten Konflikt verwickelt sind, nur dann gelten soll, wenn «im Empfängerland selbst ein interner bewaffneter Konflikt herrscht». Waffenlieferungen etwa nach Saudi-Arabien wurden damit wieder möglich.

Die Klagerufe der Rüstungsindustrie: Wirtschaftsinteressen zuerst

Im September 2017 wandten sich diverse Vertreter/innen der Rüstungsindustrie, darunter Ruag, Mowag, Thales, Rheinmettal und B & T, in einem Brief an die Sicherheitspolitische Kommission des Ständerates (SiK-S). Sie beklagten darin rücklaufende Exportzahlen und führten diese auf die ihrer Meinung nach zu strengen Ausfuhrvorschriften im Vergleich zu konkurrierenden europäischen Staaten zurück.

In diesem Zusammenhang ist zu beachten, dass die Rüstungsindustrie bei ihren Lobbying-Unterfangen auf ein starkes Netzwerk mit prominenten Freunden zählen kann. Die Bundesräte Schneider-Amman und Parmelin sind ehemalige Mitglieder des Arbeitskreises Sicherheit und Wehrtechnik (asuw), genauso wie ca. 40 andere Parlamentarier/innen es heute noch sind. Bei asuw handelt es sich um einen der zentralen Absender des Schreibens an die SiK-S. Vier asuw-Mitglieder sitzen selbst in besagter SiK-S.

Am 15. Juni 2018 kam es schliesslich zum Richtungsentscheid im Bundesrat. Er folgte dem Antrag von Bundesrat Schneider-Ammann, folgende Änderungen vorzunehmen: Die Bewilligungskriterien der Kriegsmaterialverordnung sollen so angepasst werden, dass Kriegsmaterialexporte in Länder, in welchen ein interner bewaffneter Konflikt herrscht, unter gewissen Umständen zugelassen sind. Die Aufrechterhaltung der Industriebasis wurde als eigenständiges Kriterium ins Bewilligungsverfahren aufgenommen. Der Bundesrat beugte sich somit vollumfänglich den Forderungen der Rüstungsindustrie. Die Sicherheitspolitischen Kommissionen des National- und des Ständerates unterstützten ihn dabei.

Der Nationalrat greift ein...

Vor diesem Hintergrund ist die BDP-Motion «Verbreiterung der demokratischen Basis von Waffenexporten» vom Mai 2018 (18.3394) zu betrachten. Die vom Bundesrat zur Ablehnung beantragte Motion verlangt in klaren Worten, dass die Frage der Ausfuhr von Kriegsmaterial der alleinigen Entscheidungsmacht des Bundesrates entzogen und dem Parlament übertragen wird, um sie somit auf einer demokratischen Grundlage zu behandeln. Die Ausfuhrbewilligungskriterien würden demzufolge nicht mehr in der Kriegsmaterialverordnung, sondern im entsprechenden Bundesgesetz (KMG) verankert. Neu müssten allfällige Änderungen dieser Kriterien im Parlamentsplenum diskutiert werden und könnten einem Referendum unterzogen werden.

Der am 27. September 2018 mit knapper Mehrheit vom Nationalrat angenommene Antrag widerspiegelt den breiten Widerstand in der Zivilgesellschaft, der sich unter anderem in der Ankündigung einer Volksinitiative gegen Waffenexporte in Bürgerkriegsländer (Korrektur-Initiative) manifestierte.

...und der Ständerat knickt ein

Diese gemeinsamen Anstrengungen hatten Früchte getragen. Der Bundesrat hatte in seiner Medienmitteilung vom 31. Oktober 2018 angekündigt, auf die Anpassung der Kriegsmaterialverordnung zu verzichten. Die Landesregierung kann ihre Entscheidung jederzeit überdenken. Die Unterstützung des Ständerates für die BDP-Motion war daher notwendig, um die Frage der Bewilligungskritieren verbindlich zu regeln. 

