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Menschenrechtsarbeiten der OSZE: Was tut die Schweiz?

20.09.2012

Die Arbeit der Schweiz im Rahmen der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) ist hierzulande nicht besonders gut bekannt. Zu Unrecht, denn die Schweiz ist in einigen Gremien der Organisation sehr aktiv. Zudem wird sie 2014 zum zweiten Mal die Präsidentschaft der Staatenkonferenz übernehmen. Bereits heute setzt die Schweizer Delegation in Wien Akzente im Menschenrechtskomitee der OSZE, welches für den politisch-informellen Austausch der 56 Teilnehmerstaaten über Menschenrechtsthemen verantwortlich zeichnet.

Botschafter Thomas Greminger hatte für die Schweizer Delegation in den Jahren 2011 und 2012 den Vorsitz des OSZE-Menschenrechtskomitees inne und leistet zudem Vorarbeiten für die Präsidentschaft der Schweiz. Er schildert im schriftlichen Interview mit Humanrights.ch, wie die Schweiz in der OSZE als Vermittlerin auftritt und mit welchen Herausforderungen sie dabei konfrontiert ist. Der Austausch mit Greminger wirft auch ein Licht auf die vielfältigen Menschenrechtsthemen, welche in der OSZE besprochen werden und zeigt auf, dass die OSZE bemüht ist, mit der Zivilgesellschaft zusammen zu arbeiten.

Vermittlungsarbeit in einem hochpolitischen Umfeld

Humanrights.ch: Herr Botschafter, die Schweiz hat seit 2011 den Vorsitz des Menschenrechtskomitees der OSZE inne. Welche Themen beschäftigten das Gremium in den vergangenen Monaten besonders?

Thomas Greminger: Wir haben uns mit praktisch allen relevanten Themen auseinandergesetzt, welche im OSZE-Acquis, den sogenannten Commitments, verankert sind: Presse- und Meinungsfreiheit, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, Toleranz- und Nichtdiskriminierung, Folterbekämpfung, Todesstrafe, Menschenrechte von Vertriebenen, aber auch wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte sowie Menschenhandel. In den kommenden Monaten stehen ausserdem Menschenrechte und nationale Minderheiten, Roma und Sinti sowie demokratische Wahlen und Wahlbeobachtung auf dem Programm des Komitees.

Humanrights.ch: Welche Auswirkungen hat es konkret innerhalb der OSZE und in den beteiligten Staaten, wenn sich das Menschenrechtskomitee etwa mit Menschenhandel beschäftigt?

Thomas Greminger: Im Kern geht es darum, den Dialog über die Einhaltung der politisch eingegangenen Verpflichtungen und deren Weiterentwicklung zu führen. Wenn wir also die Bekämpfung des Menschenhandels diskutieren, kommen sowohl die Aktivitäten der OSZE-Institutionen als auch die Situation in den einzelnen Teilnehmerstaaten zur Sprache. Dieser Austausch soll konkret Missstände im OSZE-Raum aufzeigen und zum Austausch von Best Practices beitragen. Das Komitee erarbeitet zudem Beschluss- oder Deklarationsentwürfe für den Ständigen Rat der OSZE (wöchentlich auf Stufe Botschafter tagendes Gremium) und den OSZE-Ministerrat, der einmal jährlich zusammentritt. So sind in den vergangenen Jahren regelmässig Beschlüsse und Deklarationen im Bereich Menschenhandel vom Ministerrat – zuletzt am Ministerrat 2011 in Vilnius – verabschiedet worden. Meines Erachtens am bedeutendsten ist es jedoch, den nötigen diplomatisch-politischen Support für die Arbeit der ausgezeichneten OSZE-Institutionen zu schaffen - im Fall des Menschenhandels ist dies die Sonderbeauftragte Maria-Grazia Giammarionaro.

Humanrights.ch: Welche Aufgaben des Komitees erachten Sie als besonders wichtig?

Thomas Greminger: Die zentrale Aufgabe ist der Dialog unter Experten. In einem hochpolitisierten und weiterhin stark von Ost-West-Gegensätzen geprägten Klima einen konstruktiven Dialog über sensible Menschenrechtsthemen zu führen, ist jedoch alles andere als ein einfaches Unterfangen. Hier liegt das vorrangige Ziel vor allem darin, Vertrauen zu schaffen, indem Themen berücksichtigt werden, die beiden Lagern wichtig sind. Während von westlicher Seite den Grundfreiheiten der höchste Stellenwert eingeräumt wird, ist für Staaten östlich von Wien Toleranz und Nichtdiskriminierung, Personenfreizügigkeit oder der Kampf gegen Extremismus und Nationalismus besonders wichtig.

Die Errungenschaften der Schweiz und ihr Ruf in der OSZE

Humanrights.ch: Wie schätzen Sie den Einfluss der Schweiz auf die Arbeit des Menschenrechtskomitees der OSZE ein?

