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Die Schweizerische Menschenrechtsinstitution verändert die Menschenrechtslandschaft

25.05.2023

Seit dem 23. Mai hat die Schweiz wie die meisten Staaten der Welt eine nationale Menschenrechtsinstitution. Damit die SMRI die hohen Erwartungen erfüllen kann, braucht es noch viel. Ein Gespräch mit Matthias Hui*, der sich im Namen der NGO-Plattform Menschenrechte Schweiz für die Schaffung der SMRI einsetzte.

Am 23. Mai wurde die Schweizerische Menschenrechtsinstitution SMRI gegründet. Wann können wir von der neuen Institution erste Ergebnisse erwarten?

Erst einmal freue ich mich riesig, dass die Nationale Menschenrechtsinstitution jetzt Realität geworden ist. Es brauchte über 23 Jahre einen ziemlich harten Kampf dafür. Zusammen mit vielen anderen in der NGO-Plattform Menschenrechte Schweiz waren wir von humanrights.ch wesentlich daran beteiligt. Die schweizerischen Menschenrechtsmühlen, wenn der Staat involviert ist, mahlen unglaublich langsam. Jetzt müssen wir halt auch dem Aufbau der SMRI Zeit geben. Am 23. Mai 2023 wurde der Boden für die Institution gelegt, aber sichtbar und hoffentlich wirksam werden wird die Arbeit erst Schritt für Schritt ab 2024.

Was geschah am 23. Mai 2023 im Berner Kursaal genau?

Mehr als 100 Gründungsmitglieder riefen die SMRI gemeinsam ins Leben. Sie taten dies in ihrem persönlichen Namen oder in Vertretung einer juristischen Person, zum Beispiel einer Menschenrechtsorganisation. Die Versammlung verabschiedete die Statuten. Darin steht, dass die SMRI zum Schutz und zur Förderung der Menschenrechte in allen Lebensbereichen und auf allen staatlichen Ebenen der Schweiz beitragen soll. Das soll nach Massgabe der Pariser Prinzipien der UNO geschehen, in denen die Unabhängigkeit zentral ist: Die SMRI muss bei der Verwendung ihrer Gelder, bei ihren Prioritäten, Arbeitsweisen und Entscheiden völlig frei sein. Schliesslich wählte die Gründungsversammlung einen Vorstand.

Zuerst zu den Mitgliedern: Was ist das für ein erlauchter Kreis, der die SMRI gegründet hat?

Die Anmeldung an die Gründungsversammlung stand allen natürlichen und juristischen Personen offen, deren Tätigkeit einen Bezug zum Schutz und zur Förderung der Menschenrechte aufweist und die dem Zweck der SMRI zustimmen. Auch nach der Gründung können alle, die diese Kriterien erfüllen, reguläre Mitglieder der SMRI werden. Die SMRI ist eine öffentlich-rechtliche Körperschaft und funktioniert ähnlich wie ein normaler Verein.

Ein Verein braucht einen Vorstand. Es war das Parlament, das im Herbst 2021 die gesetzliche Grundlage für die Gründung der SMRI geschaffen hat. Hat der Bund Personen vorgeschlagen, die Vorstandsverantwortung für die SMRI übernehmen sollen, oder geschah das an der Gründungsversammlung?

Nein, das lief zum Glück anders. Die SMRI muss ja von Anfang breit getragen und unabhängig sein. Der Bund hat für die Konstituierung der SMRI eine Arbeitsgruppe eingesetzt – eigenartigerweise war es aufgrund der Vorgeschichte ja das EDA, das für den Gründungsprozess verantwortlich war und von dem auch die Gelder für die SMRI kommen werden, obwohl das Aussenministerium mit der Umsetzung der Menschenrechte im Inland nicht viel am Hut hat. In dieser Arbeitsgruppe vertreten waren Personen aus dem Pilotprojekt Schweizerisches Kompetenzzentrum für Menschenrechte SKMR, aus Menschenrechtsorganisationen, aus der Wirtschaft, aus ausserparlamentarischen Kommissionen wie der Eidgenössischen Kommission für Frauenfragen sowie aus der Bundesverwaltung und von der Konferenz der Kantonsregierungen. Ich durfte in dieser Arbeitsgruppe mitwirken. Sie hat die Gründung der SMRI vorbereitet. Ein Ausschuss – die Findungskommission – hat zuhanden der ganzen Arbeitsgruppe und auch zuhanden der Gründungsversammlung einen Wahlvorschlag für ein Vorstandsteam erarbeitet.

Du standest auch auf diesem Wahlvorschlag und bist nun von der Gründungsversammlung gewählt worden. Ist es nicht eigenartig, dass du dich als Mitglied der vorbereitenden Arbeitsgruppe jetzt gleich in den Vorstand hast wählen lassen?