Aber der Ständerat wollte dem Antrag nicht folgen und hat am 6. Dezember 2018 nachgegeben, indem er die Motion an seine zuständige Kommission zurückwies. Am 20. März 2019 versenkte er dann auch die überarbeitete Version der Motion mit 20 zu 17 Stimmen bei 6 Enthaltungen. Eine «verpasste Chance» für die BDP, aber vor allem ein Entscheid, der zeigt, dass die Kleine Kammer Lockerungen der Bestimmungen zu Kriegsmaterialexporten gegenüber eher zugeneigt ist. 

Weiterführung der «Korrektur-Initiative»

In diesem Kontext ist die «Korrektur-Initiative» das letzt mögliche Mittel, um den Bundesrat wieder auf Kurs zu bringen. Die Koalition gegen Waffenexporte in Bürgerkriegsländer hat bis am 11. Juni 2020 Zeit, die notwendigen 100'000 Unterschriften zu sammlen. 

Die Koalition kann dabei auf die breite Unterstützung der Bevölkerung zählen. Diese unabhängige Allianz, der verschiedene Persönlichkeiten aus Politik, Hilfswerken und kirchlichen Organisationen angehören, erhielt umgehend nach ihrer Gründung breite Unterstützung aus der Gesellschaft. Dass die Kampagne gegen den Entscheid des Bundesrates innert der ersten zwei Wochen mit 50'000 Unterschriften unterstützt wurde, zeigt den Unmut der Schweizer Bevölkerung über den Export von Kriegsmaterial «made in Switzerland».

Intransparente Praxis und unzureichende Kontrolle

Ungeachtet dieser Entwicklungen in Bezug auf die gesetzliche Grundlage, welche durch das Parlament und die Zivilgesellschaft vorangetrieben werden, gibt es auch in der Bewilligungspraxis erhebliche Mängel. Das zuständige Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) verfolgt bei der Bewilligung von Waffenexportgeschäften bewusst eine Politik der Intransparenz. Die Auslegung von Art. 22 KMG oder Art. 5 KMV -Voraussetzung für die Erteilung einer Ausfuhrbewilligung - erscheint willkürlich. Insbesondere ist unklar, welche menschenrechtlichen Kriterien bei einer Zu- respektive Absage durch das Seco zum Tragen kommen.

Während die Skandale um Schweizer Waffen in falschen Händen zahlreich von den Medien aufgegriffen wurden, veröffentlichte die Eidgenössische Finanzkontrolle am 3. September 2018 ihre Prüfungsergebnisse zum Transfer von Kriegsmaterial. Der Bericht stellt fest, dass der Bund bereits heute die Waffenexporte nicht ausreichend kontrolliert. Die Aufsichtsbehörde kommt zum Schluss, dass das Seco bereits heute nicht garantieren kann, dass Schweizer Waffen nicht bei der Begehung von Menschenrechtsverletzungen eingesetzt werden.

Internationales Regelwerk

Neben dem nationalen Kriegsmaterialgesetz (KMG) und der dazugehörigen KMV schränken einige internationale Verträge, insbesondere der unter seinem englischen Namen bekannte «Arms Trade Treaty (ATT)», den Export von Kriegsgütern ein.

Die Arms Trade Treaty

Der ATT setzt erstmals auf internationaler Ebene völkerrechtlich verbindliche Standards bei der Regelung und der Kontrolle des internationalen Handels mit konventionellen Waffen. Er verpflichtet die Vertragsstaaten bei jedem Rüstungsgeschäft abzuklären, ob mit den Waffen schwere Menschenrechtsverletzungen begangen werden, respektive ob damit gegen das humanitäre Völkerrecht verstossen wird.

Die Schweiz hatte sich bei den Aushandlungen auf internationaler Ebene für ein umfassendes Waffenhandelsabkommen mit höchstmöglichem internationalem Standard, universeller Anwendbarkeit und breitem Anwendungsbereich ausgesprochen. Dennoch handelt es sich bei den Bestimmungen des ATT lediglich um Minimalstandards. KMG und KMV sehen – zumindest auf dem Papier - strengere Auflagen vor. Die Gefahr besteht, dass der Bundesrat den ATT als Vorwand nimmt, die strengeren Schweizer Bestimmungen zu lockern. Diese zynische Haltung - auf internationaler Ebene strenge Vorgaben fordern und national die Bedingungen lockern - ist umso stossender, da die Schweiz für den Sitz des ATT-Sekretariats ausgewählt wurde.

