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Der Kanton Waadt verbietet sexistische Werbung im öffentlichen Raum

27.06.2019

 

Das Waadtland wird als erster Kanton sexistische Werbung verbieten. Der Waadtländer Regierungsrat hat sein entsprechendes Projekt im Mai 2018 vorgestellt – sechs Jahre nach Einreichung der Motion Bavaud im Grossen Rat.

Sandrine Bavaud (Grüne) verlangte für die Werbung im öffentlichen Raum ein ausdrückliches Verbot entwürdigender Darstellungen der Frau. Um die Motion umzusetzen, schlug der Regierungsrat eine Änderung des kantonalen Werbegesetzes vor: Es soll eine Konsultativkommission beauftragt werden, Werbungen zu beurteilen. Der Gesetzesentwurf, welcher sowohl Erwartungen der Zivilgesellschaft aufgreift als auch den internationalen Verpflichtungen der Schweiz nachkommt, hat keine grössere Debatte ausgelöst. Der Grosse Rat hat ihn am 18. Juni 2019 einstimmig bei einer Enthaltung angenommen.

Der Gesetzesentwurf

Der Gesetzesentwurf des Regierungsrats betrifft die Plakatwerbung. Damit wird das Werbegesetz mit der Absicht ergänzt, jede Werbung sexistischen Inhalts zu verhindern.

Zu diesem Zweck wird eine Definition des Sexismus ins Gesetz eingeführt. Für diesen neuen Artikel 5b wird der Grundsatz Nr. 3.11 der Schweizerischen Lauterkeitskommission übernommen, gemäss welchem «eine Werbung, die ein Geschlecht diskriminiert, indem sie die Würde von Frau oder Mann verletzt, unlauter» ist. Das Gesetz präzisiert zudem «sexistische Werbung» anhand der sechs Kriterien, die in Grundsatz Nr. 3.11 definiert sind. Dazu gehört, wenn Männer oder Frauen anhand sexueller Stereotypen dargestellt werden, welche die Gleichheit der Geschlechter in Frage stellen, wenn eine Form von Unterwürfigkeit oder Unterwerfung in Szene gesetzt wird oder wenn Kinder und Jugendliche nicht respektiert werden. Der Gesetzesentwurf umfasst also eindeutig Frauen und Männer ebenso wie Jugendliche und Kinder.

Doch warum benötigte der Regierungsrat sechs Jahre dazu? Um mit den Gemeinden zu verhandeln, wie Regierungsrätin Jacqueline De Quattro auf RTS erklärt hat. So ist der Gesetzesentwurf in einem grösseren Rahmen zu sehen, spielt sich doch der Kampf gegen die Ungleichheit in verschiedenen politischen Bereichen ab. 2017 präsentierte die Waadtländer Regierung das Gesetz über die Organisation der Prävention und der Bekämpfung häuslicher Gewalt. Im gleichen Jahr stellte sie die gesetzlichen Änderungen im Gesetz über die Lohngleichheit mit dem Ziel vor, dem Staat eine entsprechende Kontrolle von Unternehmen in den Bereichen öffentliche Beschaffung und Fördermittelempfänger zu ermöglichen. Mit dem Verbot demütigender und erniedrigender Werbung macht der Regierungsrat einen weiteren Schritt in Richtung Respekt für Frauen und Männer im Kanton Waadt.

Das letzte Wort gehört den Gemeinden

Der Waadtländer Regierungsrat will mit dem neuen Werbegesetz den Aussenwerbeunternehmen eine Botschaft sowie klare Leitlinien für die Praxis vermitteln. Falls Zweifel über die Natur einer Werbung bestehen, können Gemeinden, Einzelpersonen und Aussenwerbeunternehmen die Sache an die Konsultativkommission für Werbeverfahren verweisen. Diese Kommission übt bereits heute dieselbe Aufgabe bei der Tabak- und Alkoholwerbung aus (Artikel 24). Für die Überprüfung der sexistischen Natur einer Werbung wird die Kommission nun um eine Vertreterin/einen Vertreter des kantonalen Gleichstellungsbüros und um eine Spezialistin/einen Spezialisten aus dem Bereich der Mediensoziologie oder Ethik erweitert. Zugleich erklärt der Regierungsrat, dass die Empfehlungen der Kommission keine bindende Wirkung haben würden. Letztlich werde es Aufgabe der Gemeinden sein darüber zu befinden, ob etwa eine Werbekampagne, die geplant ist oder bereits auf dem Territorium der Gemeinde durchgeführt wird, zurückzuweisen oder zurückzuziehen ist.