Im ganzen Verfahren der Wahlvorbereitung in der Arbeitsgruppe bin ich in den Ausstand getreten. Ich sah erst am Schluss, ob und mit wem zusammen ich vorgeschlagen werde. Es macht wohl Sinn, dass eine Person im künftigen Vorstand die Vorgeschichte der SMRI gut kennt und entsprechende Erfahrungen in der Zusammenarbeit mit der Verwaltung, mit dem Parlament, mit dem Pilotprojekt SKMR und nicht zuletzt die ganzen Überlegungen und Ideen aus Vorbereitungsprozess in die neue Institution einbringen kann. Darauf freue ich mich. Ich kenne durch meine Arbeit auch entsprechende Menschenrechtsinstitutionen in anderen Ländern. Dazu gehört das Deutsche Institut für Menschenrechte, das tolle Arbeit leistet zum Beispiel zur Umsetzung der UNO-Kinderrechtskonvention und der UNO-Behindertenrechtskonvention oder auch zu Konzernverantwortung und rassistischer Diskriminierung. Nicht nur wir Menschenrechtsorganisationen, sondern auch die Verwaltung und das Parlament haben sich im ganzen Prozess öfter mal an diesem Institut orientiert. Weil die Schweiz mit der Schaffung einer Menschenrechtsinstitution so spät dran ist, kann sie jetzt immerhin von den Erfahrungen anderer profitieren und muss nicht alles selber erfinden.

Kannst du denn als Koordinator der NGO-Plattform Menschenrechte Schweiz im neuen Vorstand wirklich unabhängig tätig sein?

Ich werde im September die Koordination der NGO-Plattform Menschenrechte Schweiz an meinen Nachfolger Tarek Naguib übergeben und nicht mehr bei humanrights.ch arbeiten. Ich werde also – wie die anderen Mitglieder auch – im Vorstand keine Interessen vertreten. Ausser diejenigen eines starken Menschenrechtsschutzes in der Schweiz.

Wer ist denn noch zur Wahl in den Vorstand gewählt worden?

Als Präsidentin ist Raphaela Cueni, Assistenzprofessorin für Verwaltungsrecht mit den Schwerpunkten Grund- und Menschenrechte sowie Medienrecht an der Universität St. Gallen gewählt worden. Ausserdem in den Vorstand gewählt wurden Antonio Hautle, Direktor des UN Global Compact Unternehmensnetzwerks Schweiz & Liechtenstein, Marianne Hochuli, bis letztes Jahr Leiterin Grundlagen und Mitglied der Geschäftsleitung bei Caritas Schweiz, Xenia Rivkin, selbständige Rechtsanwältin und Mitglied der Menschenrechtskommission des Genfer Anwaltsverbands, und Véronique Boillet, assoziierte Professorin für öffentliches Recht an der Universität Lausanne. Ich kenne die meisten noch nicht, freue mich aber auf dieses sehr kompetente und vielfältige Team. Wir werden in der Aufbauphase der SMRI sehr intensiv zusammenarbeiten.

Was werden erste Aufgaben des Vorstands sein?

Er wird die Stelle der Leitung der SMRI ausschreiben und eine oder zwei Persönlichkeiten wählen, die das Gesicht der SMRI sein werden. Dieser Prozess wird einige Monate in Anspruch nehmen. Wer die SMRI leitet, wird wichtig sein. Das ist mir an der Abschlusstagung des SKMR nochmals bewusst geworden, an der der Leiter der polnischen Menschenrechtsinstitution, Ombudsmann Adam Bodnar, mit viel Mut, innerer Freiheit und professioneller Souveränität sprach. Parallel zur Wahl einer Leitung wird die Infrastruktur der neuen Institution komplett neu aufgebaut werden müssen. Die SMRI hat ihren Standort in Fribourg, an der Sprachgrenze, nahe an der Hauptstadt Bern. Sie wird in einem zentralen Gebäude gleich neben dem Bahnhof untergebracht sein, das wird vor Ort und im ganzen Land viel Vernetzung ermöglichen. Es ist übrigens geplant, dass die Kantone die Infrastruktur der neuen SMRI finanzieren werden, die letzten Entscheide sind allerdings noch nicht gefallen. Ihre Beteiligung ist sehr wichtig. Ich nehme an, dass die Arbeit der SMRI auch stark auf die Umsetzung der Menschenrechte in den Kantonen ausgerichtet sein wird.

Wo siehst du Stolpersteine für die SMRI auf der ersten Wegstrecke? Was wird sie nicht leisten können?

