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Das Recht auf Wohnen ist ein Menschenrecht

05.05.2022

Viele Menschen in der Schweiz leben in prekären Wohnverhältnissen, weil sie sich keine angemessene Wohnung leisten können. Im Extremfall führen überteuerte Mieten zu Wohnungsverlust und Obdachlosigkeit. In den Kantonen und Gemeinden ist der Verfügbarkeit von günstigem und qualitativ gutem Wohnraum in der Politik mehr Priorität beizumessen. Das Recht auf Wohnen ist ein Menschenrecht.

Gastkommentar von Agnes Jezler und Aline Masé von Caritas Schweiz

Wohnen in der Schweiz ist teuer. Das gilt insbesondere für Städte, zunehmend aber auch für die Agglomerationen. Mit wenig Geld findet sich hier kaum noch bezahlbarer und qualitativ guter Wohnraum. Von Armut betroffene Menschen und Familien leben deshalb häufig in zu kleinen, schlecht isolierten oder gar von Schimmel befallenen Wohnungen. Im schlimmsten Fall verlieren die Betroffenen ihre Wohnung oder werden gar in die Obdachlosigkeit abgedrängt. Indem die Schweiz kein einklagbares Recht auf Wohnen anerkennt, verletzt sie ihre menschenrechtlichen Verpflichtungen.

Wohnen ist mehr als ein Dach über dem Kopf

Einkommensschwache Haushalte wenden im Schnitt mehr als ein Drittel ihres verfügbaren Einkommens für das Wohnen auf. Das führt dazu, dass sie bei anderen Gütern des täglichen Bedarfs einschneidende Abstriche machen müssen. So verzichten viele Betroffene auf eine ausgewogene Ernährung oder auf Gesundheitsleistungen. Kleinste Veränderungen auf der Einkommensseite bringen das enge Budget rasch aus dem Lot. Das kann dazu führen, dass Betroffene sich verschulden, um die Miete bezahlen zu können, oder dass sie ihre Wohnung verlieren und im schlimmsten Fall auf der Strasse landen.

Die Bedeutung einer Wohnung geht weit darüber hinaus, ein Dach über dem Kopf zu haben. Eine Wohnung erlaubt einen sicheren Rückzugsort und Privatsphäre. Sie beinhaltet den Zugang zu sanitären Anlagen und Wärme, zu Erholung und zu selbst gestaltbarem Raum. Eine angemessene Wohnung ist eine Grundbedingung für ein Leben in Würde. Im Gegenzug kann eine prekäre Wohnsituation sehr direkt die psychische und physische Gesundheit verschlechtern, Beziehungen belasten und Gewalt fördern. 

Wohnungspolitik und Obdachlosigkeit hängen eng zusammen

Prekäre Wohnsituationen können im Extremfall in Wohnungs- und Obdachlosigkeit münden. Der Verlust einer Wohnung und Obdachlosigkeit hängen folglich eng mit der fehlenden Verfügbarkeit von günstigem Wohnraum und mit strukturellen Hürden bei der Wohnungssuche zusammen. In vielen Kantonen und Gemeinden fehlt jedoch das Verständnis für den Zusammenhang zwischen der Situation auf dem Wohnungsmarkt und der Wohnungslosigkeit. Das verdeutlicht eine kürzlich erschienene Studie zu Obdachlosigkeit im Auftrag des Bundesamtes für Wohnungswesen. Es fehlt insbesondere an einer allgemeingültigen Definition von Obdachlosigkeit und prekärem Wohnen, an entsprechenden Daten, einem nationalen Monitoring und einer Zusammenarbeit mit der Immobilienwirtschaft.

Das Recht auf Wohnen ist ein Menschenrecht

Das Recht auf Wohnen ist ein Menschenrecht, welches bereits in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte festgehalten wurde (Art. 25 AEMR). Auch der Internationale Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (UNO-Pakt I) garantiert das Recht auf Wohnen und wurde von Schweiz vor 30 Jahren ratifiziert. Der Bundesrat wie auch das Bundesgericht vertreten jedoch die Auffassung, die Garantien dieses Vertrages würden in der Schweiz nur einen Auftrag an den Gesetzgeber und keine subjektiven, einklagbaren Rechte begründen. Die Schweizerische Bundesverfassung kennt – im Gegensatz zu einzelnen Kantonsverfassungen – kein Recht auf Wohnen. Vielmehr wurden die in UNO-Pakt I definierten Sozialrechte in Artikel 41 der Bundesverfassung als Sozialziele verankert. Demnach sollen Bund und Kantone sich unter anderem dafür einsetzen, dass «Wohnungssuchende für sich und ihre Familie eine angemessene Wohnung zu tragbaren Bedingungen finden können». Kurz: Die Bundesverfassung enthält kein individuelles und einklagbares Recht auf eine Wohnung.

Für die mangelnde Sicherstellung der Vereinbarkeit vom Schweizer Recht mit den Garantien von UNO-Pakt I sowie die fehlenden Rechtsmittel bei Verstössen gegen die Paktgarantien – und damit auch das Recht auf Wohnen – wurde die Schweiz mehrfach vom UNO-Ausschuss für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte gerügt.

Verbindlich und einklagbar ist in der Schweiz lediglich das Recht auf Hilfe in Notlagen (Art. 12 BV). In der Praxis sind die Kantone und Gemeinden dazu verpflichtet, Notschlafstellen zur Verfügung zu stellen, wo obdachlose Menschen in der Nacht Schutz finden. Wobei auch dies nicht für alle Menschen in der Schweiz oder für unbegrenzte Zeit gilt und das Angebot bei weitem nicht ausreicht. Zudem ist eine Politik mit Fokus auf Nothilfe wenig nachhaltig. Allen Menschen einen angemessenen Wohnraum zur Verfügung zu stellen, könnte Obdachlosigkeit präventiv verhindern.

Bund, Kantone und Gemeinden müssen ihre menschenrechtlichen Verpflichtungen und ihre Verantwortung für eine inklusive Wohnungspolitik ernst nehmen. Konkret müssen sie für genug preisgünstigen und qualitativ guten Wohnraum sorgen. Daneben sind Angebote zu fördern, die benachteiligte Haushalte bei der Wohnungssuche unterstützen und Garantien gegenüber den Vermietenden übernehmen.