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Die Schweiz engagiert sich für Transmenschen

02.07.2015

Im Frühjahr 2015 hat sich die Schweiz gleich auf zwei Ebenen für die Rechte von Transmenschen stark gemacht: Zum einen haben die vier Schweizer Mitglieder der Parlamentarischen Versammlung des Europarates im April einer Resolution zugestimmt, die sich erstmals vollumfänglich den Menschenrechten von Transmenschen widmet. Zum andern hat der Bundesrat entschieden, dass die Schweiz die Absichtserklärung von Valletta genehmigen wird. Diese ergänzt eine frühere Empfehlung des Ministerausschusses des Europarates. Damit bekräftigt die Schweiz ihre Verpflichtung, Massnahmen zur Bekämpfung von Diskriminierung aufgrund der Geschlechtsidentität und der sexuellen Orientierung zu ergreifen.

Die Deklaration von Valletta und die Resolution

Die Erklärung von Valletta soll eine ältere Empfehlung des Ministerausschusses des Europarates ergänzen, indem sie eine ausdrückliche Ausweitung des Schutzes auf Intersexuelle und die Bekämpfung aller Formen von sozialer Ausgrenzung wegen Nichtkonformität mit Geschlechterstereotypen vorsieht. Der Bundesrat zeigt mit der Genehmigung der Erklärung sein Engagement gegen die Diskriminierung von LGBTI-Personen.

Bedeutender jedoch ist die Annahme der Resolution 2048 durch die Parlamentarische Versammlung des Europarates, die sich mit der Diskriminierung gegen Transmenschen in Europa befasst. Die von Fachpersonen als historisch eingeordnete Resolution bedeutet auch für das Transgender Network Switzerland (TGNS) «einen Meilenstein zum Schutz der Menschenrechte von Transmenschen in Europa».

Die Resolution ist vergleichsweise umfassend und deckt die Mehrheit der für Transmenschen problematischen Bereiche ab. Sie beinhaltet etwa die Problematik minderjähriger Transmenschen und stellt klar, dass dem Kindeswohl stets höchste Beachtung beigemessen werden muss. Die Resolution fordert die Mitgliedsstaaten auf, die Möglichkeit der Wahl eines dritten Geschlechts bei Einträgen in Dokumenten in Erwägung zu ziehen.

Rasche Namens- und Geschlechtsänderung auf dem Papier

Zudem soll eine Änderung von Name und amtlichem Geschlecht rasch sowie in transparenter und zugänglicher Weise ermöglicht werden. Eine solche Änderung muss ohne Einschränkungen aufgrund von persönlichen Merkmalen, wie etwa Alter oder finanzielle Situation, gewährt werden. Der Resolutionstext spricht von der Abschaffung des Sterilisationszwangs sowie jeglicher medizinischer Massnahmen oder psychiatricher Diagnosen als Voraussetzung zur rechtlichen Anerkennung der Geschlechtsidentität. Die Resolution hält also fest, dass keinerlei medizinische Voraussetzungen für die Änderung des amtlichen Geschlechts und des Namens erforderlich sein sollen.

Schliesslich verlangt die Resolution, dass die Staaten einen rechtlichen Rahmen schaffen, der sich explizit gegen Transphobie richten und spezifische Mechanismen beinhalten soll, um gegen Diskriminierungen und Hassverbrechen an Transmenschen vorgehen zu können.

Änderungen sind dringend notwendig

Eine neuere Erhebung von Transgender Europe zeigt, dass Transmenschen in vielen europäischen Staaten diskriminiert werden. Will ein Transmensch sein amtliches Geschlecht ändern lassen, verlangen gemäss Transgender Europe 23 Staaten den Nachweis geschlechtsangleichender Operationen und/oder eine Sterilisation.

Diese Praxis bestätigt der Bericht, den die Parlamentarische Versammlung des Europarates in Vorbereitung der Resolution 2048 von der maltesischen Abgeordeten Debora Schembri erarbeiten liess. Er zeigt auf, dass es insbesondere bei der rechtlichen Anerkennung des Geschlechts zu schweren Menschenrechtsverletzungen kommt, da die Änderung des amtlichen Geschlechts in der Mehrheit der europäischen Staaten voraussetzt, dass sich die betroffene Person sterilisieren und bei allfällig bestehender Ehe scheiden lässt. Der Bericht legt auch dar, dass die Sensibilisierung der Öffentlichkeit für die Herausforderungen, mit denen sich Transmenschen konfrontiert sehen, klar unzureichend ist und hält fest, dass Transmenschen leider oft Opfer von Belästigungen, physischer und psychischer Gewalt sowie von Hassverbrechen werden.