Thomas Greminger: Die Schweiz hat einen ganz erheblichen Einfluss im Komitee. Es gelingt ihr immer wieder, sich als glaubwürdige Vermittlerin zwischen festgefahrenen Positionen der «grossen» Akteure (USA, Russische Föderation, EU) zu positionieren. So hat die Schweiz im letzten Jahr den Prozess für die Reform der OSZE-Veranstaltungen in der menschlichen Dimension angestossen, welche zentrale Monitoring-Instrumente der OSZE darstellen. Sie hat einen auf Ausgleich bedachten und umfassenden Ansatz gewählt, der die Interessen der wichtigsten (staatlichen und nichtstaatlichen) Akteure möglichst breit berücksichtigt. Dieser Tage läuft der eigentliche Verhandlungsprozess für die Reform der Veranstaltungen an, die in der Substanz fokussierter werden und in einen resultatorientierten Prozess münden und damit für die Vertreter von Regierungen und Nichtregierungsorganisationen attraktiver werden sollten.

Humanrights.ch: Die Schweiz steht in der OSZE als kleiner Staat einer Fülle von andern gewichtigeren Staaten gegenüber, die zu einem grossen Teil noch in der EU zusammengeschlossen sind. Wie geht Sie mit dieser Stellung um?

Thomas Greminger: Es ist natürlich auch in der OSZE so, dass wir in den meisten Sachfragen ähnliche Positionen vertreten wie die USA und die EU. Die Flexibilität als Nicht-EU-Staat kommt uns jedoch gerade im konsensorientierten Umfeld der OSZE entgegen. Wir nutzen diesen Vorteil auch ganz bewusst, indem wir uns oft als Brückenbauerin und Fazilitatorin positionieren. Wollen wir einer Position besonderes Gewicht verleihen, gelingt es uns zudem regelmässig, gemeinsame Stellungnahmen der sogenannten «Like-minded Group» (Norwegen, Kanada, Island, Liechtenstein, Schweiz) abzugeben.

Humanrights.ch: Wie wird die Arbeit der Schweiz von andern Staaten und Akteuren in der OSZE wahrgenommen?

Thomas Greminger: Wir erhalten viel positives Feedback, interessanterweise sowohl von Staaten westlich wie östlich von Wien. So wird auch sehr geschätzt, dass es uns gelungen ist, das noch junge Komitee (die Ausschüsse wurden erst 2006 geschaffen) in den letzten zwei Jahren unter unserem Vorsitz zu einem relevanten OSZE-Instrument der menschlichen Dimension zu machen. Diente der Ausschuss zuvor praktisch nur der Aushandlung von Themen und Agenden von OSZE-Veranstaltungen, ist er nun zu einer wichtigen Dialogplattform mit einer innovativen und standardisierten Agenda geworden. So haben wir erfolgreich ein allerdings noch freiwilliges Reporting von Staaten über ihre Umsetzung von Empfehlungen durch OSZE-Institutionen (z.B. im Bereich von Wahlen) eingeführt. Insgesamt ist auch die Wahl der Schweiz zum Vorsitz der Organisation 2014 als klare Anerkennung unseres Einsatzes zu werten.

Die Herausforderungen der Präsidentschaft ab 2014

Humanrights.ch: Wie wichtig ist die Arbeit der Schweiz im Menschenrechtskomitee im Hinblick auf die OSZE- Präsidentschaft der Schweiz ab 2014?

Thomas Greminger: Die Arbeit im Komitee ist in mehrerer Hinsicht eine ausgezeichnete Vorbereitung für die Präsidentschaft. Zum einen können wir die Schweiz als starke Anwältin der menschlichen Dimension und als aktive Fazilitatorin positionieren. Zum anderen lerne ich als Ausschussvorsitzender in den teilweise sehr kontrovers geführten Debatten viel, was mir dann auch in der Leitung des Ständigen Rates 2014 helfen wird.

Humanrights.ch: Was erwartet die Schweiz, wenn sie 2014 den Vorsitz der OSZE übernimmt?

Thomas Greminger: Mit Sicherheit viel harte Arbeit in einem herausforderungsreichen Umfeld. Das Konsenserfordernis, das geringe Vertrauen zwischen Ost und West, die praktisch überall spürbaren Auswirkungen der gefrorenen Konflikte, der Wettbewerb unter internationalen Organisationen, wirtschaftliche Schwierigkeiten und Budgetdruck in den meisten Teilnehmerstaaten sind einige Stichworte dazu. Zudem müssen wir auch bereit sein, auf überraschende Entwicklungen reagieren zu können, gibt es doch im OSZE-Raum weiterhin sehr fragile Regionen (Teile des Westbalkans, Süd- und Nordkaukasus, Zentralasien). Trotzdem: ich bin zuversichtlich, dass die schweizerische Aussenpolitik diese Herausforderung erfolgreich bewältigen wird.