Zunahme an Einsprachen

Der Gesetzesentwurf des Regierungsrats von Mai 2018 ist auf das zunehmende Bewusstsein in der breiten Bevölkerung zurückzuführen. Seit der Initiierung der Motion im Jahr 2011 haben die Ereignisse den wachsenden Unmut der Gesellschaft über die stetige Instrumentalisierung der Frau im öffentlichen Raum Ausdruck verliehen. So wurden zahlreiche Kampagnen zur Sensibilisierung gestartet, insbesondere #WomenNotObjects in den Vereinigten Staaten und «Sexistische Werbung schadet» von Terre des Femmes im Jahre 2015. Diese Entwicklung hat sich auch auf die Anzahl von Einsprachen gegen sexistische Werbungen bei der Schweizerischen Lauterkeitskommission ausgewirkt: Machten diese 2011 nur 3,1 Prozent aller Einsprachen aus, so waren es 2017 bereits 18,2 Prozent.

In ihrer Kampagne zur Sensibilisierung im Jahr 2015 unterstrich Terre des Femmes einmal mehr die negativen Auswirkungen solcher Werbungen auf unseren Alltag. Sie formen und verstärken die Geschlechterstereotypen und untergraben die Anstrengungen zur Verwirklichung der Gleichheit der Geschlechter. Solche Vereinfachungen schaffen und verbreiten einfältige und sexistische Rollenbilder von Frau und Mann; gerade auch bei Jugendlichen, die besonders empfänglich für Werbung sind. Entsprechend stösst der Gesetzesentwurf des Waadtländer Regierungsrats bei Organisationen der Zivilgesellschaft auf Zustimmung, insbesondere bei Terre des Femmes. Die Organisation verlangt, dieses Thema auch auf eidgenössischer Ebene aufzugreifen, und kritisiert die schlechte Selbstregulation der Werbeindustrie.

Rechtliche Wüste in der Schweiz

Als Ironie oder aber auch aufgrund Mangel an Initiative bleibt der Kanton Waadt - trotz der sechsjährigen Verzögerung - ein Vorreiter in diesem Bereich. Bis heute ist der Umgang mit sexistischer Werbung auf eidgenössischer Ebene gar nicht und auf kantonaler Ebene nur sporadisch geregelt. Die aktuellen Gesetze über die Werbung, insbesondere das Bundesgesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) und das Bundesgesetz über Radio und Fernsehen (RTVG), erwähnen die diskriminierende Werbung bezüglich der Geschlechter mit keinem Wort.

Es besteht jedoch die Möglichkeit, bei der Schweizerischen Lauterkeitskommission Beschwerde gegen sexistische Werbungen einzureichen. Diese nationale Organisation zur Selbstregulierung der Werbebranche verurteilt ausdrücklich die sexistische Werbung (Grundsatz Nr. 3.11). Ihre Wirkung bleibt aber beschränkt. Denn die Kommission kann sich zwar zum Inhalt von Werbebotschaften äussern und den Stopp einer Kampagne erreichen, besitzt jedoch nicht die Kompetenz, die Verantwortlichen der Werbung zur Verantwortung zu ziehen oder zu bestrafen. Trotzdem berufen sich der Bund und die Werbebranche gerade auf ebendiese Möglichkeit einer Beschwerde, um eine klare gesetzliche Regelung gegen sexistische Werbung abzulehnen.

Im März 2012 reichte Nationalrätin Yvonne Feri (SP/AG) die Interpellation «Verbot sexistischer Werbung» (12.3106) ein und fragte den Bundesrat, «was er gegen die nach wie vor weitverbreitete geschlechterdiskriminierende Werbung zu tun gedenkt». Dabei stützte sich Yvonne Feri auf den Waadtländer Gesetzesentwurf. In seiner Antwort auf diese Interpellation rechtfertigte sich der Bundesrat, indem er auf das rasche und flexible Verfahren einer Beschwerde bei der Lauterkeitskommission verwies. Zudem gäbe es keine sichtbare Zunahme von Beschwerden wegen diskriminierender Werbung. Somit sei es nicht nötig, gesetzgeberisch tätig zu werden. Beide Argumente überzeugen heute noch weniger als damals, hat doch in Wirklichkeit die Anzahl entsprechender Beschwerden deutlich zugenommen. Bereits 2006 wurde die Motion «Verbot von geschlechterdiskriminierender und sexistischer Werbung» (06.3373) der Nationalrätin Doris Stump (SP/AG) vom Tisch gewischt.

