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2023 - T.M.I. et al. v. SWITZERLAND (CRC)

08.03.2023

Eckdaten zum Fall

  • Burundische Staatsangehörige im Alter von 5 und 2 Jahren und 3 Monaten
  • Rückkehr in einen Dublinstaat (Kroatien)
  • Mutter der Beschwerdeführenden erlitt sexuelle Gewalt, während letztere Zeugen davon wurden. Die Beschwerdeführenden mussten eine Nacht in einer Art Gefängnis verbringen, waren unmenschlicher Behandlung ausgesetzt und hatten weder Zugang zu medizinischer Behandlung und kindergerechten Strukturen noch zu adäquater Nahrung.
  • Das Kindeswohl wurde unzureichend berücksichtigt im Rahmen des nationalen Asylverfahrens
  • Art. 2(2) CRC, Art. 3 CRC, Art. 6 CRC, Art. 19(2) CRC, Art. 22 CRC, Art. 24 CRC, Art. 26 CRC, Art. 27 CRC, Art. 37 CRC und Art. 39 CRC
  • Verantwortlicher Kanton: Zürich

Sachverhalt

Die Beschwerdeführer sind burundische Staatsangehörige. Beschwerdeführerin 1 ist ein 5-jähriges Mädchen, Beschwerdeführer 2 ist ihr 2-jähriger Bruder und Beschwerdeführer 3 ist der drei Monate alte Bruder. Die Beschwerdeführer sind aus Burundi über Serbien nach Kroatien geflohen.

Unmittelbar nach dem Grenzübertritt wurden die Beschwerdeführenden von den kroatischen Behörden durchsucht und gezwungen, sich zu entkleiden. Selbst die Windeln des 2-jährigen Jungens wurden durchsucht. Die damals noch schwangere Mutter wurde vor den Augen ihrer Kinder und ihres Ehemannes von den kroatischen Behörden sexuell missbraucht. Trotz der Schwangerschaft haben ihr die kroatischen Behörden zudem in den Bauch geschlagen. Nach diesen Vorfällen erlebten die Beschwerdeführenden eine gewaltsame Rückschiebung («push-back») nach Bosnien. Dort waren sie gezwungen die Nacht im Wald zu verbringen. Als sie erneut versuchten, nach Kroatien einzureisen, wurden sie wiederum von den Behörden aufgefangen. Die Beschwerdeführer wurden gezwungen mehrere Stunden in der prallen Sonne auf dem Boden zu sitzen und der Zugang zur Toilette wurde ihnen verweigert weshalb die 5-jährige Tochter gezwungen war,  sich in die Hosen zu machen. Anschliessend wurden sie in eine Art Gefängnis gebracht. In der Nacht wurden die Beschwerdeführer sodann gezwungen, ihre Fingerabdrücke abzugeben, ohne zu wissen, was das bedeutet. Danach wurden sie in ein Camp in Zagreb überführt. In diesem Camp wurden die Beschwerdeführer unmenschlich behandelt: Sie erhielten keine Nahrung, kein Wasser, keine Decken und keine medizinische Versorgung, obwohl die Eltern der Beschwerdeführenden explizit darum gebeten hatten und diese dringlich benötigt war. Aufgrund dieser Misshandlungen sah sich die Familie gezwungen, erneut zu fliehen und reiste folglich über Slowenien in die Schweiz.

In der Schweiz ersuchte die Familie um Asyl. Da sie ihre Fingerabdrücke jedoch bereits in Kroatien abgegeben hatten, ersuchte das Staatssekretariat für Migration (SEM) Kroatien um deren Rückübernahme. Als diese Anfrage akzeptiert wurde, erliess das SEM einen Nichteintretensentscheid. Die anschliessend eingereichte Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht (BVGer) wurde dann ebenfalls abgelehnt, vorwiegend mit der Berufung auf rechtliche Verpflichtungen, zu welchen Kroatien theoretisch verpflichtet wäre, ohne jedoch die individuelle und kinderspezifische Beurteilung der Risiken genügend vorgenommen zu haben. Weder das SEM noch das BVGer haben die gesundheitliche Situation der Beschwerdeführenden ausreichend geprüft. Dies, obwohl bereits im Rahmen des nationalen Asylverfahrens auf das erlebte Trauma der Beschwerdeführenden hingewiesen und festgestellt wurde, dass sie an Anpassungsstörungen, Angstzuständen und Schlafprobleme leiden würden. Eine einschlägige und detaillierte medizinische Abklärung wurde jedoch erst nach finalem Endentscheid durch Eigeninitiative der Beschwerdeführenden vorgenommen. Im Rahmen dieser Abklärung wurde festgestellt, dass die Beschwerdeführernden, besonders der Sohn, an einer Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) leiden.

Folglich hat die Schweiz trotz der klaren Indizien, der schwerwiegenden gesundheitlichen Problemen, die Situation ungenügend geprüft. Aufgrund dessen hat AsyLex diesen Fall vor den Kinderrechtsausschuss gebracht und unmittelbar danach sogenannte Interim Measures erlangt, welche von der Schweiz fordern, den Vollzug der Rückführung während des Verfahrens vor dem Ausschuss auszusetzten.

Argumente SEM / BVGer

Das SEM argumentierte, dass für Dublin-Rückkehrende in Kroatien im Allgemeinen weder eine Gefahr von Push-backs nach Bosnien und Herzegovina, noch der unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung bestehte. Gleichermassen, so das SEM, gäbe es auch keine systematischen Mängel im kroatischen Asylsystem.

Das BVGer bestätigte sodann die Argumentation des SEM und befand, dass das SEM eine angemessene Beurteilung des Gesundheitszustandes der Beschwerdeführerenden vorgenommen hatte und ihr Gesundheitszustand somit ausreichend beurteilt worden war.

kontakt

Marianne Aeberhard
Leiterin Projekt Zugang zum Recht / Geschäftsleiterin

marianne.aeberhard@humanrights.ch
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Bürozeiten: Mo/Di/Do/Fr

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