... und die Genfer Konventionen

Der gemeinsame Artikel 1 der vier Genfer Konventionen verpflichtet die Vertragsstaaten, das Abkommen
«unter allen Umständen einzuhalten und ihre Einhaltung durchzusetzen». Über die genaue Reichweite dieser Verpflichtung sind sich Staaten, UNO und NGOs jedoch nicht einig.

Gemäss der GSoA hat sich die Schweiz mit der Ratifizierung der Genfer Konventionen verpflichtet, alle Massnahmen zu unterlassen, welche Verstösse gegen das humanitäre Völkerrecht (HVR) fördern. Sie muss wenn immer möglich Massnahmen ergreifen, damit alle Konfliktparteien sich an die Regeln des humanitären Rechts halten. Dazu gehöre das Unterlassen von Kriegsmaterialexporten, wenn das Material für verletzungen des Völkerrechts genutzt werden könne.

Eine ähnliche Argumentationslinie verfolgte Barbara Frey, ehemalige UNO-Sonderberichterstatterin für die Prävention von Menschenrechtsverletzungen durch Kleinwaffen. Artikel 1 verbiete auch, Kriegsmaterial an Akteure zu liefern, wenn ein reelles Risiko bestehe, dass dieses für völkerrechtswidrige Handlungen eingesetzt wird. Ein Staat sei demzufolge in solchen Fällen nicht nur berechtigt, sondern verpflichtet, eine Exportlizenz zu verweigern.

Der Bund sieht dies anders: Die Anwendbarkeit des HVR auf einen Konflikt bedeute keineswegs, dass auch ein Ausfuhrverbot im Sinne von Artikel 5 Absatz 2 Buchstabe a KMV vorliege. Artikel 1 verpflichte einen Staat nur, die Ausfuhr von Kriegsmaterial zu unterbinden, wenn dieses wissentlich zur Verletzung des humanitären Völkerrechts benutzt wird. Es lasse sich somit aus der Anwendung des humanitären Völkerrechts kein allgemeines Verbot von Waffenexporten in militärische Konfliktzonen ableiten.

Offensichtlich wird Artikel 1 der Genfer Konventionen in der Schweiz und anderswo nur sehr mangelhaft umgesetzt. Mangelnde internationale Praxis zu Artikel 1 und eine lückenhafte Umsetzung bedeuten allerdings nicht, dass die Verpflichtung per se nicht existiert.

Kommentar

Das ewige Trauerspiel um den Export von Kriegsmaterial droht mit der Rückweisung der BDP-Motion durch den Ständerat weiterzugehen. Dieser Entscheid der kleinen Kammer ist ein Zeichen für den durch die Rüstungslobby ausgeübten Druck und das Ergebnis der Priorisierung der Wirtschaftsinteressen auf Kosten der menschenrechtlichen Standards. 

Umso wichtiger ist es, dass die Allianz gegen Waffenexporte in Bürgerkriegsländer ihr Wort gehalten und die «Korrektur-Initiative» lanciert hat. Diese verleiht elementaren Bedenken der Zivilgesellschaft Ausdruck: Waffenlieferungen in Bürgerkriegsländer zu erlauben ist ein absoluter Tabubruch mit der humanitären Tradition der Schweiz. Es wirkt doppelzüngig, wenn die Schweiz stets ihre wirtschaftlichen Interessen stärker gewichtet als die menschenrechtlichen Interessen und gleichzeitig nicht müde wird, ihre humanitäre Tradition und ihr Engagement für die Menschenrechte kundzutun. Die Initiative stellt einen wichtigen Schritt dar, dem Bundesrat die Kompetenz zu entziehen, die Bewilligungskriterien durch simple Anpassungen der Verordnung nach Gutdünken zu verändern. Auf diese Weise kann anschliessend sichergestellt werden, dass die Bewilligungspraxis völkerrechtliche Standards erfüllt und transparent ist.