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Die UNO-Mindestgrundsätze für die Behandlung der Gefangenen («Nelson Mandela Rules»)

12.07.2016

Im Dezember 2015 hat die UN-Generalversammlung die revidierte Fassung der «UN-Mindestgrundsätze für die Behandlung der Gefangenen» einstimmig verabschiedet. Es handelt sich um international anerkannte Mindeststandards für menschenwürdige Haftbedingungen, welche den Gefängnisverwaltungen als Handlungsrichtlinie dienen sollten.

Entstehungsgeschichte

Die erste Fassung der «UNO-Mindestgrundsätze für die Behandlung der Gefangenen» wurde 1957 vom UNO-Wirtschafts- und Sozialrat verabschiedet. Im Jahre 2010 wurde die Überarbeitung der Mindestgrundsätze initiiert mit dem Ziel, neue Entwicklungen im Bereich der Menschenrechte und des Strafrechts in die Grundsätze aufzunehmen. Am 17.12. 2015 hat die UN-Generalversammlung die revidierte Fassung angenommen. In der folgenden Animation von Penal Reform international werden die Entstehungsgeschichte und einige revidierte Bestimmungen zur Behandlung von Gefangenen erläutert.

Wichtiges Soft-Law Instrument

Die «Mandela-Rules» stellen ein rechtlich nicht bindendes Soft-Law-Instrument dar, welches aber zahlreiche, in anderen völkerrechtlichen Verträgen verankerte und für die Schweiz rechtlich bindende Verpflichtungen enthält. Die Leitlinien werden von den Staaten als wichtiges Grundlagendokument zur Behandlung von inhaftierten Personen angesehen und dienen den Überwachungs- und Kontrollmechanismen der UNO zur Überprüfung der menschenrechtskonformen Behandlung von Gefangenen. Weitere (menschen-)rechtliche Leitlinien im Strafvollzug werden in folgendem Artikel aufgeführt und erläutert:

Die Richtlinie im Überblick

Die insgesamt 122 Regeln der «Mandela Rules» decken ein breites Spektrum an Problemfeldern im Bereich der Gefängnisverwaltung ab und fassen die international anerkannten Minimalstandards für die Behandlung von Gefangenen in einem Dokument zusammen.

In einem ersten Teil sind die allgemein anzuwendenden Grundsätze verankert. Diese enthalten namentlich Bestimmungen zur Führung eines Registers, zur Trennung unterschiedlicher Gefangenenkategorien, zur Unterbringung, zur persönlichen Hygiene, zur Kleidung und zum Bettzeug, zur Verpflegung, zu Bewegung und Sport, zur Gesundheitsfürsorge, zu Disziplin und Disziplinarstrafen, zu Zwangsmitteln, zur Information und Beschwerden der Gefangenen, zum Verkehr mit der Ausssenwelt, zur Religion, zum Anstaltspersonal wie auch zur regelmässigen Überprüfung der Vollzugseinrichtungen durch geeignete Kontrollinstanzen.

In einem zweiten Teil werden die Grundsätze für besondere Gefangenkategorien, namentlich für Strafgefangene, für psychisch kranke Inhaftierte, für vorläufig Festgenommene oder Untersuchungsgefangene festgelegt.

Ausgewählte Änderungen

Die Richtlinien enthalten im Vergleich zur ursprünglichen Fassung Präzisierungen sowie zahlreiche neue Regeln. In der folge werden einige ausgewählte Neuerungen aufgeführt:

Unterbringung in der Nähe des Wohnorts

Gemäss Regel 59 müssen Inhaftierte in einer Justizvollzugseinrichtung in der Nähe ihres Wohnorts untergebracht werden um eine möglichst optimale Resozialisierung gewährleisten zu können.

Personenbezogene Informationen unter Berücksichtigung der geschlechtlichen Selbstwahrnehmung

In Regel 7 und 8 wird festgehalten, welche personenbezogenen Informationen einer inhaftierten Person erfasst werden müssen. Bemerkenswert ist die Regel 7a, welche die Registrierung von personenbezogenen Daten vorschreibt, «um die Bestimmung seiner/ihrer einzigartigen Identität zu ermöglichen, wobei die geschlechtliche Selbstwahrnehmung respektiert werden muss».

Medizinische Vorsorgeuntersuchung

In Regel 30 und 34 wird festgehalten, dass jede/r Inhaftierte bei Haftantritt einer umfassenden ärztlichen Vorsorgeuntersuchung unterzogen werden muss. Hierbei muss auch der psychische Gesundheitszustand einer Person untersucht und dokumentiert werden.

Weitere Neuerungen

Weitere wichtige Neuerungen betreffen namentlich die Behandlung von Personen mit besonderen Bedürfnissen (Regel 2,5); die Ausbildung des Gefängnispersonals (Regeln 75, 76); die standardisierte Führung der Haftakten (Regeln 6, 10); die Unterbringung der Kinder von Inhaftierten (Regeln 28, 29); die Einzelhaft (Regeln 43-46); Disziplinarmassnahmen (Regeln 36-43) und die Anwendung von Zwangsmitteln (Regeln 43, 47-49); den Rechtsschutz (Regeln 41, 53, 61, 119, 120); die Resozialisierungsmassnahmen (Regeln 4, 88, 89, 91-94, 96-108), die Arbeitsleistungen (Regeln 40, 96-103) oder der Zugang zur medizinischen Versorgung (Regeln 24-29, 31).