Diese Feststellungen sind nach Einschätzung von Transgender Network Switzerland (TGNS) auch für die Schweiz zutreffend. «Die Schweiz wird sich mit der Umsetzung der Resolution befassen müssen,» stellt Henry Hohmann, Präsident von Transgender Network Switzerland (TGNS), zum Entscheid aus Strassburg klar, «denn auch hierzulande gilt nicht die Selbstbestimmung von Transmenschen, sondern es muss ein fremdbestimmtes und teilweise entwürdigendes Verfahren zur rechtlichen Änderung der Papiere durchlaufen werden.»

Auswirkungen für die Schweiz?

Die Deklaration von Valletta und die Resolution der Parlamentarischen Versammlung des Europarates haben keinen verbindlichen Charakter, zielen aber beide in dieselbe Richtung und sind eine Aufforderung an die Staaten, gegen die Diskriminierung von Transpersonen vorzugehen. Wie TGNS in einer Pressemittteilung schreibt, würde die Umsetzung der beiden Erlasse für Transpersonen in der Schweiz bedeuten, dass die Einnahme von Hormonen und geschlechtsangleichende Operationen nicht mehr länger Voraussetzung zur Änderung des amtlichen Geschlechts sein dürfen. Das rechtliche Verfahren müsste folglich unabhängig von den medizinischen Massnahmen zu behandeln sein. Dies würde für Transmenschen eine deutliche Vereinfachung des zurzeit in der Schweiz sehr aufwändigen, lange dauernden und teuren Prozesses bedeuten. TGNS betont, dass die Änderung von Name und amtlichem Geschlecht für Transmenschen fundamental wichtig sei. Denn Transmenschen seien, sofern die Angaben in offiziellen Dokumenten nicht dem Erscheinungsbild entsprechen, bei jedem Vorweisen des Ausweises zu einem «Coming-out» gezwungen. Sie hätten dadurch diskriminierende und gewaltvolle Situationen zu bewältigen. Die richtigen Dokumente und Zeugnisse würden dementsprechend eine entscheidende Rolle spielen, nicht zuletzt bei der Suche nach Arbeit.

TGNS führt aus, dass eine Umsetzung der Absichtserklärung von Valletta ins schweizerische Recht unter anderem eine Wirkung auf das Erfassen, Untersuchen und Verfolgen von Hassverbrechen aufgrund der Geschlechtsidentität sowie auf den Schutz vor Diskriminierung hätte. Aktuell werden Verbrechen gegen Transpersonen durch die Schweizer Polizei nicht spezifisch erfasst. Dadurch ist es bislang nicht möglich, das Ausmass von transphober Gewalt festzustellen. TGNS geht davon aus, dass entsprechende Vorfälle oftmals nicht gemeldet werden. Aus diesem Grund sei das Treffen von pro-aktiven Massnahmen besonders wichtig. Zudem seien Transmenschen oftmals Opfer von Diskriminierungen in allen Lebensbereichen. So hätten sie besondere Schwierigkeiten beim Mieten einer Wohnung, auch komme es zu Verweigerungen von Dienstleistungen. Im Bereich des Privatrechts sei es diesen Personen nicht möglich, sich zu verteidigen. Ein effizienter gesetzlicher Schutz, wie ihn die Deklaration von Valletta und die Resolution der Parlamentarischen Versammlung des Europarates fordern, sei daher besonders wichtig.

Ausweitung der Antirassismusnorm?

Die Frage der Diskriminierung von LGBTI-Personen beschäftigt derzeit auch das Eidgenössische Parlament. Zwei Vorstösse wollen die Antirassismus-Strafnorm mit einem Zusatz ausstatten, um homophobe Taten in Zukunft einfacher verfolgen zu können. Um eine Verbesserung der Situation für Transmenschen zu erlangen, müsste Art. 261bis des Strafgesetzbuches ausdrücklich die Geschlechtsidentität als Diskriminierungsgrund erwähnen. Angesichts der jüngsten Bemühungen der offiziellen Schweiz bleibt zu hoffen, dass Behörden und Politiker/innen die Gelegenheit beim Schopf packen und eine entsprechende lückenlose Anpassung des Gesetzes anstreben. Sonst muss sich die Politik den Vorwurf gefallen lassen, dass die unterschriebenen Abkommen das Papier nicht Wert waren.