Auf Ebene der Kantone hat einzig der Kanton Basel-Stadt in seiner Plakatverordnung von 2011 «eine unangemessene Darstellung von Sexualität» als diskriminierend eingestuft. Auf Ebene der Gemeinden haben ebenfalls grosse Städte wie Zürich - eine Pionierin in diesem Bereich - Lausanne und Bern sowie die Basler Gemeinde Reinach entsprechende Regulierungen erlassen. Für die Zivilgesellschaft ist es also an der Zeit, dass dieses Thema mehr Raum einnimmt - in Einklang mit der heutigen Zeit und der internationalen Entwicklung.

Die internationale Entwicklung

Bei der letzten periodischen Überprüfung im Rahmen des UNO-Übereinkommens zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (CEDAW) im Jahre 2016 ist der Ausschuss für die Beseitigung der Diskriminierung der Frau, wie bereits 2008, auf die Frage der sexistischen Werbung eingegangen. Der Ausschuss erinnerte die Schweiz daran, dass sie sich verstärkt dafür einsetzen muss, stereotype Bilder und Haltungen bezüglich der Rollen von Frauen und Männern in Familie und Gesellschaft mit rechtlichen und politischen Massnahmen sowie mit Sensibilisierungskampagnen zu beseitigen. Mit seinem Gesetzesentwurf macht der Kanton Waadt einen weiteren Schritt hin zur Umsetzung dieser Empfehlung.

Doch nicht nur das Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau spielt hier eine Rolle. Seit 2011 verfolgen weitere internationale Regelwerke den Kampf gegen stereotype Vorstellungen sowie die Förderung der Gleichheit der Geschlechter.

Dies gilt insbesondere für die Istanbul-Konvention. Dieses Übereinkommen trat in der Schweiz am 1. April 2018 in Kraft und hat die Bekämpfung und Prävention von Gewalt gegen Frauen und Mädchen und von häsulicher Gewalt zum Ziel. In Artikel 12 verpflichten sich die Vertragsparteien dazu, «die erforderlichen Massnahmen zu treffen, um Veränderungen von sozialen und kulturellen Verhaltensmustern von Frauen und Männern mit dem Ziel zu bewirken, Vorurteile, Bräuche, Traditionen und sonstige Praktiken, welche auf der Vorstellung der Unterlegenheit der Frau oder auf Rollenzuweisungen für Frauen und Männer beruhen, zu beseitigen».

Die Agenda 2030 - seit 2016 in Kraft - hält die Ziele und die internationalen Prioritäten für eine nachhaltige Entwicklung bis 2030 fest. Die Agenda betrachtet die Ungleichheit der Geschlechter als ein grundsätzliches Hindernis für eine nachhaltige Entwicklung. Die Vertragsparteien werden aufgefordert, konkrete Massnahmen zur Gleichstellung von Mann und Frau zu ergreifen. Doch der erste Länderbericht über die Umsetzung der Agenda 2030, den Alt-Bundesrätin Doris Leuthard am 17. Juli 2018 am UNO-Hauptsitz in New York präsentierte, erwähnt mit keinem Wort einen Schwerpunkt zur Korrektur der stereotypen Rollenbilder in der Gesellschaft.

Welche anderen Grundrechte sind zu berücksichtigen?

Eine Regelung auf eidgenössischer Ebene würde also die Bekämpfung sexistischer Werbung vorantreiben. Indessen könnte ein Verbot sexistischer Werbung, je nach Art und Weise der Umsetzung, in Widerspruch zu anderen Menschen- und Grundrechten geraten: zur Medienfreiheit (garantiert in Artikel 17 der Bundesverfassung und in verschiedenen UNO-Abkommen) sowie zur Wirtschaftsfreiheit (garantiert in Artikel 27 der Bundesverfassung) und, in geringerem Aussmass, im Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (UNO-Pakt I)).

Nach der Annahme der Motion Bavaud im Grossen Rat des Kantons Waadt im Jahr 2012 hatte auch Publicité Romande - heute Kommunikation Schweiz - die Eidgenossenschaft zu einer grundsätzlichen Debatte aufgerufen. Das Ziel war, Wettbewerbsverzerrungen zwischen den Medien zu verhindern und neue Grundsätze mit gleich langen Spiessen für alle Medien einzuführen.

Quellen

Weitere Informationen