19.08.2015
von Matthias Hui
Koordinator der schweizerischen NGO-Arbeitsgruppe OSZE
Die Berner Young Boys spielen in den Europa League
Playoffs gegen den aserbaidschanischen Meister FC Karabach. Vom Fairplay ist
die autoritäre Politik in Aserbeidschan weit entfernt.
«Karabach ist der schwierigstmögliche Gegner», sagte YB-Sportchef Fredy Bickel nach der Auslosung. Am Donnerstag trägt der BSC Young Boys das Heimspiel der Europa-League-Playoffs gegen den hierzulande kaum bekannten FC Karabach Agdam aus. Die Erwartungen an die Mannschaft kommen in Aserbeidschan auch von ganz oben. Mitte Dezember 2014 lud Staatspräsident Ilham Alijew den FC Karabach zum Empfang. Die Entwicklung des Fussballs, so Alijew an diesem Anlass, gehöre zu den Prioritäten der Regierungspolitik. Mit einer Spende von knapp einer Million Franken aus dem präsidialen Budget feierte er die letztjährigen Erfolge in der Europa League, wo der Club die Gruppenphase erreichte. Der FC Karabach schied nur aus, weil ihm im letzten Spiel gegen Inter Mailand in der Nachspielzeit ein reguläres Tor aberkannt wurde. «Der Sieg wurde euch auch aus der Hand gestohlen», kommentierte der Präsident beim Empfang den Vorfall gemäss einer aserbeidschanischen Nachrichtenagentur: «Es ist schwierig, Ungerechtigkeit zu akzeptieren, auch der Staat ist mit dieser Tatsache konfrontiert.» Damit spielte der Präsident auf den Konflikt mit Armenien um das Gebiet Berg-Karabach an. Aus dieser Region stammt der nun in der Hauptstadt Baku angesiedelte Club ursprünglich. Vor dem Hintergrund langer Unabhängigkeitsbestrebungen der mehrheitlich armenischen Bevölkerung kam es 1992 zu einem Krieg zwischen Aserbeidschan und Armenien. Er forderte gegen 30 000 Tote, führte zur Vertreibung zahlreicher Menschen und zur anhaltenden Besetzung weiter Gebiete durch Armenien.
Brutale Verfolgung
Eine Lösung dieses «eingefrorenen» Konflikts zeichnet sich nicht ab. Auch die Schweiz ist in Friedensbemühungen involviert. Nicht zuletzt der OSZE-Vorsitz 2014 hat unserem Land in der dortigen Zivilbevölkerung zum Image einer Vorreiterin für Frieden und Menschenrechte verholfen. Das Regime Alijew verfolgt gerade in jüngster Zeit kritische Journalistinnen, Menschenrechtsverteidiger und Vertreter von Nichtregierungsorganisationen mit immer brutaleren Mitteln. Jegliche Kritik soll zum Verstummen gebracht werden. Erst vor einer Woche wurden in einem politischen Schauprozess die bekannte Bürgerrechtsaktivistin Leyla Yunus zusammen mit ihrem Mann unter abstrusen Vorwänden zu achteinhalb respektive sieben Jahren Gefängnis verurteilt. Beide sind krank und erhalten in der Haft nicht die notwendige medizinische Versorgung. Der Journalist und Präsident einer Organisation für Medienfreiheit, Rasim Alijew, wurde Anfang August von Unbekannten so zusammengeschlagen, dass er an seinen Verletzungen starb. Er erhielt zuvor massive Drohungen. Die Regierung verneint politische Hintergründe. Vor genau einem Jahr wurde seine Organisation vom Staat geschlossen. Damals sah sich ihr Gründer, Emin Huseynow, gezwungen, sein Leben zu retten, indem er sich in die schweizerische Botschaft in Baku flüchtete. Nach zähen Verhandlungen landete er eines Nachts im Juni dieses Jahres auf dem Flughafen Belp. Didier Burkhalter nahm ihn im Bundesratsjet von seiner Reise an die pompöse Eröffnung der Europaspiele in Baku gleich mit.
Wirtschaft vor Menschenrechten
Wenn Bundesrat Schneider-Ammann das Land besucht, so wie 2013 mit einer grossen Wirtschaftsdelegation, wird kaum über Menschenrechte gesprochen. Aserbeidschan verfügt über enorme Erdöl- und Erdgasvorkommen und setzt sich auch als Alternative zu Russland im Westen gut in Szene. Und das Land gehört zur von der Schweiz angeführten Stimmrechtsgruppe in Weltbank und Währungsfonds, «die sich wie das Who’s who zentralasiatischer Despotien liest» (NZZ-Chefredaktor Eric Gujer). Das schweizerische Energieunternehmen Axpo ist an einem langfristigen Abnahmevertrag für Gas und an der sich im Bau befindlichen Trans Adriatic Pipeline beteiligt. Holcim hat ein grosses Zementwerk erstellt. Die Trüb AG rüstet Aserbeidschan mit elektronischen Identitätskarten aus. Alle Verhandlungen laufen in diesem oligarchischen System mit faktischen Monopolen, grassierender Korruption und fehlender Rechtssicherheit – so der Wirtschaftsbericht der Schweizer Botschaft in Baku 2015 – über das Regime. Peter Spuhler, CEO der Stadler Rail, die Zugkompositionen liefert und eine Waggonfabrik errichtet, sagte am 14. Juni 2014 zum «Blick»: «Wir können uns in den Verhandlungen nicht auch noch um Menschenrechte kümmern.» Im Gegenzug unterhält die staatliche aserbaidschanische Energiegesellschaft Socar in der Schweiz ein Netz von 160 Tankstellen. Socar ist Sponsor der Fussball-Europameisterschaft 2016; vier Spiele der Fussball-Europameisterschaft 2020 werden in Aserbeidschan stattfinden. Der Fussball soll dem Land Türen zur Welt aufstossen. Morgen wird im Stade de Suisse Fussball gespielt. Aber die Menschenrechte dürfen nicht mit Füssen getreten werden.
- Menschenrechte mit Füssen getreten
Gastartikel von Matthias Hui in «Der Bund» vom 19.08.2015 (pdf, 1 S.)