Es ist ja vom Gesetz her klar, dass die SMRI keine individuellen Klagen annehmen und keine Ombudsfunktion wahrnehmen kann. Das wird viele Menschen enttäuschen, die hoffen, dass sie als Opfer von Menschenrechtsverletzungen eine Adresse erhalten werden, eine Institution, die sich für ihre persönlichen Rechte einsetzen oder sie sogar durchsetzen kann. Und dann sind da natürlich die Finanzen. Das Budget von einer Million Franken jährlich entspricht dem Bundesbeitrag an das bisherige Pilotprojekt des Schweizerischen Kompetenzzentrums für Menschenrechte. Allerdings hat die SMRI nun per Gesetz ein viel, viel grösseres Pflichtenheft. Wir von der Plattform Menschenrechte Schweiz haben ein Modellbudget von fünf Millionen Franken als minimale Basis für die zu leistende Arbeit errechnet. Bei der kürzlichen UPR-Überprüfung der Schweiz 2023 im UNO-Menschenrechtsrat gaben sich denn auch viele Staaten kritisch angesichts der inadäquaten Finanzierung der Schweizerischen Menschenrechtsinstitution – darunter Länder wie Deutschland, Liechtenstein oder Irland, die alle eine starke Menschenrechtsinstitution haben. Angesichts dieser Finanzierung besteht das Risiko, dass die SMRI zu Beginn den A-Status einer vollwertigen NMRI gemäss UNO-Prinzipien nicht erhält. Ich hoffe, dass ein internationaler Vergleich und ein guter Start der SMRI dazu beitragen werden, die Politik für höhere Budgets in einer zweiten Phase zu überzeugen. Am Anfang wird die SMRI nun halt erst einmal mit wenig Mitteln auskommen müssen und nur exemplarisch brennende Probleme im Menschenrechtsbereich aufgreifen können.

Was kann der Bund zu einem guten Start beitragen?

Eine kleine SMRI sollte nicht mit Dutzenden Vis-à-Vis in der Bundesverwaltung und bei den Kantonen zu tun haben müssen. Es darf nicht erwartet werden, dass sie die vorhandene Verzettelung in Menschenrechtsfragen, etwa bei den Staatenberichtsverfahren, zwischen den Departementen und zwischen Bund und Kantonen auffangen kann. Das ist nicht ihre Aufgabe, das würde sie aufreiben. In der Bundesverwaltung sollte jetzt eine zentrale Koordinationsstelle Menschenrechte geschaffen werden, die die Umsetzung der Menschenrechte im föderalistischen System mit genügend Ressourcen bündelt und vernetzt.

Und was können Menschenrechtsorganisationen wie humanrights.ch zu einer starken SMRI beitragen?

Sie können der neuen Institution Zusammenarbeit anbieten und ihre grosse Sachkompetenz in einzelnen Themenfeldern zur Verfügung stellen. Was die SMRI aufgreifen will, ist ihre Sache. Aber sie wird wohl auf das vorhandene Wissen in der Zivilgesellschaft oder auch in der Wissenschaft zurückgreifen, um präzise definieren zu können, worin ihre eigenen Beiträge an die konkrete Verbesserung der Menschenrechtssituation in der Schweiz liegen. Menschenrechtsorganisationen werden die Arbeit der SMRI kritisch begleiten, um sicherzustellen, dass deren Projekte und Positionen nicht einem jeweils helvetisch-politisch definierten kleinsten gemeinsamen Nenner entsprechen, sondern den universalen Menschenrechten verpflichtet sind. Die Menschenrechtsbewegung wird aber auch selbstkritisch eigene Rollen in einer sich verändernden Menschenrechtslandschaft überdenken müssen.

An dieser Stelle bedankt sich humanrights.ch bei Matthias Hui für sein jahrelanges unermüdliches Engagement als Leiter der AG Nationale Menschenrechtsinstitution der NGO-Plattform Menschenrechte Schweiz und als Mitarbeiter von humanrights.ch. Wir sind überzeugt, dass diese Arbeitsgruppe wesentlich daran beteiligt ist, dass die SMRI nun gegründet werden konnte! Mit der Wahl von Matthias Hui in den SMRI-Vorstand kann das über Jahre aufgebaute Wissen aus dieser Arbeitsgruppe optimal in die neue Institution einfliessen.

*Matthias Hui arbeitet seit 2013 bei humanrights.ch, zwischen 2018 und Ende September 2023 in der Funktion als Koordinator der NGO-Plattform Menschenrechte Schweiz. Matthias Hui war Mitglied der vom Bund koordinierten Arbeitsgruppe zur Konstituierung der Schweizerischen Menschenrechtsinstitution SMRI und ist seit dem 23. Mai 2023 gewähltes Vorstandsmitglied der neuen SMRI.