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Nationalrat lehnt Ratifizierung der europäischen Sozialcharta ab

18.12.2004

Der Nationalrat hat es am 17. Dezember 2004 mit 104 zu 84 Stimmen abgelehnt, die Behandlungsfrist einer Parlamentarischen Initiative um zwei weitere Jahre zu verlängern, welche die Ratifikation der Sozialcharta verlangt. Der Rat ist damit einer Minderheit seiner Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit (SGK) gefolgt, welche die Abschreibung der 1991 von der Sozialdemokratischen Fraktion eingereichten Initiative beantragt hatte. Die menschen- und europarechtlichen Argumente (die Sozialcharta gehört zum Acquis communautaire der EU) der Kommissionsmehrheit blieben somit erfolglos.

1993 hatte der Nationalrat die Initiative angenommen und  die Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit (SGK) mit der Ausarbeitung eines Beschlussentwurfs beauftragt. Die Kommission sprach sich im November 1995 mehrheitlich für die Ratifikation aus. Der Nationalrat war allerdings anderer Meinung. Er wies die Vorlage in der Herbstsession 1996 an die Kommission zurück mit dem Auftrag, einen neuen Entwurf vorzulegen. Seither wurde die Behandlungsfrist der Initia­tive dreimal verlängert, eine Vernehmlassung bei den Kantonen durchgeführt und eine Reihe weiterer juristischer Abklärungen vorgenommen. In all den Jahren scheint man allerdings nicht viel weiter gekommen zu sein. Während die Gegner der Charta diese nach wie vor für nicht ratifzierbar halten, sprach etwa der Sprecher der Kommissionsmehrheit, Paul Rechsteiner, davon, dass die Charta zu einem Schreckgespenst heraufstilisiert werde, was wenig mit dem zu tun habe, was die Charta tatsächlich ausmache.

Aus aussenpolitischer und menschenrechtlicher Sicht ist der Entscheid des Nationalrates sehr zu bedauern. Die Sozialcharta ist neben der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) das wichtigste menschenrechtliche Vertragswerk des Europarates und deren Ratifikation gehört zu den Forderungen von Humanrights.ch / MERS an die schweizerische Menschenrechtspolitik. In diesem Zusammenhang ist daran zu erinnern, dass die Schweiz die Sozialcharta 1976 - nach jahrelangen juristischen Abklärungen - unterzeichnet hat. Sie ist damit zumindest politisch verpflichtet, ernsthafte Anstrengungen zu unternehmen, die unterzeichnete Konvention auch zu ratifizieren. Mit Blick auf die Nichtratifikation der Sozialcharta bleibt zudem der von der Schweiz auf internationalem Parkett oft propagierte Grundsatz, wonach die klassischen Freiheitsrechte und die sozialen Grundrechte gleichwertig seien, weiterhin ein Lippenbekenntnis.

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