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Menschenrechte und Grundrechte in der Schweiz - Einführung

20.10.2022

Grundrechte in der Bundesverfassung

Die internationalen Menschenrechte sind in der revidierten Schweizerischen Bundesverfassung aus dem Jahre 1999 auf unterschiedliche Weise verankert. Im zweiten Hauptteil der Bundesverfassung finden sich unter dem Begriff «Grundrechte» alle wesentlichen Freiheitsrechte, welche auch im Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte und in der Europäischen Menschenrechtskonvention garantiert sind. Die politischen Rechte stehen unter dem Kapitel «Bürgerrechte und politische Rechte».

Die Sozialrechte jedoch, wie sie die Schweiz mit der Ratifizierung des Internationalen Pakts über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte von 1966 anerkannt hat, finden sich in der Bundesverfassung lediglich als «Sozialziele» (Art. 41 BV). Denn die Bundesverfassung versteht diese Menschenrechte nicht als direkt durchsetzbare Ansprüche des Individuums, sondern bloss als programmatische Rechte bzw. als richtungsweisende Ziele für die Politik. Dies ist der Grund, weshalb die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte bis heute in der Schweiz vor Gericht in der Regel nicht einklagbar sind. Einzig das «Recht auf Hilfe in Notlagen» (Art. 12 BV) sowie der Anspruch auf unentgeldlichen Grundschulunterricht (Art. 19 BV) finden sich unter den Grundrechten und sind gerichtlich direkt durchsetzbar.

Artikel 35 der Bundesverfassung verlangt, dass die Grundrechte in der ganzen Rechtsordnung zur Geltung kommen müssen. Wer staatliche Aufgaben wahrnimmt, ist an sie gebunden und verpflichtet, zu ihrer Verwirklichung beizutragen. Die Behörden haben sodann dafür zu sorgen, dass auch Private sich an die Grundrechte halten.

Geltung der internationalen Menschenrechtsabkommen

Den internationalen Menschenrechtsverträgen der UNO und des Europarates ist die Schweiz nur zögerlich beigetreten. Im Jahr 1974 hat sie als damals letzter Mitgliedsstaat des Europarates die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) ratifiziert.

Auf weltweiter Ebene trat die Schweiz bereits im Jahre 1955 der Genfer Flüchtlingskonvention von 1951 bei. Die im zweiten Weltkrieg von schweren Menschenrechtsverletzungen verschonte Schweiz legte den Schwerpunkt ihrer Menschenrechtsaktivitäten in der Nachkriegszeit auf die Verstärkung des humanitären Völkerrechtsschutzes und die Verhinderung von Folter und unmenschlicher Behandlung. Das Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung von 1984 war dann auch die erste Menschenrechtskonvention der Vereinten Nationen, welcher die Schweiz im Jahr 1987 beitrat.

Der Durchbruch mit Blick auf die UNO-Menschenrechte erfolgte in den Neunzigerjahren des 20. Jahrhunderts: Im Jahr 1992 trat die Schweiz den beiden Internationalen Pakten von 1966 bei; 1994 folgte der Beitritt zum Internationalen Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von rassistischer Diskriminierung von 1965 und 1997 schliesslich der Beitritt zum Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau von 1979 sowie zum Übereinkommen über die Rechte des Kindes von 1989. Die im Jahr 2006 verschabschiedete UNO-Behindertenrechtskonvention hat die Schweiz im Jahr 2014 ratifiziert.

Ratifikationspraxis

Bis heute hat die Schweiz jedoch verschiedene bedeutende Abkommen noch immer nicht ratifiziert. Ein Beispiel dafür ist die Europäische Sozialcharta von 1961, welche grundlegende soziale Rechte wie etwa das Recht auf eine angemessene Entlöhnung schützt.

Ein Grund für die Zurückhaltung bei der Ratifizierung menschenrechtlicher Übereinkommen und Verträge ist die vergleichsweise strenge Ratifikationspraxis der Schweiz. Nur wenn sie die vertraglich vereinbarten Verpflichtungen auf gesetzlicher Ebene tatsächlich zu garantieren vermag, pflegt die Schweiz eine Ratifikation ins Auge zu fassen. Sie anerkennt also neue Verpflichtungen erst, nachdem sie die entsprechenden innerstaatlichen Gesetze angepasst hat.

Falls die Anpassung der Gesetzgebung politisch nicht durchsetzbar ist, bringen die schweizerischen Behörden in der Regel sogenannte Vorbehalte an. Diese schränken diejenigen Garantien der ratifizierten Menschenrechtsabkommen ein, welche nicht mit der schweizerischen Gesetzgebung zu vereinbaren sind. Durch das Anbringen von Vorbehalten kann ein Staat also einem Menschenrechtsabkommen beitreten, ohne alle darin enthaltenen Rechte vollumfänglich anzuerkennen. Im Vergleich zu anderen Ländern hat die Schweiz wegen ihrer strengen Ratifikationspraxis relativ viele solche Vorbehalte formuliert.

Menschenrechtsbilanz der Schweiz

Dank dem hohen materiellen Lebensstandard erscheint die Menschenrechtsbilanz der Schweiz im internationalen Vergleich relativ gut. Doch es gibt noch viel zu tun: Die Staatenberichtsverfahren vor internationalen Gremien – etwa der «Universal Periodic Review» (UPR) des UNO-Menschenrechtsrats – zeigen immer wieder systematische Lücken und Schwachstellen im schweizerischen Menschenrechtsschutz auf. So fehlen etwa unabhängige Beschwerdestellen für Fälle von polizeilichem Fehlverhalten oder ein allgemeines Gesetz gegen Diskriminierung.

Auch fordern die Nichtregierungsorganisationen seit 2001 die Schaffung einer unabhängigen schweizerischen Menschenrechtsinstitution. Im Jahr 2011 wurde das Pilotprojekt Schweizerisches Kompetenzzentrum für Menschenrechte ins Leben gerufen. Nach nicht weniger als 20 Jahren Kampf für eine Nationale Menschenrechtsinstitution NMRI hat das Parlament im Jahr 2021 schliesslich eine entsprechende gesetzliche Grundlage verabschiedet – 2023 wird die NMRI gegründet. Die vorgesehene finanzielle Grundlage – der Bund sieht für die ersten vier Jahre einen Finanzrahmen von CHF 1 Mio. pro Jahr vor – ist allerdings sehr prekär. Internationale Instanzen und schweizerische Menschenrechtsorganisationen bezweifeln, dass damit die Schaffung einer tragfähigen, unabhängigen Institution mit A-Status möglich ist.

Menschenrechte als eine moralische Instanz

Im nicht-juristischen Bereich – insbesondere in politischen Zusammenhängen und öffentlichen Auseinandersetzungen – dienen die Menschenrechte oft als moralische Instanz. Verschiedene Akteur*innen der Zivilgesellschaft, vor allem Nichtregierungsorganisationen, beziehen sich auf Menschenrechte, um einen Gradmesser für wahrgenommenes Unrecht anzugeben. Dies ist durchaus legitim, doch wird die konkrete Bedeutung der Menschenrechte von den einzelnen Akteur*innen teilweise äusserst unterschiedlich ausgelegt. Gerade deshalb müssen ihr Gehalt und ihre Bedeutung in der Schweiz immer wieder neu ausgehandelt werden.