Eine Übersicht zu allen Änderungen bietet das folgende Dokument:

  • Resolution adopted by the General Assembly on 17 December 2015
    UNO-Resolution zu den Nelson Mandela Rules (online nicht mehr verfügbar)

Relevanz für die Schweiz

Auch die zuständigen Behörden in der Schweiz sind dazu angehalten, die Haftbedingungen hinsichtlich ihrer Konformität mit den Mandela-Rules zu überprüfen und entsprechende Anpassungen vorzunehmen. 

Psychisch kranke Inhaftierte

Zu den besonders problematischen Bereich gehört die Unterbringung von psychisch kranken Menschen in normalen Strafanstalten. Gemäss Regel 109 der Mandela Rules dürfen psychisch kranke Menschen nicht in Anstalten des Strafvollzugs untergebracht werden, sondern müssen so rasch wie möglich in dafür geeignete psychiatrische Institutionen verlegt werden. Dass dies in der Schweiz häufig nicht so gehandhabt wird, zeigt etwa folgender Artikel:

Wie ein Bericht des Schweiz. Kompetenzzentrums für Menschenrechte im 2014 ans Licht brachte, werden in Einzelfällen psychisch kranke Inhaftierte mangels geeigneter Plätze in psychiatrischen Kliniken sogar im härtesten Strafvollzugs-Regime der Hochsicherheitshaft gehalten, was völlig abwegig ist.

Untersuchungshaft

Weiter enthält der zweite Teil detaillierte Vorschriften zur Behandlung von Untersuchungshäftlingen. Mit Blick auf die Unschuldsvermutung hält die Regel 111 fest, dass das Haftregime nicht als eigentliche Strafe ausgestaltet sein darf und sich von demjenigen im Strafvollzug zu unterscheiden habe. Die Nationale Kommission zur Verhütung von Folter hat in ihrem fünften Tätigkeitsbericht vom Juni 2016 zur Situation in der Schweiz festgestellt, dass «die aktuelle Ausgestaltung des Untersuchungshaftvollzugs vielerorts und in manchen Bereichen der Unschuldsvermutung nur unzureichend Rechnung trägt».

Isolationshaft

In Regel 43-46 wird die Einzelhaft thematisiert. Diese wird definiert durch eine ununterbrochene Isolation von anderen Inhaftierten („ohne sinnvollen menschlichen Kontakt“) während mindestens 22 Stunden am Tag. Aufgrund der verheerenden Auswirkungen auf die körperliche und geistige Gesundheit darf die Einzelhaft gemäss den Richtlinien nur in Ausnahmefällen, als letztes Mittel und für so kurze Zeit wie möglich angeordnet werden. Zudem muss sie von einer zuständigen Behörde im Voraus bewilligt werden.

Was die Problematik in der Schweiz angeht, haben die NKVF und das Schweizerische Kompetenzzentrum für Menschenrechte 2014 in einem gemeinsamen Bericht darauf hingewiesen, dass die Anordnung der Einzelhaft in der Schweiz aus menschenrechtlicher Sicht häufig problematisch ist.

Rechtsschutz

Ebenfalls relevant für die Schweiz sind die neuen Bestimmungen zu einem effektiven Rechtschutz für inhaftierte Personen (Regeln 41, 53, 61, 119, 120). Nach Regel 61 muss den Gefangenen ausreichend Gelegenheit gegeben werden, sich mit einem Anwalt, oder einem Rechtsberater der freien Wahl vertraulich auszutauschen.

Die inhaftierten Personen in der Schweiz haben heute – abgesehen von den bezahlten Rechtsanwälten – keine Möglichkeit, sich von unabhängigen Fachpersonen in einer Vertrauensbeziehung juristisch beraten zu lassen. Die unentgeltliche Rechtspflege wird im Straf- und Massnahmenvollzug nur selten gewährt. Dies bestätigt der Anwalt Stefan Bernard gegenüber humanrights.ch: «Der Strafvollzug ist fast komplett von der unentgeltlichen Rechtsvertretung ausgeschlossen. Dies ist deshalb stossend, weil Personen im Strafvollzug mit ihrer Situation häufig überfordert sind und weder einer amtlichen Sprache mächtig sind, noch die ihnen zustehenden Rechte und Ansprüche kennen».

Die zuständigen Kantone und Strafvollzugskonkordate sind deshalb aufgefordert, ein unabhängiges Angebot an unentgeltlicher Hilfe in Rechtssachen für Menschen im Freiheitsentzug sicherzustellen und entsprechende Initiativen zu unterstützen, um einem effektiven Rechtsschutz, wie ihn die «Mandela Rules» (und auch die Europäischen Strafvollzugsgrundsätze in Art. 23) fordern, sicherzustellen.

Dokumentation