Humanrights.ch: Gibt es bestimmte Themen, die Ihnen persönlich auf OSZE-Ebene besonders am Herzen liegen?

Thomas Greminger: Auch wenn die kompetente Führung des Routinegeschäfts der OSZE einen Grossteil unserer Aufmerksamkeit und Energien absorbieren wird, hoffen wir natürlich, einige inhaltliche Akzente setzen zu können. Dazu gehört ein innovativer, mit Serbien (Vorsitz 2015) ausgearbeiteter und mittelfristig ausgerichteter Arbeitsplan. Wir sind gegenwärtig auch daran, eine Reihe von diplomatischen Initiativen vorzubereiten, zum einen natürlich in der menschlichen Dimension, aber auch in der ersten Dimension (Abrüstung, vertrauens- und sicherheitsbildende Massnahmen) entwickeln wir interessante Ideen, die wir bald einmal mit wichtigen Stakeholdern testen wollen.

Der jährliche Austausch mit der Zivilgesellschaft

Humanrights.ch: Im Herbst (24.9. – 5.10.) findet in Warschau das Human Dimension Implementation Meeting (HDIM) statt. Es gilt als grösstes Menschenrechtsforum in Europa, an dem Regierungsvertreter, NGOs und internationale Organisationen aus 56 Mitgliedsstaaten zusammen kommen. Welche Erwartungen haben Sie an das HDIM?

Thomas Greminger: Das HDIM ist dazu gedacht, die Umsetzung der OSZE-Verpflichtungen jährlich auf den Prüfstand zu stellen. Der Ansatz dazu ist der thematisch gegliederte Austausch zwischen Regierungsvertretern/-innen, Repräsentanten/-innen internationaler Organisationen und Vertretern/-innen der Zivilgesellschaft, welche völlig freien Zugang zur Konferenz haben. Auch wenn das HDIM in verschiedener Hinsicht reformbedürftig ist, so bleibt es eine absolut zentrale Veranstaltung im OSZE-Raum. In diesem Jahr dürften Einschränkungen der Versammlungs-, Meinungsäusserungs- und Medienfreiheit, aber vermutlich auch Roma und Sinti-Fragen thematisch im Fokus stehen. Geografisch dürfte die Aufmerksamkeit sicher weiterhin auf zentralasiatische Staaten und Belarus liegen, aber auch Russland und die nächstjährige OSZE-Vorsitzende, die Ukraine, dürften in verschiedener Hinsicht im Fokus stehen. Am Rande der Konferenz wird viel von der HDIM-Reform und in etwas geringerem Masse auch über die vom irischen Vorsitz vorgeschlagenen Ministerratsentscheide im Bereich Medienfreiheit und Nichtdiskriminierung die Rede sein.

Humanrights.ch: Ist die Tagung auch für die Schweizer Zivilgesellschaft interessant? Was dürfen sich teilnehmende NGO erhoffen?

Thomas Greminger: Wie Sie bereits erwähnten, ist das HDIM das grösste Menschenrechtsforum in Europa und bietet Zugang und Rederecht für alle NGO. In den thematisch strukturierten Arbeitssitzungen diskutieren die NGO auf Augenhöhe mit den Staatenvertretern. Gleichzeitig bietet die Konferenz die Möglichkeit, den Kontakt mit Staatenvertretern/-innen, NGO aus dem ganzen OSZE-Raum und internationalen Organisationen zu pflegen. Eine besonders gute Möglichkeit der Kommunikation spezieller Anliegen sind die zahlreichen Side-Events, welche häufig eine sehr gute Ergänzung zu den formellen Arbeitssitzungen darstellen.

«Niemand ist perfekt, auch die Schweiz nicht»

Humanrights.ch: Zu guter Letzt –  Humanrights.ch und die Zivilgesellschaft in der Schweiz dürfte Ihre Sicht auf die Menschenrechte in der Schweiz interessieren. Wie beurteilen Sie von Ihrer Position in Wien aus das Agieren der Schweiz in konkreten Menschenrechtsbelangen, wie etwa dem Menschenhandel?

Thomas Greminger: Es ist klar, das ein glaubwürdiger Akteur in der internationalen Menschenrechtspolitik auch bereit sein muss, die eigene Menschenrechtslage ständig kritisch zu überprüfen und an Defiziten zu arbeiten. Niemand ist perfekt, auch die Schweiz nicht, weshalb sie durchaus auch von anderen Staaten oder internationalen Organisationen kritisiert wird. Stichworte etwa: Minarett-Verbot oder Einschränkungen der Versammlungsfreiheit (neues Gesetz im Kanton Genf).

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